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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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nehme Besonnenheit in allen Handlungen; statt dessen bleibt er ein Kind des
Augenblicks, ein Sklave seines Temperaments, ein unbesonnener Gönner Hilfe¬
suchender, der viel verspricht und wenig hält. Die Verlegenheiten, in die ihn
seine unbedachten Zusicherungen der Familie Valmajour gegenüber versetzen,
sind eine ungemein glückliche Erfindung des Dichters. Wie selbst eine hohe
Stellung, wenn ihr Inhaber nicht die für sie erforderlichen politische" und
sittlichen Eigenschaften besitzt, die häßlichsten Verlegenheiten und ärgerlichsten
Demütigungen mit sich bringen kann, das ist der Kernpunkt dieser politischen
Satire, die statt "Numa Noumestnn" auch "Der Südfranzose als Staatsmann"
betitelt seil? könnte.

Noch schärfer tritt die Satire in dein Roman "Die Könige im Exil"
hervor. Als humoristische Figur kann allenfalls noch der botanisirende Rat
Boscovich angesehen werden; aber er nimmt nur eine ganz untergeordnete
Stellung in der Anlage des Romans ein, etwa wie eine skizzenhaft behandelte
Nebenfigur in einem Lustspiel, und nicht minder episodenhaft ist die an die
Feindseligkeiten von Hummel und Hahn in Freytags "Verlorener Handschrift"
erinnernde Rivalität zwischen Specht und Tom Levis. Der wesentliche In¬
halt ist eine schneidende Satire gegen das Prütendententnm, das Dandet aus
unmittelbarster Nähe studiren konnte. Unter veränderten, aber meist
leicht erkennbaren Titeln ist die ganze erlauchte Gesellschaft, die, ihrer
Throne beraubt, sich in Paris zusammengefunden hat und nun teils
im müßigen Genußleben der Seinestadt sich über die Verlorne Herrlichkeit
zu trösten versucht, teils abenteuerliche Pläne zur Wiedergewinnung der Ver¬
lornen Kronen schmiedet, ebenso deutlich als unerbittlich gezeichnet. Die ver¬
schiedensten Typen fürstlicher Verbannten sind vertreten, von der stolzen, ihrer
hohen Aufgabe sich bewußten Königin von Illyrien an bis zu dem ver¬
kommenen, durch Ausschweifungen aller Art seine Fürsten- und Menschenwürde
beschimpfenden Prinzen Axel, vulgo Hühnerschwcinz genannt. Ebenso reich¬
haltig und bunt ist der Kreis derer, die ans edeln oder selbstsüchtigen Interessen
ihr Schicksal mit dem ihrer Gebieter verknüpft haben und nun inmitten einer
republikanischen Hauptstadt deu Schein ehemaliger Größe durch Fortsetzung der
höfischen Etikette und bedeutungslos gewordner Zeremonien wahren helfen.

Die Schärfe der Charakteristik, die lebensvolle Schilderung der Verhält¬
nisse, die Mannigfaltigkeit des Tons von der leisen Ironie bis zum schärfsten
Spott, der bunte Wechsel zwischen ernsten, ja tiefergreifender Szenen und den
Bildern eines leichtsinnigen Gcnußlebens, vor allem der tragische Schluß
machen den Roman zu einem bedeutenden Kunstwerk, gegen dessen rein dichte¬
rische Vorzüge das Lob, daß er zugleich ein getreues Sittengemälde der
Pariser höchsten und hohen Gesellschaft nach dem Sturz des zweiten Kaiser¬
reichs ist, unstreitig zurücktritt.

Weder so interessant hinsichtlich des Stoffes, noch so spannend in der


nehme Besonnenheit in allen Handlungen; statt dessen bleibt er ein Kind des
Augenblicks, ein Sklave seines Temperaments, ein unbesonnener Gönner Hilfe¬
suchender, der viel verspricht und wenig hält. Die Verlegenheiten, in die ihn
seine unbedachten Zusicherungen der Familie Valmajour gegenüber versetzen,
sind eine ungemein glückliche Erfindung des Dichters. Wie selbst eine hohe
Stellung, wenn ihr Inhaber nicht die für sie erforderlichen politische» und
sittlichen Eigenschaften besitzt, die häßlichsten Verlegenheiten und ärgerlichsten
Demütigungen mit sich bringen kann, das ist der Kernpunkt dieser politischen
Satire, die statt „Numa Noumestnn" auch „Der Südfranzose als Staatsmann"
betitelt seil? könnte.

Noch schärfer tritt die Satire in dein Roman „Die Könige im Exil"
hervor. Als humoristische Figur kann allenfalls noch der botanisirende Rat
Boscovich angesehen werden; aber er nimmt nur eine ganz untergeordnete
Stellung in der Anlage des Romans ein, etwa wie eine skizzenhaft behandelte
Nebenfigur in einem Lustspiel, und nicht minder episodenhaft ist die an die
Feindseligkeiten von Hummel und Hahn in Freytags „Verlorener Handschrift"
erinnernde Rivalität zwischen Specht und Tom Levis. Der wesentliche In¬
halt ist eine schneidende Satire gegen das Prütendententnm, das Dandet aus
unmittelbarster Nähe studiren konnte. Unter veränderten, aber meist
leicht erkennbaren Titeln ist die ganze erlauchte Gesellschaft, die, ihrer
Throne beraubt, sich in Paris zusammengefunden hat und nun teils
im müßigen Genußleben der Seinestadt sich über die Verlorne Herrlichkeit
zu trösten versucht, teils abenteuerliche Pläne zur Wiedergewinnung der Ver¬
lornen Kronen schmiedet, ebenso deutlich als unerbittlich gezeichnet. Die ver¬
schiedensten Typen fürstlicher Verbannten sind vertreten, von der stolzen, ihrer
hohen Aufgabe sich bewußten Königin von Illyrien an bis zu dem ver¬
kommenen, durch Ausschweifungen aller Art seine Fürsten- und Menschenwürde
beschimpfenden Prinzen Axel, vulgo Hühnerschwcinz genannt. Ebenso reich¬
haltig und bunt ist der Kreis derer, die ans edeln oder selbstsüchtigen Interessen
ihr Schicksal mit dem ihrer Gebieter verknüpft haben und nun inmitten einer
republikanischen Hauptstadt deu Schein ehemaliger Größe durch Fortsetzung der
höfischen Etikette und bedeutungslos gewordner Zeremonien wahren helfen.

Die Schärfe der Charakteristik, die lebensvolle Schilderung der Verhält¬
nisse, die Mannigfaltigkeit des Tons von der leisen Ironie bis zum schärfsten
Spott, der bunte Wechsel zwischen ernsten, ja tiefergreifender Szenen und den
Bildern eines leichtsinnigen Gcnußlebens, vor allem der tragische Schluß
machen den Roman zu einem bedeutenden Kunstwerk, gegen dessen rein dichte¬
rische Vorzüge das Lob, daß er zugleich ein getreues Sittengemälde der
Pariser höchsten und hohen Gesellschaft nach dem Sturz des zweiten Kaiser¬
reichs ist, unstreitig zurücktritt.

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[0192] nehme Besonnenheit in allen Handlungen; statt dessen bleibt er ein Kind des Augenblicks, ein Sklave seines Temperaments, ein unbesonnener Gönner Hilfe¬ suchender, der viel verspricht und wenig hält. Die Verlegenheiten, in die ihn seine unbedachten Zusicherungen der Familie Valmajour gegenüber versetzen, sind eine ungemein glückliche Erfindung des Dichters. Wie selbst eine hohe Stellung, wenn ihr Inhaber nicht die für sie erforderlichen politische» und sittlichen Eigenschaften besitzt, die häßlichsten Verlegenheiten und ärgerlichsten Demütigungen mit sich bringen kann, das ist der Kernpunkt dieser politischen Satire, die statt „Numa Noumestnn" auch „Der Südfranzose als Staatsmann" betitelt seil? könnte. Noch schärfer tritt die Satire in dein Roman „Die Könige im Exil" hervor. Als humoristische Figur kann allenfalls noch der botanisirende Rat Boscovich angesehen werden; aber er nimmt nur eine ganz untergeordnete Stellung in der Anlage des Romans ein, etwa wie eine skizzenhaft behandelte Nebenfigur in einem Lustspiel, und nicht minder episodenhaft ist die an die Feindseligkeiten von Hummel und Hahn in Freytags „Verlorener Handschrift" erinnernde Rivalität zwischen Specht und Tom Levis. Der wesentliche In¬ halt ist eine schneidende Satire gegen das Prütendententnm, das Dandet aus unmittelbarster Nähe studiren konnte. Unter veränderten, aber meist leicht erkennbaren Titeln ist die ganze erlauchte Gesellschaft, die, ihrer Throne beraubt, sich in Paris zusammengefunden hat und nun teils im müßigen Genußleben der Seinestadt sich über die Verlorne Herrlichkeit zu trösten versucht, teils abenteuerliche Pläne zur Wiedergewinnung der Ver¬ lornen Kronen schmiedet, ebenso deutlich als unerbittlich gezeichnet. Die ver¬ schiedensten Typen fürstlicher Verbannten sind vertreten, von der stolzen, ihrer hohen Aufgabe sich bewußten Königin von Illyrien an bis zu dem ver¬ kommenen, durch Ausschweifungen aller Art seine Fürsten- und Menschenwürde beschimpfenden Prinzen Axel, vulgo Hühnerschwcinz genannt. Ebenso reich¬ haltig und bunt ist der Kreis derer, die ans edeln oder selbstsüchtigen Interessen ihr Schicksal mit dem ihrer Gebieter verknüpft haben und nun inmitten einer republikanischen Hauptstadt deu Schein ehemaliger Größe durch Fortsetzung der höfischen Etikette und bedeutungslos gewordner Zeremonien wahren helfen. Die Schärfe der Charakteristik, die lebensvolle Schilderung der Verhält¬ nisse, die Mannigfaltigkeit des Tons von der leisen Ironie bis zum schärfsten Spott, der bunte Wechsel zwischen ernsten, ja tiefergreifender Szenen und den Bildern eines leichtsinnigen Gcnußlebens, vor allem der tragische Schluß machen den Roman zu einem bedeutenden Kunstwerk, gegen dessen rein dichte¬ rische Vorzüge das Lob, daß er zugleich ein getreues Sittengemälde der Pariser höchsten und hohen Gesellschaft nach dem Sturz des zweiten Kaiser¬ reichs ist, unstreitig zurücktritt. Weder so interessant hinsichtlich des Stoffes, noch so spannend in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/192>, abgerufen am 23.07.2024.