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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die wirtschaftlichen Grundlagen der russischen Machtstellung

1799 nicht 20 pro Mille überstieg, habe in dem Zeitraume von 1865 bis 1885
35,6 pro Mille, also beinahe das Doppelte betragen. Dabei müsse in Betracht
gezogen werden, daß die Sterblichkeit auf dein Lande noch größer sei, als in
den Städten. Dazu sei es die ländliche Bevölkerung, die durch die Ver¬
teuerung bestimmter Manufakturen am schwersten betroffen werde. So seien
z. B. die landwirtschaftlichen Geräte in Rußland 119 Prozent teurer als in
Österreich, 159 Prozent teurer als in Deutschland, im Vergleich zu Finnland
aber gar 498 Prozent teurer (der letztere Abstand ist eine der Triebfedern zu
der jetzigen Nussifizirung Finnlands). Erzeugnisse der Vaumwolleumanufaktur
zahle der Nüsse 105 Prozent teurer als der Finnländer, 357 und 445 Pro¬
zent teurer als der Deutsche und der Österreicher. Bei genauer Anrechnung
ergebe sich, daß der hohe Ertrag der russischen Industrie einer allgemeinen
Kopfsteuer vou 5 Rubeln 77^/-, Kopeken gleichkomme. Selbst wenn mau diese
Zahl als übertrieben auf die Hälfte herabsetzen wolle, bleibe immer noch eine
Last, die höher sei, als die von der Regierung aufgehobene Kopfsteuer.

Dazu komme, daß jene Belastung zu Gunsten der russischen Industrie
die weitere Folge gehabt habe, daß die seit 1877 so wesentlich erhöhten Zölle
seit 1879 Vonseiten des Allslandes einen nnfaugs noch recht mäßige" Getreide¬
zoll hervorgerufen hätten, der aber in dem Verhältnis der steigenden russischen
Schutzzölle auch seinerseits erhöht worden sei, sodaß schon 1888 die russischen
Landwirte dem Auslande für ihr Korn 48400000 Rubel Metall hätten ent¬
richten müssen. So sei, je mehr sich die Schutzzölle zum Besten der Industrie
gehoben hätten, die Landwirtschaft umso mehr zurückgegangen.

Die augenblickliche Lage sei die, daß der russische Bauer dem Auslande
18 Kopeken vom Pud an Zoll einrichten müsse, zugleich aber die ihm nötigen
Manufakturen entweder dreifach teurer bezahlen oder auf ihren Gebrauch ver¬
zichten müsse. Wie das wirke, zeige am deutlichste,: der immer niedriger
werdende Verbrauch von Eisen. Während in England 10, in Frankreich 6,
in Deutschland 5 Pud Eisen auf deu Kopf kommen, falle in Rußland ein
halbes Pud Eisen jährlich auf deu Kopf. "Die Lage der russischen Land¬
wirtschaft hat sich im Laufe der Zeit keineswegs verbessert, sie ist vielmehr
stetig schlechter geworden. Die Regierung aber, die 1885 die landwirtschaft¬
lichen Maschinen und Gerätschaften mit einem Zoll von 50 Kopeken Metall
vom Pud belegte, hat ihn 1387 auf 70 Kopeken Metall erhöht und dazu
noch eine Reihe von Maschinen: Lokomobilen, Heupressen, Handmühlen, Eleva¬
toren u. s. w., mit einem besondern Zoll von 1 Rubel 40 Kopeken Metall
beschwert."

Endlich müsse noch die schwere Verschuldung des gesamten Grundbesitzes
in Betracht gezogen werden. Es sei eine trügerische Hoffnung, wenn man
erwarte, daß die von der Regierung gewährten Kredite hier Abhilfe schaffen
könnte". Neben der sozusagen offiziellen Schuld bei den Banken gehe noch


Die wirtschaftlichen Grundlagen der russischen Machtstellung

1799 nicht 20 pro Mille überstieg, habe in dem Zeitraume von 1865 bis 1885
35,6 pro Mille, also beinahe das Doppelte betragen. Dabei müsse in Betracht
gezogen werden, daß die Sterblichkeit auf dein Lande noch größer sei, als in
den Städten. Dazu sei es die ländliche Bevölkerung, die durch die Ver¬
teuerung bestimmter Manufakturen am schwersten betroffen werde. So seien
z. B. die landwirtschaftlichen Geräte in Rußland 119 Prozent teurer als in
Österreich, 159 Prozent teurer als in Deutschland, im Vergleich zu Finnland
aber gar 498 Prozent teurer (der letztere Abstand ist eine der Triebfedern zu
der jetzigen Nussifizirung Finnlands). Erzeugnisse der Vaumwolleumanufaktur
zahle der Nüsse 105 Prozent teurer als der Finnländer, 357 und 445 Pro¬
zent teurer als der Deutsche und der Österreicher. Bei genauer Anrechnung
ergebe sich, daß der hohe Ertrag der russischen Industrie einer allgemeinen
Kopfsteuer vou 5 Rubeln 77^/-, Kopeken gleichkomme. Selbst wenn mau diese
Zahl als übertrieben auf die Hälfte herabsetzen wolle, bleibe immer noch eine
Last, die höher sei, als die von der Regierung aufgehobene Kopfsteuer.

Dazu komme, daß jene Belastung zu Gunsten der russischen Industrie
die weitere Folge gehabt habe, daß die seit 1877 so wesentlich erhöhten Zölle
seit 1879 Vonseiten des Allslandes einen nnfaugs noch recht mäßige» Getreide¬
zoll hervorgerufen hätten, der aber in dem Verhältnis der steigenden russischen
Schutzzölle auch seinerseits erhöht worden sei, sodaß schon 1888 die russischen
Landwirte dem Auslande für ihr Korn 48400000 Rubel Metall hätten ent¬
richten müssen. So sei, je mehr sich die Schutzzölle zum Besten der Industrie
gehoben hätten, die Landwirtschaft umso mehr zurückgegangen.

Die augenblickliche Lage sei die, daß der russische Bauer dem Auslande
18 Kopeken vom Pud an Zoll einrichten müsse, zugleich aber die ihm nötigen
Manufakturen entweder dreifach teurer bezahlen oder auf ihren Gebrauch ver¬
zichten müsse. Wie das wirke, zeige am deutlichste,: der immer niedriger
werdende Verbrauch von Eisen. Während in England 10, in Frankreich 6,
in Deutschland 5 Pud Eisen auf deu Kopf kommen, falle in Rußland ein
halbes Pud Eisen jährlich auf deu Kopf. „Die Lage der russischen Land¬
wirtschaft hat sich im Laufe der Zeit keineswegs verbessert, sie ist vielmehr
stetig schlechter geworden. Die Regierung aber, die 1885 die landwirtschaft¬
lichen Maschinen und Gerätschaften mit einem Zoll von 50 Kopeken Metall
vom Pud belegte, hat ihn 1387 auf 70 Kopeken Metall erhöht und dazu
noch eine Reihe von Maschinen: Lokomobilen, Heupressen, Handmühlen, Eleva¬
toren u. s. w., mit einem besondern Zoll von 1 Rubel 40 Kopeken Metall
beschwert."

Endlich müsse noch die schwere Verschuldung des gesamten Grundbesitzes
in Betracht gezogen werden. Es sei eine trügerische Hoffnung, wenn man
erwarte, daß die von der Regierung gewährten Kredite hier Abhilfe schaffen
könnte«. Neben der sozusagen offiziellen Schuld bei den Banken gehe noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/253>, abgerufen am 25.08.2024.