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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das Dunkel der Zukunft

Wohnung zu beklagen, der ihr nicht selten schwere Stunden bereitet but. Von
früh an stieß die Hierarchie auf übermütige Kritiker, die irgend einen Teil der
weitläuftigen Behauptungen der frommen Männer angriffen; es waren nicht
immer Dogmen, deren es ja nicht so viele giebt, aber fromme Meinungen,
auf die Angriffe zu machen "frommen Ohren" schmerzlich ist. Dies ist ja
eiuer der acht Gründe, aus denen die Hierarchie Schriften verdammt. Bis
auf Pius IX. und unsre Tage geht der Anspruch, daß auch die Gelehrten
wie Döllinger sich nicht bloß unterwerfen müssen dem ausdrücklich festgestellten,
sondern, daß sie auch darnach sich orientiren müssen "in den Wahrheiten, die
durch die menschliche Vernunft erkannt werden." Das ist von der Hierarchie
durchnns folgerichtig gedacht. Es ist daher ganz klug, Männern von bewährter
Kirchlichkeit zuweilen kritische Untersuchungen zu gestatten, wenn man weiß,
daß dabei nur das gute Alte herauskommt oder der so gehaßte "scheinbare"
Fortschritt als solcher entlarvt wird. Aber an sich ist die Kritik für diese
hierarchische Welt voll Gefahren. Eine ganz passende Redensart, die auch bei
Romautikeru vorkommt, ist daher, dieses kritische Denken als "freches" Denken
zu bezeichnen. Es macht sich eben an alles, anch an das Heiligste, und wenn
es sich irgendwo, wie bei Fciradah gezeigt wurde, bescheidet und ein Avr ki^net,
nusspricht, so kommt diese Bescheidenheit nicht aus einem gebietenden Kardinnls-
kolleginm, sondern aus dem Denken selbst, das seine Grenzen anerkennt, und
ach, wie enge Grenzen!

Nun ist es eine selbstverständliche Sache, daß die meisten Menschen, auch
in der Zukunft, in einer Bildungsschicht leben werden, die mit dem soeben
geschilderten grundsätzlichen Zweifel nichts machen kann. Die meisten werden
von den Arbeiten des täglichen Lebens so eingenommen, daß sie nnr noch Zeit
und Kraft finden für die besondern Bedürfnisse des Gemütslebens und der
Frömmigkeit; auch die Gebildeten lassen sich ihre Ansichten über die Verhält¬
nisse, die sich ihrer eignen Beobachtung entziehen, durch die Fachgelehrten in
Vortrag und Presse zurechtmachen; so schließen sie sich allgemeinen Meinungen
gern an, wenn sie bemerkt haben, daß freie Forschung und öffentliche Er¬
örterung sie festgestellt hat. Die meisten Menschen beruhigen sich nnter der
Voraussetzung des freien Geisteslebens dabei, daß sie gewisse Dinge so sehen,
wie die Männer, vor denen sie Achtung hegen. Aber durch diesen Umstand
wird die hierarchische Knechtung des "frechen" Denkens nicht im mindesten
harmloser. Auch der persönlich zur Skepsis nicht berufene Mensch wird
beengt, wenn er hört, daß auf irgend einem Punkte jemand den Höher-
strebcnden uuter seinen Brüdern Gewalt anthut. Es ist das Bewußtsein des
geistigen Organismus der Menschheit, das wir in uns tragen. Die Anhänger
der Hierarchie sind zuweilen erstaunt, daß die Freicrgerichteteu so oft den
alten Galilei vorführen, der vou vornehmen Priestern genötigt wurde zu
schwöre", daß die Erde stille stehe, weil dies in der Bibel gelehrt werde.


Das Dunkel der Zukunft

Wohnung zu beklagen, der ihr nicht selten schwere Stunden bereitet but. Von
früh an stieß die Hierarchie auf übermütige Kritiker, die irgend einen Teil der
weitläuftigen Behauptungen der frommen Männer angriffen; es waren nicht
immer Dogmen, deren es ja nicht so viele giebt, aber fromme Meinungen,
auf die Angriffe zu machen „frommen Ohren" schmerzlich ist. Dies ist ja
eiuer der acht Gründe, aus denen die Hierarchie Schriften verdammt. Bis
auf Pius IX. und unsre Tage geht der Anspruch, daß auch die Gelehrten
wie Döllinger sich nicht bloß unterwerfen müssen dem ausdrücklich festgestellten,
sondern, daß sie auch darnach sich orientiren müssen „in den Wahrheiten, die
durch die menschliche Vernunft erkannt werden." Das ist von der Hierarchie
durchnns folgerichtig gedacht. Es ist daher ganz klug, Männern von bewährter
Kirchlichkeit zuweilen kritische Untersuchungen zu gestatten, wenn man weiß,
daß dabei nur das gute Alte herauskommt oder der so gehaßte „scheinbare"
Fortschritt als solcher entlarvt wird. Aber an sich ist die Kritik für diese
hierarchische Welt voll Gefahren. Eine ganz passende Redensart, die auch bei
Romautikeru vorkommt, ist daher, dieses kritische Denken als „freches" Denken
zu bezeichnen. Es macht sich eben an alles, anch an das Heiligste, und wenn
es sich irgendwo, wie bei Fciradah gezeigt wurde, bescheidet und ein Avr ki^net,
nusspricht, so kommt diese Bescheidenheit nicht aus einem gebietenden Kardinnls-
kolleginm, sondern aus dem Denken selbst, das seine Grenzen anerkennt, und
ach, wie enge Grenzen!

Nun ist es eine selbstverständliche Sache, daß die meisten Menschen, auch
in der Zukunft, in einer Bildungsschicht leben werden, die mit dem soeben
geschilderten grundsätzlichen Zweifel nichts machen kann. Die meisten werden
von den Arbeiten des täglichen Lebens so eingenommen, daß sie nnr noch Zeit
und Kraft finden für die besondern Bedürfnisse des Gemütslebens und der
Frömmigkeit; auch die Gebildeten lassen sich ihre Ansichten über die Verhält¬
nisse, die sich ihrer eignen Beobachtung entziehen, durch die Fachgelehrten in
Vortrag und Presse zurechtmachen; so schließen sie sich allgemeinen Meinungen
gern an, wenn sie bemerkt haben, daß freie Forschung und öffentliche Er¬
örterung sie festgestellt hat. Die meisten Menschen beruhigen sich nnter der
Voraussetzung des freien Geisteslebens dabei, daß sie gewisse Dinge so sehen,
wie die Männer, vor denen sie Achtung hegen. Aber durch diesen Umstand
wird die hierarchische Knechtung des „frechen" Denkens nicht im mindesten
harmloser. Auch der persönlich zur Skepsis nicht berufene Mensch wird
beengt, wenn er hört, daß auf irgend einem Punkte jemand den Höher-
strebcnden uuter seinen Brüdern Gewalt anthut. Es ist das Bewußtsein des
geistigen Organismus der Menschheit, das wir in uns tragen. Die Anhänger
der Hierarchie sind zuweilen erstaunt, daß die Freicrgerichteteu so oft den
alten Galilei vorführen, der vou vornehmen Priestern genötigt wurde zu
schwöre», daß die Erde stille stehe, weil dies in der Bibel gelehrt werde.


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[0259] Das Dunkel der Zukunft Wohnung zu beklagen, der ihr nicht selten schwere Stunden bereitet but. Von früh an stieß die Hierarchie auf übermütige Kritiker, die irgend einen Teil der weitläuftigen Behauptungen der frommen Männer angriffen; es waren nicht immer Dogmen, deren es ja nicht so viele giebt, aber fromme Meinungen, auf die Angriffe zu machen „frommen Ohren" schmerzlich ist. Dies ist ja eiuer der acht Gründe, aus denen die Hierarchie Schriften verdammt. Bis auf Pius IX. und unsre Tage geht der Anspruch, daß auch die Gelehrten wie Döllinger sich nicht bloß unterwerfen müssen dem ausdrücklich festgestellten, sondern, daß sie auch darnach sich orientiren müssen „in den Wahrheiten, die durch die menschliche Vernunft erkannt werden." Das ist von der Hierarchie durchnns folgerichtig gedacht. Es ist daher ganz klug, Männern von bewährter Kirchlichkeit zuweilen kritische Untersuchungen zu gestatten, wenn man weiß, daß dabei nur das gute Alte herauskommt oder der so gehaßte „scheinbare" Fortschritt als solcher entlarvt wird. Aber an sich ist die Kritik für diese hierarchische Welt voll Gefahren. Eine ganz passende Redensart, die auch bei Romautikeru vorkommt, ist daher, dieses kritische Denken als „freches" Denken zu bezeichnen. Es macht sich eben an alles, anch an das Heiligste, und wenn es sich irgendwo, wie bei Fciradah gezeigt wurde, bescheidet und ein Avr ki^net, nusspricht, so kommt diese Bescheidenheit nicht aus einem gebietenden Kardinnls- kolleginm, sondern aus dem Denken selbst, das seine Grenzen anerkennt, und ach, wie enge Grenzen! Nun ist es eine selbstverständliche Sache, daß die meisten Menschen, auch in der Zukunft, in einer Bildungsschicht leben werden, die mit dem soeben geschilderten grundsätzlichen Zweifel nichts machen kann. Die meisten werden von den Arbeiten des täglichen Lebens so eingenommen, daß sie nnr noch Zeit und Kraft finden für die besondern Bedürfnisse des Gemütslebens und der Frömmigkeit; auch die Gebildeten lassen sich ihre Ansichten über die Verhält¬ nisse, die sich ihrer eignen Beobachtung entziehen, durch die Fachgelehrten in Vortrag und Presse zurechtmachen; so schließen sie sich allgemeinen Meinungen gern an, wenn sie bemerkt haben, daß freie Forschung und öffentliche Er¬ örterung sie festgestellt hat. Die meisten Menschen beruhigen sich nnter der Voraussetzung des freien Geisteslebens dabei, daß sie gewisse Dinge so sehen, wie die Männer, vor denen sie Achtung hegen. Aber durch diesen Umstand wird die hierarchische Knechtung des „frechen" Denkens nicht im mindesten harmloser. Auch der persönlich zur Skepsis nicht berufene Mensch wird beengt, wenn er hört, daß auf irgend einem Punkte jemand den Höher- strebcnden uuter seinen Brüdern Gewalt anthut. Es ist das Bewußtsein des geistigen Organismus der Menschheit, das wir in uns tragen. Die Anhänger der Hierarchie sind zuweilen erstaunt, daß die Freicrgerichteteu so oft den alten Galilei vorführen, der vou vornehmen Priestern genötigt wurde zu schwöre», daß die Erde stille stehe, weil dies in der Bibel gelehrt werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/259>, abgerufen am 23.07.2024.