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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Arbeiterbewegung

die Arbeit niedergelegt worden ist, und es waren an diesen Streiks gegen
10000 Arbeiter beteiligt. Einige Aufstände sind mit großer Hartnäckigkeit
monatelang geführt worden. Es waren nicht bloß Lohnkämpfe, sondern da¬
neben trat vielfach das Bestreben der Arbeiter hervor, die Anerkennung ihrer
Organisation dem Arbeitgeber aufzudrängen. Die Streiks verteilen sich auf
nachstehende Gewerbszweige. In der Textilindustrie ist in sieben Fabriken die
Arbeit eingestellt worden. Es haben nämlich gestreikt in den Fabriken von
Stärker in Chemnitz 325 Personen, von Zwickert in Braunschweig 150, von
Bernhard in Bnrkhardsdorf 50 bis 60, von Weigert in Schmiedeberg 50, in
einer Weberei in Aachen 35, in einer Baumwollenspinnerei in Rochlitz 20
und sämtliche Arbeiter der "Leipziger Baumwollenweberei" zu Wolkenburg.
In der Metallindustrie ist der Streik der Taschen- und Federmesserschleifer in
Solingen zu verzeichnen, der gegen tausend Familien in Mitleidenschaft zog
und vier Wochen dauerte. Von dem Verbandsorgane der westfälischen Berg¬
arbeiter wurde zwar mehrfach mit einem Streik gedroht, auch machten sie
bei jeder Gelegenheit ihre bekannten Forderungen geltend; doch haben nur
bei Sprvckhövel auf der Zeche Blankenburg etwa 300 Mann die Arbeit nieder¬
gelegt. Die Befürchtung, daß dadurch ein allgemeiner Aufstand eingeleitet
werden würde, ist nicht eingetroffen. Stärker war die Bewegung wieder in
der Zigarrenfabrikation. Ein Streik in Liegnitz in der Fabrik von Conrad
war allerdings mir von kurzer Dauer; dagegen wurde mit großer Hart¬
näckigkeit in den Fabriken in Eschwege drei Monate lang gestreikt; die Zahl
der Ansstündigen betrug beinahe 300. Noch erbitterter wurde in Hamburg
und Altona gekümpft. Dort stellten in 27 Fabriken über 3000 Personen die
Arbeit ein; dieser Streik, der größte des Vierteljahrs, ist noch immer nicht
beigelegt. In der Lederindustrie streikten die Schuhmacher in Eisenach, Bockenheim
und Weimar, in allen diesen Fällen handelt es sich nur Schuhfabriken! mit
Maschinenbetrieb. Eine bedeutende Arbeitseinstellung ist weiter aus Erfurt
zu verzeichnen. Zwei Drittel der dortigen Schuhfabriken waren genötigt, ihre
Werkstätten zu schließen, 2000 Arbeiter waren an diesen: Aufstände, der sich
ebenfalls wochenlang hinzog, beteiligt. Gestreikt wurde endlich auch noch von
den Bnchbiudergehilfen in Hannover, den Holz- und Pantoffelarbeitern in
Schmolln, den Nahmenvergoldern in Berlin, den Tischlern in Hannover,
den Knnsttischlern der Firma Nahmen in Elberfeld, den Glasarbeitern in
Bergedorf und Ottensen, den Töpfern in Meißen und Berlin und den Zimmer-
leuten in Osterburg bei Magdeburg. Die Zahl der ausständigen Töpfer-
geselleu in Berlin betrug 400, bei den übrigen zuletztgencmnten Gewerbs-
zweigen war die Beteiligung wesentlich schwächer. Verhandlungen über die
Arbeitsbedingungen wurden noch von den Goldarbeitern in Berlin geführt;
es tum aber zu keinem Streik, wie dein, überhaupt in Berlin die Bewegung
am meisten nachgelassen hat. > ,'


Der gegenwärtige Stand der Arbeiterbewegung

die Arbeit niedergelegt worden ist, und es waren an diesen Streiks gegen
10000 Arbeiter beteiligt. Einige Aufstände sind mit großer Hartnäckigkeit
monatelang geführt worden. Es waren nicht bloß Lohnkämpfe, sondern da¬
neben trat vielfach das Bestreben der Arbeiter hervor, die Anerkennung ihrer
Organisation dem Arbeitgeber aufzudrängen. Die Streiks verteilen sich auf
nachstehende Gewerbszweige. In der Textilindustrie ist in sieben Fabriken die
Arbeit eingestellt worden. Es haben nämlich gestreikt in den Fabriken von
Stärker in Chemnitz 325 Personen, von Zwickert in Braunschweig 150, von
Bernhard in Bnrkhardsdorf 50 bis 60, von Weigert in Schmiedeberg 50, in
einer Weberei in Aachen 35, in einer Baumwollenspinnerei in Rochlitz 20
und sämtliche Arbeiter der „Leipziger Baumwollenweberei" zu Wolkenburg.
In der Metallindustrie ist der Streik der Taschen- und Federmesserschleifer in
Solingen zu verzeichnen, der gegen tausend Familien in Mitleidenschaft zog
und vier Wochen dauerte. Von dem Verbandsorgane der westfälischen Berg¬
arbeiter wurde zwar mehrfach mit einem Streik gedroht, auch machten sie
bei jeder Gelegenheit ihre bekannten Forderungen geltend; doch haben nur
bei Sprvckhövel auf der Zeche Blankenburg etwa 300 Mann die Arbeit nieder¬
gelegt. Die Befürchtung, daß dadurch ein allgemeiner Aufstand eingeleitet
werden würde, ist nicht eingetroffen. Stärker war die Bewegung wieder in
der Zigarrenfabrikation. Ein Streik in Liegnitz in der Fabrik von Conrad
war allerdings mir von kurzer Dauer; dagegen wurde mit großer Hart¬
näckigkeit in den Fabriken in Eschwege drei Monate lang gestreikt; die Zahl
der Ansstündigen betrug beinahe 300. Noch erbitterter wurde in Hamburg
und Altona gekümpft. Dort stellten in 27 Fabriken über 3000 Personen die
Arbeit ein; dieser Streik, der größte des Vierteljahrs, ist noch immer nicht
beigelegt. In der Lederindustrie streikten die Schuhmacher in Eisenach, Bockenheim
und Weimar, in allen diesen Fällen handelt es sich nur Schuhfabriken! mit
Maschinenbetrieb. Eine bedeutende Arbeitseinstellung ist weiter aus Erfurt
zu verzeichnen. Zwei Drittel der dortigen Schuhfabriken waren genötigt, ihre
Werkstätten zu schließen, 2000 Arbeiter waren an diesen: Aufstände, der sich
ebenfalls wochenlang hinzog, beteiligt. Gestreikt wurde endlich auch noch von
den Bnchbiudergehilfen in Hannover, den Holz- und Pantoffelarbeitern in
Schmolln, den Nahmenvergoldern in Berlin, den Tischlern in Hannover,
den Knnsttischlern der Firma Nahmen in Elberfeld, den Glasarbeitern in
Bergedorf und Ottensen, den Töpfern in Meißen und Berlin und den Zimmer-
leuten in Osterburg bei Magdeburg. Die Zahl der ausständigen Töpfer-
geselleu in Berlin betrug 400, bei den übrigen zuletztgencmnten Gewerbs-
zweigen war die Beteiligung wesentlich schwächer. Verhandlungen über die
Arbeitsbedingungen wurden noch von den Goldarbeitern in Berlin geführt;
es tum aber zu keinem Streik, wie dein, überhaupt in Berlin die Bewegung
am meisten nachgelassen hat. > ,'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/202>, abgerufen am 23.07.2024.