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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Neue Lyrik

Anton von Schultern (1832 bis 1389) zu nachträglichen dichterischen
Ehren.*) Die auf ihre Stammesart stolzen Tiroler werden bald alle Ursache
haben, den Leipziger Verleger als einen der ihrigen zu preisen. Die mit großer
Sorgfalt und kritischer Borsicht Heransgegebenen Gedichte Schullerns, denen
eine interessante und mit wissenschaftlicher Vornehmheit geschriebene Biographie
des trefflichen Mannes vorausgeht, haben es aber auch in Wahrheit verdient,
aus dem Dunkel des Familienarchivs ans Licht der Öffentlichkeit gezogen zu
werden. Zu seinen Lebzeiten war der rastlos thätige Mann zu bescheiden,
um die Sammlung herauszugeben. Im Liebeskindschen Verlage darf sie ohne
Bedenken an poetischem Wert deu Gedichten Baumbachs und Gnus und den
Idyllen Heinrich Seidels gleichgestellt werden.

Die Tiroler haben einen so ausgeprägten Stammescharakter, sowohl
litterarisch als auch politisch und menschlich, daß man bei einer Sammlung
tirolischer Lyrik unwillkürlich zunächst darnach^ fragt, wie das Tirolertum darin
poetischen Ausdruck gefunden habe. Es fehlt auch den Schullernschen Gedichten
nicht, aber es ist doch nicht ihre Seele, wie es in der Poesie Gnus und
Piasters der Fall ist. Zwar wird die Sammlung mit einem anmutigen Bilde
eines Tiroler "Vadls" -- eines Kurortes mit warmer Mineralquelle und
bäuerischen Einrichtungen -- von vor dreißig und mehr Jahren eröffnet, aber
das ist auch alles Tirolische (mit Ausnahme etwa des Gedichtes zur
Leichenfeier Gnus 1868), was die Sammlung bietet. Und dies entspricht
auch dem Wesen des Mannes, von dem die Lieder herrühren. Schultern
war zwar ein guter Patriot, er hat sich mit ganz geringen Unterbrechungen Zeit
seines Lebens in der Heimat, in Innsbruck und Umgebung, aufgehalten, wo er
als Lehrer am Gymnasium (Germanist) 1356, dann als Herausgeber der
Jnnzeitung 1850, als Publizist, als Bezirksschuliuspeltor, als Schriftführer
des Landesmnscuins, als Gemeinderat und schließlich als Statthaltereikonzipist,
nebenbei als Gründer des Volksschnlvereins, als Obmann des Turnvereins
u. s. w. in zahllosen Formen unermüdlich und immer liebenswürdig wirkte --
aber von seinem Tirolertnm hat er, im Unterschiede von vielen andern
litterarischem Stammesgenossen, niemals viel Aufhebens gemacht. Er war
ein Weltmann und fühlte sich zu Hause in der großen Gesellschaft der Ge¬
brüder Grimm, deren Vorlesungen er in Berlin 1855 gehört hatte. So
entspricht es denn zwar der Wahrheit seines ganzen Wesens, daß seine Ge¬
dichte mit der schönen Idylle eines Tiroler Kurbades eingeleitet werden, weil
sich gleichsam von dem landschaftlichen Hintergrunde der herrlichen Alpenwelt
seine eigne Persönlichkeit liebenswürdig abhebt, aber mehr bietet, wie gesagt,
das Büchlein davon nicht, und diese Idylle "Hedwig," die übrigens eine seiner



*) Gedichte von Anton von Schultern. Aus dem Nachlasse gesammelt und heraus¬
gegeben von seineu Freunde", Leipzig, A. G. Liebeskind, 1390.
Neue Lyrik

Anton von Schultern (1832 bis 1389) zu nachträglichen dichterischen
Ehren.*) Die auf ihre Stammesart stolzen Tiroler werden bald alle Ursache
haben, den Leipziger Verleger als einen der ihrigen zu preisen. Die mit großer
Sorgfalt und kritischer Borsicht Heransgegebenen Gedichte Schullerns, denen
eine interessante und mit wissenschaftlicher Vornehmheit geschriebene Biographie
des trefflichen Mannes vorausgeht, haben es aber auch in Wahrheit verdient,
aus dem Dunkel des Familienarchivs ans Licht der Öffentlichkeit gezogen zu
werden. Zu seinen Lebzeiten war der rastlos thätige Mann zu bescheiden,
um die Sammlung herauszugeben. Im Liebeskindschen Verlage darf sie ohne
Bedenken an poetischem Wert deu Gedichten Baumbachs und Gnus und den
Idyllen Heinrich Seidels gleichgestellt werden.

Die Tiroler haben einen so ausgeprägten Stammescharakter, sowohl
litterarisch als auch politisch und menschlich, daß man bei einer Sammlung
tirolischer Lyrik unwillkürlich zunächst darnach^ fragt, wie das Tirolertum darin
poetischen Ausdruck gefunden habe. Es fehlt auch den Schullernschen Gedichten
nicht, aber es ist doch nicht ihre Seele, wie es in der Poesie Gnus und
Piasters der Fall ist. Zwar wird die Sammlung mit einem anmutigen Bilde
eines Tiroler „Vadls" — eines Kurortes mit warmer Mineralquelle und
bäuerischen Einrichtungen — von vor dreißig und mehr Jahren eröffnet, aber
das ist auch alles Tirolische (mit Ausnahme etwa des Gedichtes zur
Leichenfeier Gnus 1868), was die Sammlung bietet. Und dies entspricht
auch dem Wesen des Mannes, von dem die Lieder herrühren. Schultern
war zwar ein guter Patriot, er hat sich mit ganz geringen Unterbrechungen Zeit
seines Lebens in der Heimat, in Innsbruck und Umgebung, aufgehalten, wo er
als Lehrer am Gymnasium (Germanist) 1356, dann als Herausgeber der
Jnnzeitung 1850, als Publizist, als Bezirksschuliuspeltor, als Schriftführer
des Landesmnscuins, als Gemeinderat und schließlich als Statthaltereikonzipist,
nebenbei als Gründer des Volksschnlvereins, als Obmann des Turnvereins
u. s. w. in zahllosen Formen unermüdlich und immer liebenswürdig wirkte —
aber von seinem Tirolertnm hat er, im Unterschiede von vielen andern
litterarischem Stammesgenossen, niemals viel Aufhebens gemacht. Er war
ein Weltmann und fühlte sich zu Hause in der großen Gesellschaft der Ge¬
brüder Grimm, deren Vorlesungen er in Berlin 1855 gehört hatte. So
entspricht es denn zwar der Wahrheit seines ganzen Wesens, daß seine Ge¬
dichte mit der schönen Idylle eines Tiroler Kurbades eingeleitet werden, weil
sich gleichsam von dem landschaftlichen Hintergrunde der herrlichen Alpenwelt
seine eigne Persönlichkeit liebenswürdig abhebt, aber mehr bietet, wie gesagt,
das Büchlein davon nicht, und diese Idylle „Hedwig," die übrigens eine seiner



*) Gedichte von Anton von Schultern. Aus dem Nachlasse gesammelt und heraus¬
gegeben von seineu Freunde», Leipzig, A. G. Liebeskind, 1390.
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[0232] Neue Lyrik Anton von Schultern (1832 bis 1389) zu nachträglichen dichterischen Ehren.*) Die auf ihre Stammesart stolzen Tiroler werden bald alle Ursache haben, den Leipziger Verleger als einen der ihrigen zu preisen. Die mit großer Sorgfalt und kritischer Borsicht Heransgegebenen Gedichte Schullerns, denen eine interessante und mit wissenschaftlicher Vornehmheit geschriebene Biographie des trefflichen Mannes vorausgeht, haben es aber auch in Wahrheit verdient, aus dem Dunkel des Familienarchivs ans Licht der Öffentlichkeit gezogen zu werden. Zu seinen Lebzeiten war der rastlos thätige Mann zu bescheiden, um die Sammlung herauszugeben. Im Liebeskindschen Verlage darf sie ohne Bedenken an poetischem Wert deu Gedichten Baumbachs und Gnus und den Idyllen Heinrich Seidels gleichgestellt werden. Die Tiroler haben einen so ausgeprägten Stammescharakter, sowohl litterarisch als auch politisch und menschlich, daß man bei einer Sammlung tirolischer Lyrik unwillkürlich zunächst darnach^ fragt, wie das Tirolertum darin poetischen Ausdruck gefunden habe. Es fehlt auch den Schullernschen Gedichten nicht, aber es ist doch nicht ihre Seele, wie es in der Poesie Gnus und Piasters der Fall ist. Zwar wird die Sammlung mit einem anmutigen Bilde eines Tiroler „Vadls" — eines Kurortes mit warmer Mineralquelle und bäuerischen Einrichtungen — von vor dreißig und mehr Jahren eröffnet, aber das ist auch alles Tirolische (mit Ausnahme etwa des Gedichtes zur Leichenfeier Gnus 1868), was die Sammlung bietet. Und dies entspricht auch dem Wesen des Mannes, von dem die Lieder herrühren. Schultern war zwar ein guter Patriot, er hat sich mit ganz geringen Unterbrechungen Zeit seines Lebens in der Heimat, in Innsbruck und Umgebung, aufgehalten, wo er als Lehrer am Gymnasium (Germanist) 1356, dann als Herausgeber der Jnnzeitung 1850, als Publizist, als Bezirksschuliuspeltor, als Schriftführer des Landesmnscuins, als Gemeinderat und schließlich als Statthaltereikonzipist, nebenbei als Gründer des Volksschnlvereins, als Obmann des Turnvereins u. s. w. in zahllosen Formen unermüdlich und immer liebenswürdig wirkte — aber von seinem Tirolertnm hat er, im Unterschiede von vielen andern litterarischem Stammesgenossen, niemals viel Aufhebens gemacht. Er war ein Weltmann und fühlte sich zu Hause in der großen Gesellschaft der Ge¬ brüder Grimm, deren Vorlesungen er in Berlin 1855 gehört hatte. So entspricht es denn zwar der Wahrheit seines ganzen Wesens, daß seine Ge¬ dichte mit der schönen Idylle eines Tiroler Kurbades eingeleitet werden, weil sich gleichsam von dem landschaftlichen Hintergrunde der herrlichen Alpenwelt seine eigne Persönlichkeit liebenswürdig abhebt, aber mehr bietet, wie gesagt, das Büchlein davon nicht, und diese Idylle „Hedwig," die übrigens eine seiner *) Gedichte von Anton von Schultern. Aus dem Nachlasse gesammelt und heraus¬ gegeben von seineu Freunde», Leipzig, A. G. Liebeskind, 1390.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/232>, abgerufen am 23.07.2024.