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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Neue Lyrik

Wie Eltern suche" zu erfüllen,
Was ihre Kinder wünsche" unbewußt,
So wird Erfüllung erst dereinst enthüllen
Den tiefsten Wunsch der Menschenbrust,

So geht er also nicht gänzlich auf in der Philosophie, in dem verstandes¬
müßigen Betrachten der Welt. Er hat keine volle Befriedigung in ihr ge¬
funden, weder sachlich als Lösung der Rätsel, noch persönlich als Gewährung
von Harmonie und Glück. Er ist eben bei allen philosophischen Neigungen
noch immer Dichter, und damit sind wir auf deu Kern seiner Persönlichkeit
gekommen, der für ihn Ausgnng und Mittelpunkt aller kritischen Produktion
geworden ist. Er fühlt sich als Dichter, und mit Recht; aber er ist doch schon
zu viel Denker geworden, um ein ganzer, voller, großer, um ausschließlich nur
Dichter zu sein. Die beiden Formen geistigen Schaffens sind zu gegensätzlich,
um sich neben einander Pflegen zu lassei?, man kann recht nur eines oder das
andre sein. Der Dichter fragt nicht nach den Rätseln der Welt, sondern fühlt
sie höchstens und spricht unmittelbar das Gefühl des Wunders aus, als That¬
sache, nicht als Problem. Der Dichter ist besessen von seinen Bildern, er
kann und muß sich selbst darüber vergessen, der Philosoph schaut ihnen ge¬
lassen zu, er will sogar die letzten Augenblicke seines Lebens beobachten. Man
kann nicht naiv und reslektirend zugleich sein. Hat einmal der Trieb zur
Selbstbeobachtung eine gewisse Stärke gewonnen, so ist der dichterische Trieb
gehemmt. Oster spricht Berger in dunkler Weise von seinem Weh, das "so
dunkel wie eine Sage," das "so rein wie Weihnachtsschnee" ist; da meint er
immer nur den Schmerz des Dichtenwollens und Nichtdichtenkönnens. Denn
wie er in andern Gedichten verrät, ist ihm der Lorbeer des Dichters der
höchste erstrebenswerte, er liebt die Poesie leidenschaftlich:


Was euch bedruckt, was euch entzückt,
Ist äußre Schmach, ist äußre Zier,
Was mich zermalmt, was mich beglückt,
Trag' ich in mir.
Ein Lied -- uicht mehr: der Nebelstern --
-- Verwöhnte Brust, was zagst dn noch? --
Der Welt ein Nichts, den Menschen fern,
Ist Sonne doch!

Sein "tiefster Wunsch" geht nnr dahin, ,,ein echtes, schlichtes Buch" zu
schreiben:


Und fühle,
Daß ich schaffend mir erwerbe
Das ruhige Recht,
Die schöne Welt,
Die el" banges,
Drängendes Gefühl

Neue Lyrik

Wie Eltern suche» zu erfüllen,
Was ihre Kinder wünsche» unbewußt,
So wird Erfüllung erst dereinst enthüllen
Den tiefsten Wunsch der Menschenbrust,

So geht er also nicht gänzlich auf in der Philosophie, in dem verstandes¬
müßigen Betrachten der Welt. Er hat keine volle Befriedigung in ihr ge¬
funden, weder sachlich als Lösung der Rätsel, noch persönlich als Gewährung
von Harmonie und Glück. Er ist eben bei allen philosophischen Neigungen
noch immer Dichter, und damit sind wir auf deu Kern seiner Persönlichkeit
gekommen, der für ihn Ausgnng und Mittelpunkt aller kritischen Produktion
geworden ist. Er fühlt sich als Dichter, und mit Recht; aber er ist doch schon
zu viel Denker geworden, um ein ganzer, voller, großer, um ausschließlich nur
Dichter zu sein. Die beiden Formen geistigen Schaffens sind zu gegensätzlich,
um sich neben einander Pflegen zu lassei?, man kann recht nur eines oder das
andre sein. Der Dichter fragt nicht nach den Rätseln der Welt, sondern fühlt
sie höchstens und spricht unmittelbar das Gefühl des Wunders aus, als That¬
sache, nicht als Problem. Der Dichter ist besessen von seinen Bildern, er
kann und muß sich selbst darüber vergessen, der Philosoph schaut ihnen ge¬
lassen zu, er will sogar die letzten Augenblicke seines Lebens beobachten. Man
kann nicht naiv und reslektirend zugleich sein. Hat einmal der Trieb zur
Selbstbeobachtung eine gewisse Stärke gewonnen, so ist der dichterische Trieb
gehemmt. Oster spricht Berger in dunkler Weise von seinem Weh, das „so
dunkel wie eine Sage," das „so rein wie Weihnachtsschnee" ist; da meint er
immer nur den Schmerz des Dichtenwollens und Nichtdichtenkönnens. Denn
wie er in andern Gedichten verrät, ist ihm der Lorbeer des Dichters der
höchste erstrebenswerte, er liebt die Poesie leidenschaftlich:


Was euch bedruckt, was euch entzückt,
Ist äußre Schmach, ist äußre Zier,
Was mich zermalmt, was mich beglückt,
Trag' ich in mir.
Ein Lied — uicht mehr: der Nebelstern —
— Verwöhnte Brust, was zagst dn noch? —
Der Welt ein Nichts, den Menschen fern,
Ist Sonne doch!

Sein „tiefster Wunsch" geht nnr dahin, ,,ein echtes, schlichtes Buch" zu
schreiben:


Und fühle,
Daß ich schaffend mir erwerbe
Das ruhige Recht,
Die schöne Welt,
Die el» banges,
Drängendes Gefühl

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[0238] Neue Lyrik Wie Eltern suche» zu erfüllen, Was ihre Kinder wünsche» unbewußt, So wird Erfüllung erst dereinst enthüllen Den tiefsten Wunsch der Menschenbrust, So geht er also nicht gänzlich auf in der Philosophie, in dem verstandes¬ müßigen Betrachten der Welt. Er hat keine volle Befriedigung in ihr ge¬ funden, weder sachlich als Lösung der Rätsel, noch persönlich als Gewährung von Harmonie und Glück. Er ist eben bei allen philosophischen Neigungen noch immer Dichter, und damit sind wir auf deu Kern seiner Persönlichkeit gekommen, der für ihn Ausgnng und Mittelpunkt aller kritischen Produktion geworden ist. Er fühlt sich als Dichter, und mit Recht; aber er ist doch schon zu viel Denker geworden, um ein ganzer, voller, großer, um ausschließlich nur Dichter zu sein. Die beiden Formen geistigen Schaffens sind zu gegensätzlich, um sich neben einander Pflegen zu lassei?, man kann recht nur eines oder das andre sein. Der Dichter fragt nicht nach den Rätseln der Welt, sondern fühlt sie höchstens und spricht unmittelbar das Gefühl des Wunders aus, als That¬ sache, nicht als Problem. Der Dichter ist besessen von seinen Bildern, er kann und muß sich selbst darüber vergessen, der Philosoph schaut ihnen ge¬ lassen zu, er will sogar die letzten Augenblicke seines Lebens beobachten. Man kann nicht naiv und reslektirend zugleich sein. Hat einmal der Trieb zur Selbstbeobachtung eine gewisse Stärke gewonnen, so ist der dichterische Trieb gehemmt. Oster spricht Berger in dunkler Weise von seinem Weh, das „so dunkel wie eine Sage," das „so rein wie Weihnachtsschnee" ist; da meint er immer nur den Schmerz des Dichtenwollens und Nichtdichtenkönnens. Denn wie er in andern Gedichten verrät, ist ihm der Lorbeer des Dichters der höchste erstrebenswerte, er liebt die Poesie leidenschaftlich: Was euch bedruckt, was euch entzückt, Ist äußre Schmach, ist äußre Zier, Was mich zermalmt, was mich beglückt, Trag' ich in mir. Ein Lied — uicht mehr: der Nebelstern — — Verwöhnte Brust, was zagst dn noch? — Der Welt ein Nichts, den Menschen fern, Ist Sonne doch! Sein „tiefster Wunsch" geht nnr dahin, ,,ein echtes, schlichtes Buch" zu schreiben: Und fühle, Daß ich schaffend mir erwerbe Das ruhige Recht, Die schöne Welt, Die el» banges, Drängendes Gefühl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/238>, abgerufen am 25.08.2024.