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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Rirchenpolitik des Großen Kurfürsten

Religionsübung nicht gehabt hatten, keinen Gebrauch machte und machen wollte,,
ja es für verwerflich erklärt und am liebsten volle Religions- und Gewissens¬
freiheit gewähren will. "Wir seind, Gott Lob, des Verstandes, daß wir Uns
über die Gewissen Unserer Unterthanen keines Inipörü anmaßen, sondern
dasselbige Gott allein anheimstellen." So hatte kein Mensch in deutschen
Landen seit Luther wieder gesprochen, der selbst den Nottengeistern ihren
Glauben und das Wort nicht hatte gewehrt wissen wollen, wenn er in dem
Schreiben an seinen Kurfürsten vom 21. August 1524 forderte: "Ew. F. Gu.
soll nicht wehren dem Amte des Worts. Man lasse sie nur getrost und frisch
predigen, was sie können oder wider wen sie wollen. Ist ihr Geist
recht, so wird er sich vor uns nicht fürchten und wohl bleiben. Ist unser
recht, so wird er sich vor ihnen auch nicht, noch vor jemand fürchten.
Wo sie aber wollen mehr thun, denn mit dem Wort fechten, wollen auch
brechen und schlagen mit der Faust, da sollen Ew. F. Gu. zugreifen, es seien
wir oder sie, und stracks das Land verboten und gesagt: Wir wollen gerne
leiden und zusehen, daß ihr mit dem Worte fechtet, daß die rechte Lehre be¬
währt werde; aber die Faust haltet stille; denn das ist unser Amt." Die
Grenze, die hier Luther scharf zieht, hat der Große Kurfürst, soviel er konnte,
beobachtet. Die Freiheit in religiösen Dingen gehörte bei ihm zur Frömmig¬
keit, scharf abwehrend war er nur, wo unter dem Deckmantel dieser Freiheit
ein Angriff auf seine weltlichen Hoheitsrechte gemacht werden sollte. Und so
ist die Schilderung gerecht und wahr, die Pufendorf, der größte staatsmännische
Kopf unter den Gelehrten, von ihm, dem größten Herrscher seiner Zeit, niacht:
"Es war in ihm eine aufrichtige Frömmigkeit. Seine angelegentlichste
Sorge war die Erhaltung der protestantischen Religion, die er auch bei den
andern Mächten auf alle Weise zu schützen und zu hüten versuchte. Wie es
aber sein heißester Wunsch war, die unter den Protestanten selbst entstandenen
Streitigkeiten auf eine passende und ruhige Weise beizulegen, so begleitete er,
da er selbst einen großen Theil seiner Unterthanen hatte, von. denen er be¬
treffs gewisser Glanbenspnnkte abwich, diese mit gleicher Huld und Zuneigung
wie alle andern, schützte sie und umhin sie, ohne irgend einen Unterschied zu
machen, je nach Tauglichkeit in seine Dienste. Auch den Nöiuisch-Katholischen
fügte er keine Unbill zu, beschwerte sie selbst uicht, noch litt er, daß sie von
andern beschwert wurden, sondern gewährte ihnen, sich ihrer Güter und Rechte
ungestört zu erfreuen. Und wie er es für baren Unverstand hielt, irgend
jemand zu hassen oder geringer zu schätzen wegen Verschiedenheit der Religion,
die wir doch meist nicht durch eigne Wahl, sondern dnrch die Geburt erlangen,
so hielt er es auch für Sünde (u"M"), die Religion aus menschlichen Rück¬
sichten zu ändern, und noch viel mehr für ein schweres Unrecht, irgend jemand
dnrch Gewalt oder Lockmittel, die der christlichen Religion fremd sind, zu
seinem Glauben zu zwingen."


Die Rirchenpolitik des Großen Kurfürsten

Religionsübung nicht gehabt hatten, keinen Gebrauch machte und machen wollte,,
ja es für verwerflich erklärt und am liebsten volle Religions- und Gewissens¬
freiheit gewähren will. „Wir seind, Gott Lob, des Verstandes, daß wir Uns
über die Gewissen Unserer Unterthanen keines Inipörü anmaßen, sondern
dasselbige Gott allein anheimstellen." So hatte kein Mensch in deutschen
Landen seit Luther wieder gesprochen, der selbst den Nottengeistern ihren
Glauben und das Wort nicht hatte gewehrt wissen wollen, wenn er in dem
Schreiben an seinen Kurfürsten vom 21. August 1524 forderte: „Ew. F. Gu.
soll nicht wehren dem Amte des Worts. Man lasse sie nur getrost und frisch
predigen, was sie können oder wider wen sie wollen. Ist ihr Geist
recht, so wird er sich vor uns nicht fürchten und wohl bleiben. Ist unser
recht, so wird er sich vor ihnen auch nicht, noch vor jemand fürchten.
Wo sie aber wollen mehr thun, denn mit dem Wort fechten, wollen auch
brechen und schlagen mit der Faust, da sollen Ew. F. Gu. zugreifen, es seien
wir oder sie, und stracks das Land verboten und gesagt: Wir wollen gerne
leiden und zusehen, daß ihr mit dem Worte fechtet, daß die rechte Lehre be¬
währt werde; aber die Faust haltet stille; denn das ist unser Amt." Die
Grenze, die hier Luther scharf zieht, hat der Große Kurfürst, soviel er konnte,
beobachtet. Die Freiheit in religiösen Dingen gehörte bei ihm zur Frömmig¬
keit, scharf abwehrend war er nur, wo unter dem Deckmantel dieser Freiheit
ein Angriff auf seine weltlichen Hoheitsrechte gemacht werden sollte. Und so
ist die Schilderung gerecht und wahr, die Pufendorf, der größte staatsmännische
Kopf unter den Gelehrten, von ihm, dem größten Herrscher seiner Zeit, niacht:
„Es war in ihm eine aufrichtige Frömmigkeit. Seine angelegentlichste
Sorge war die Erhaltung der protestantischen Religion, die er auch bei den
andern Mächten auf alle Weise zu schützen und zu hüten versuchte. Wie es
aber sein heißester Wunsch war, die unter den Protestanten selbst entstandenen
Streitigkeiten auf eine passende und ruhige Weise beizulegen, so begleitete er,
da er selbst einen großen Theil seiner Unterthanen hatte, von. denen er be¬
treffs gewisser Glanbenspnnkte abwich, diese mit gleicher Huld und Zuneigung
wie alle andern, schützte sie und umhin sie, ohne irgend einen Unterschied zu
machen, je nach Tauglichkeit in seine Dienste. Auch den Nöiuisch-Katholischen
fügte er keine Unbill zu, beschwerte sie selbst uicht, noch litt er, daß sie von
andern beschwert wurden, sondern gewährte ihnen, sich ihrer Güter und Rechte
ungestört zu erfreuen. Und wie er es für baren Unverstand hielt, irgend
jemand zu hassen oder geringer zu schätzen wegen Verschiedenheit der Religion,
die wir doch meist nicht durch eigne Wahl, sondern dnrch die Geburt erlangen,
so hielt er es auch für Sünde (u«M»), die Religion aus menschlichen Rück¬
sichten zu ändern, und noch viel mehr für ein schweres Unrecht, irgend jemand
dnrch Gewalt oder Lockmittel, die der christlichen Religion fremd sind, zu
seinem Glauben zu zwingen."


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[0216] Die Rirchenpolitik des Großen Kurfürsten Religionsübung nicht gehabt hatten, keinen Gebrauch machte und machen wollte,, ja es für verwerflich erklärt und am liebsten volle Religions- und Gewissens¬ freiheit gewähren will. „Wir seind, Gott Lob, des Verstandes, daß wir Uns über die Gewissen Unserer Unterthanen keines Inipörü anmaßen, sondern dasselbige Gott allein anheimstellen." So hatte kein Mensch in deutschen Landen seit Luther wieder gesprochen, der selbst den Nottengeistern ihren Glauben und das Wort nicht hatte gewehrt wissen wollen, wenn er in dem Schreiben an seinen Kurfürsten vom 21. August 1524 forderte: „Ew. F. Gu. soll nicht wehren dem Amte des Worts. Man lasse sie nur getrost und frisch predigen, was sie können oder wider wen sie wollen. Ist ihr Geist recht, so wird er sich vor uns nicht fürchten und wohl bleiben. Ist unser recht, so wird er sich vor ihnen auch nicht, noch vor jemand fürchten. Wo sie aber wollen mehr thun, denn mit dem Wort fechten, wollen auch brechen und schlagen mit der Faust, da sollen Ew. F. Gu. zugreifen, es seien wir oder sie, und stracks das Land verboten und gesagt: Wir wollen gerne leiden und zusehen, daß ihr mit dem Worte fechtet, daß die rechte Lehre be¬ währt werde; aber die Faust haltet stille; denn das ist unser Amt." Die Grenze, die hier Luther scharf zieht, hat der Große Kurfürst, soviel er konnte, beobachtet. Die Freiheit in religiösen Dingen gehörte bei ihm zur Frömmig¬ keit, scharf abwehrend war er nur, wo unter dem Deckmantel dieser Freiheit ein Angriff auf seine weltlichen Hoheitsrechte gemacht werden sollte. Und so ist die Schilderung gerecht und wahr, die Pufendorf, der größte staatsmännische Kopf unter den Gelehrten, von ihm, dem größten Herrscher seiner Zeit, niacht: „Es war in ihm eine aufrichtige Frömmigkeit. Seine angelegentlichste Sorge war die Erhaltung der protestantischen Religion, die er auch bei den andern Mächten auf alle Weise zu schützen und zu hüten versuchte. Wie es aber sein heißester Wunsch war, die unter den Protestanten selbst entstandenen Streitigkeiten auf eine passende und ruhige Weise beizulegen, so begleitete er, da er selbst einen großen Theil seiner Unterthanen hatte, von. denen er be¬ treffs gewisser Glanbenspnnkte abwich, diese mit gleicher Huld und Zuneigung wie alle andern, schützte sie und umhin sie, ohne irgend einen Unterschied zu machen, je nach Tauglichkeit in seine Dienste. Auch den Nöiuisch-Katholischen fügte er keine Unbill zu, beschwerte sie selbst uicht, noch litt er, daß sie von andern beschwert wurden, sondern gewährte ihnen, sich ihrer Güter und Rechte ungestört zu erfreuen. Und wie er es für baren Unverstand hielt, irgend jemand zu hassen oder geringer zu schätzen wegen Verschiedenheit der Religion, die wir doch meist nicht durch eigne Wahl, sondern dnrch die Geburt erlangen, so hielt er es auch für Sünde (u«M»), die Religion aus menschlichen Rück¬ sichten zu ändern, und noch viel mehr für ein schweres Unrecht, irgend jemand dnrch Gewalt oder Lockmittel, die der christlichen Religion fremd sind, zu seinem Glauben zu zwingen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/216>, abgerufen am 23.07.2024.