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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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gröbsten Verirrungen verleitet, fälscht sie nicht die sittlichen Ideen, sondern
nur die Vorstellung des Gefüges von Zwecken und Mitteln, in das ihre
Wirksamkeit eingreift. Als die Vornehmen der Karthager in Kriegsuvten
einmal beschlossen, ihre Sohne nach der Väter Brauch dem Feuergott zu
opfern, entsagten sie dadurch weder der Idee des Wohlwollens im allgemeinen,
noch der Liebe zu ihren Kindern im besondern; vielmehr würde das Opfer
ohne die grausame Verwundung ihrer Vaterherzen gar keinen Wert gehabt
haben. Sie thaten nichts andres, als was heutige Eltern thun, wenn sie ihre
Söhne fürs Vaterland den Kanonen des Feindes entgegenschicken. Nur darin
irrten sie, daß sie jene nutzlose Verbrennung für ein Mittel zur Rettung des
Vaterlandes hielten. Es ist richtig, daß religiöse und philosophische Irrtümer,
wenn sie lange und nachhaltig auf ein Volk einwirken, Verwilderung oder
Verweichlichung erzeugen können, aber an sich stoßen sie die Moralgrnndsätze
nicht um.

Die Bedeutung religiöser und philosophischer Vorstellungen für die Moral
liegt darin, daß sie uus kräftige Beweggründe zum richtigen Handeln entweder
liefern oder entziehen. Die christliche Religion ist vorzugsweise darum ein
Segen, weil sie durch den unerschütterlichen Glaube" an die göttliche Ver¬
geltung und durch die Hoffn"ug auf das ewige Lebe" auch diejenige" zu Helden
im Guten macht, denen Nieder die Antriebe des Ehrgeizes und der Herrschsucht,
"och die Tröstungen der Philosophie zur Verfügung stehe"! die Weiber, die
Kinder und die Armen. Übrigens ist es mit dem Troste der Philosophie
nicht weit her; er reicht gewöhnlich so lange, als der Philosoph bei gutem
Gehalt und in einer bequem eingerichteten Schreibstube keinen Trost nötig hat,
wie auch die Pessimisten die irdische" Ge"uffe nur so lauge für Illusionen
erklären, als sie ihr bescheidnes Teil daran genießen; während sie, wenn sie
einmal acht Tage lang im Kerker fasten müßten, sofort inne werde" würden,
daß ein guter Braten, ein gutes Glas Wei", eine bequeme Wohnung und el"
gutes Bett ganz und gar keine Illusionen, sondern ganz substantielle Güter
sind. Daher ist auch die schöne Predigt des Herrn Carus über die Wert-
losigkeit der irdischen Glückseligkeit und seine Mahnung, in der Pflichterfüllung
Befriedigung zu suchen, nur für solche Leute, de"e" die Pflichterfüllung nebenbei
auch jene irdischen Kleinigkeiten abwirft, die sie nicht zu suchen sich vielleicht
überreden mögen. Bleiben diese in der Theorie geringschätzig behandelten
Dinge aus, dann verfehlt der "Melivrismus" des Herrn Carus seine Wirkung.
Melivrismus nennt er den Glauben an die beständige Verbesserung -- ja,
wessen? ^, zu dem er uns dnrch seine "evvlutiouistische und monistische"
Philosophie verhelfen will, während, wie er behauptet, der gewöhnliche Monis-
mus der Materialiste" "ut Idealisten zum Optimismus, der Dualismus not¬
wendigerweise zum Pessimismus führe, was, "ebeubei gesagt, offenbar der Erfahrung
widerspricht. Was soll denu besser werden? Die materielle Lage der Menschen?


gröbsten Verirrungen verleitet, fälscht sie nicht die sittlichen Ideen, sondern
nur die Vorstellung des Gefüges von Zwecken und Mitteln, in das ihre
Wirksamkeit eingreift. Als die Vornehmen der Karthager in Kriegsuvten
einmal beschlossen, ihre Sohne nach der Väter Brauch dem Feuergott zu
opfern, entsagten sie dadurch weder der Idee des Wohlwollens im allgemeinen,
noch der Liebe zu ihren Kindern im besondern; vielmehr würde das Opfer
ohne die grausame Verwundung ihrer Vaterherzen gar keinen Wert gehabt
haben. Sie thaten nichts andres, als was heutige Eltern thun, wenn sie ihre
Söhne fürs Vaterland den Kanonen des Feindes entgegenschicken. Nur darin
irrten sie, daß sie jene nutzlose Verbrennung für ein Mittel zur Rettung des
Vaterlandes hielten. Es ist richtig, daß religiöse und philosophische Irrtümer,
wenn sie lange und nachhaltig auf ein Volk einwirken, Verwilderung oder
Verweichlichung erzeugen können, aber an sich stoßen sie die Moralgrnndsätze
nicht um.

Die Bedeutung religiöser und philosophischer Vorstellungen für die Moral
liegt darin, daß sie uus kräftige Beweggründe zum richtigen Handeln entweder
liefern oder entziehen. Die christliche Religion ist vorzugsweise darum ein
Segen, weil sie durch den unerschütterlichen Glaube» an die göttliche Ver¬
geltung und durch die Hoffn»ug auf das ewige Lebe» auch diejenige» zu Helden
im Guten macht, denen Nieder die Antriebe des Ehrgeizes und der Herrschsucht,
»och die Tröstungen der Philosophie zur Verfügung stehe»! die Weiber, die
Kinder und die Armen. Übrigens ist es mit dem Troste der Philosophie
nicht weit her; er reicht gewöhnlich so lange, als der Philosoph bei gutem
Gehalt und in einer bequem eingerichteten Schreibstube keinen Trost nötig hat,
wie auch die Pessimisten die irdische» Ge»uffe nur so lauge für Illusionen
erklären, als sie ihr bescheidnes Teil daran genießen; während sie, wenn sie
einmal acht Tage lang im Kerker fasten müßten, sofort inne werde» würden,
daß ein guter Braten, ein gutes Glas Wei», eine bequeme Wohnung und el»
gutes Bett ganz und gar keine Illusionen, sondern ganz substantielle Güter
sind. Daher ist auch die schöne Predigt des Herrn Carus über die Wert-
losigkeit der irdischen Glückseligkeit und seine Mahnung, in der Pflichterfüllung
Befriedigung zu suchen, nur für solche Leute, de»e» die Pflichterfüllung nebenbei
auch jene irdischen Kleinigkeiten abwirft, die sie nicht zu suchen sich vielleicht
überreden mögen. Bleiben diese in der Theorie geringschätzig behandelten
Dinge aus, dann verfehlt der „Melivrismus" des Herrn Carus seine Wirkung.
Melivrismus nennt er den Glauben an die beständige Verbesserung — ja,
wessen? ^, zu dem er uns dnrch seine „evvlutiouistische und monistische"
Philosophie verhelfen will, während, wie er behauptet, der gewöhnliche Monis-
mus der Materialiste» »ut Idealisten zum Optimismus, der Dualismus not¬
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widerspricht. Was soll denu besser werden? Die materielle Lage der Menschen?


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[0026] gröbsten Verirrungen verleitet, fälscht sie nicht die sittlichen Ideen, sondern nur die Vorstellung des Gefüges von Zwecken und Mitteln, in das ihre Wirksamkeit eingreift. Als die Vornehmen der Karthager in Kriegsuvten einmal beschlossen, ihre Sohne nach der Väter Brauch dem Feuergott zu opfern, entsagten sie dadurch weder der Idee des Wohlwollens im allgemeinen, noch der Liebe zu ihren Kindern im besondern; vielmehr würde das Opfer ohne die grausame Verwundung ihrer Vaterherzen gar keinen Wert gehabt haben. Sie thaten nichts andres, als was heutige Eltern thun, wenn sie ihre Söhne fürs Vaterland den Kanonen des Feindes entgegenschicken. Nur darin irrten sie, daß sie jene nutzlose Verbrennung für ein Mittel zur Rettung des Vaterlandes hielten. Es ist richtig, daß religiöse und philosophische Irrtümer, wenn sie lange und nachhaltig auf ein Volk einwirken, Verwilderung oder Verweichlichung erzeugen können, aber an sich stoßen sie die Moralgrnndsätze nicht um. Die Bedeutung religiöser und philosophischer Vorstellungen für die Moral liegt darin, daß sie uus kräftige Beweggründe zum richtigen Handeln entweder liefern oder entziehen. Die christliche Religion ist vorzugsweise darum ein Segen, weil sie durch den unerschütterlichen Glaube» an die göttliche Ver¬ geltung und durch die Hoffn»ug auf das ewige Lebe» auch diejenige» zu Helden im Guten macht, denen Nieder die Antriebe des Ehrgeizes und der Herrschsucht, »och die Tröstungen der Philosophie zur Verfügung stehe»! die Weiber, die Kinder und die Armen. Übrigens ist es mit dem Troste der Philosophie nicht weit her; er reicht gewöhnlich so lange, als der Philosoph bei gutem Gehalt und in einer bequem eingerichteten Schreibstube keinen Trost nötig hat, wie auch die Pessimisten die irdische» Ge»uffe nur so lauge für Illusionen erklären, als sie ihr bescheidnes Teil daran genießen; während sie, wenn sie einmal acht Tage lang im Kerker fasten müßten, sofort inne werde» würden, daß ein guter Braten, ein gutes Glas Wei», eine bequeme Wohnung und el» gutes Bett ganz und gar keine Illusionen, sondern ganz substantielle Güter sind. Daher ist auch die schöne Predigt des Herrn Carus über die Wert- losigkeit der irdischen Glückseligkeit und seine Mahnung, in der Pflichterfüllung Befriedigung zu suchen, nur für solche Leute, de»e» die Pflichterfüllung nebenbei auch jene irdischen Kleinigkeiten abwirft, die sie nicht zu suchen sich vielleicht überreden mögen. Bleiben diese in der Theorie geringschätzig behandelten Dinge aus, dann verfehlt der „Melivrismus" des Herrn Carus seine Wirkung. Melivrismus nennt er den Glauben an die beständige Verbesserung — ja, wessen? ^, zu dem er uns dnrch seine „evvlutiouistische und monistische" Philosophie verhelfen will, während, wie er behauptet, der gewöhnliche Monis- mus der Materialiste» »ut Idealisten zum Optimismus, der Dualismus not¬ wendigerweise zum Pessimismus führe, was, »ebeubei gesagt, offenbar der Erfahrung widerspricht. Was soll denu besser werden? Die materielle Lage der Menschen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/26>, abgerufen am 23.07.2024.