Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Maßstabe als bisher die Gelegenheit zu geben, sich einer für die Bedürfnisse
der Schule vollkommen verwertbaren Beschäftigung mit den Klassikern zu
widmen. Wir denken hier weniger an praktische Vorübungen für den Schul¬
unterricht, obgleich auch in dieser Beziehung viel mehr als bisher gethan
werden könnte; wir wollen nur nicht, daß der Student den Anforderungen,
die die Schule an ihn stellt, entfremdet werde. Wir erinnern uns eines
jungen Philologen, der mit glänzendem Zeugnis die Universität verlassen
hatte und doch darüber klagte, wie schwer es ihm falle, sich in seinen Lehrer¬
beruf einzuarbeiten, da er sich auf der Universität alle mögliche Gelehrsamkeit
erworben, nur uicht die, die er für das Gymnasium brauche. Wir meinen
also, es müsse auf der Universität dafür gesorgt werden, daß der Philologe
das Studium der Schulschriftsteller auch so betreibe, daß er sie mit seineu
Schülern in der angedeuteten Weise zu behandeln und Interesse für sie zu
erwecken imstande sei.

Der rechte Ort aber, wo dies geschehen könnte, sind nicht nur die eigent¬
lichen Vorlesungen, sondern vor allem die philologischen Seminare. In diesen
wird jetzt in der Hauptsache Textkritik getrieben, wird die Einzelerklärung be¬
vorzugt. Die Schulschriftsteller werden jedesfalls nicht mit Rücksicht auf ihre
Bedeutung als Grundlage unsrer humanistischen Bildung behandelt. Die
Arbeiten, die der Student im Seminar, für das Examen oder aus eignem
Antriebe leistet, beschäftigen sich meist mit ganz andern Fragen als mit denen,
die mit dieser Bedeutung zusammenhängen. Vom streng wissenschaftlichen
Standpunkte aus soll auch gar nichts hiergegen gesagt werden. Aber die
praktische Philologie wird dabei vernachlässigt, der künftige Beruf des Philo¬
logen nicht berücksichtigt. Natürlich wirkt dies auf die Schule zurück. Homer
und Herodot sinken herab zu Versuchsobjekten für die Feststellung des Unter¬
schiedes zwischen dem attischen und dem ionischen Dialekt, und Horaz wird
zum Schreckbild der Jugend, wenn an ihm die Gesetze der Metrik eingeübt
werden, die Wirkung des Rhythmus unerörtert bleibt. Schuld hieran ist nur
der Maugel genügender Gelegenheit auf der Universität, sich im Sinne der
einzig berechtigten Anforderungen an den Lehrerberuf zu bilde". Diesem
Mangel abzuhelfen muß versucht werden, ohne die Lehrfreiheit einzuschränken.
Es könnten sehr gut eigne Seminarabteilungen eingerichtet werden, in denen
nach ausdrücklichen Lehrplan die inhaltliche Erklärung in den Vordergrund
zu rücken wäre. Auch in den Prüfungen könnte manches geändert werden;
in der schriftlichen könnten mehr Themata gestellt werden, die mit dein innern
Wesen der Klassiker im Zusammenhange stehen, und aus deren Bearbeitung
man besser die Fähigkeit des Examinanden zum Unterricht der Jugend zu
beurteilen vermöchte, als aus so manchen der jetzigen Arbeiten, in der münd¬
lichen könnte mehr Rücksicht ans das inhaltliche Verständnis genommen
werden.


Maßstabe als bisher die Gelegenheit zu geben, sich einer für die Bedürfnisse
der Schule vollkommen verwertbaren Beschäftigung mit den Klassikern zu
widmen. Wir denken hier weniger an praktische Vorübungen für den Schul¬
unterricht, obgleich auch in dieser Beziehung viel mehr als bisher gethan
werden könnte; wir wollen nur nicht, daß der Student den Anforderungen,
die die Schule an ihn stellt, entfremdet werde. Wir erinnern uns eines
jungen Philologen, der mit glänzendem Zeugnis die Universität verlassen
hatte und doch darüber klagte, wie schwer es ihm falle, sich in seinen Lehrer¬
beruf einzuarbeiten, da er sich auf der Universität alle mögliche Gelehrsamkeit
erworben, nur uicht die, die er für das Gymnasium brauche. Wir meinen
also, es müsse auf der Universität dafür gesorgt werden, daß der Philologe
das Studium der Schulschriftsteller auch so betreibe, daß er sie mit seineu
Schülern in der angedeuteten Weise zu behandeln und Interesse für sie zu
erwecken imstande sei.

Der rechte Ort aber, wo dies geschehen könnte, sind nicht nur die eigent¬
lichen Vorlesungen, sondern vor allem die philologischen Seminare. In diesen
wird jetzt in der Hauptsache Textkritik getrieben, wird die Einzelerklärung be¬
vorzugt. Die Schulschriftsteller werden jedesfalls nicht mit Rücksicht auf ihre
Bedeutung als Grundlage unsrer humanistischen Bildung behandelt. Die
Arbeiten, die der Student im Seminar, für das Examen oder aus eignem
Antriebe leistet, beschäftigen sich meist mit ganz andern Fragen als mit denen,
die mit dieser Bedeutung zusammenhängen. Vom streng wissenschaftlichen
Standpunkte aus soll auch gar nichts hiergegen gesagt werden. Aber die
praktische Philologie wird dabei vernachlässigt, der künftige Beruf des Philo¬
logen nicht berücksichtigt. Natürlich wirkt dies auf die Schule zurück. Homer
und Herodot sinken herab zu Versuchsobjekten für die Feststellung des Unter¬
schiedes zwischen dem attischen und dem ionischen Dialekt, und Horaz wird
zum Schreckbild der Jugend, wenn an ihm die Gesetze der Metrik eingeübt
werden, die Wirkung des Rhythmus unerörtert bleibt. Schuld hieran ist nur
der Maugel genügender Gelegenheit auf der Universität, sich im Sinne der
einzig berechtigten Anforderungen an den Lehrerberuf zu bilde». Diesem
Mangel abzuhelfen muß versucht werden, ohne die Lehrfreiheit einzuschränken.
Es könnten sehr gut eigne Seminarabteilungen eingerichtet werden, in denen
nach ausdrücklichen Lehrplan die inhaltliche Erklärung in den Vordergrund
zu rücken wäre. Auch in den Prüfungen könnte manches geändert werden;
in der schriftlichen könnten mehr Themata gestellt werden, die mit dein innern
Wesen der Klassiker im Zusammenhange stehen, und aus deren Bearbeitung
man besser die Fähigkeit des Examinanden zum Unterricht der Jugend zu
beurteilen vermöchte, als aus so manchen der jetzigen Arbeiten, in der münd¬
lichen könnte mehr Rücksicht ans das inhaltliche Verständnis genommen
werden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209419"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_534" prev="#ID_533"> Maßstabe als bisher die Gelegenheit zu geben, sich einer für die Bedürfnisse<lb/>
der Schule vollkommen verwertbaren Beschäftigung mit den Klassikern zu<lb/>
widmen. Wir denken hier weniger an praktische Vorübungen für den Schul¬<lb/>
unterricht, obgleich auch in dieser Beziehung viel mehr als bisher gethan<lb/>
werden könnte; wir wollen nur nicht, daß der Student den Anforderungen,<lb/>
die die Schule an ihn stellt, entfremdet werde. Wir erinnern uns eines<lb/>
jungen Philologen, der mit glänzendem Zeugnis die Universität verlassen<lb/>
hatte und doch darüber klagte, wie schwer es ihm falle, sich in seinen Lehrer¬<lb/>
beruf einzuarbeiten, da er sich auf der Universität alle mögliche Gelehrsamkeit<lb/>
erworben, nur uicht die, die er für das Gymnasium brauche. Wir meinen<lb/>
also, es müsse auf der Universität dafür gesorgt werden, daß der Philologe<lb/>
das Studium der Schulschriftsteller auch so betreibe, daß er sie mit seineu<lb/>
Schülern in der angedeuteten Weise zu behandeln und Interesse für sie zu<lb/>
erwecken imstande sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Der rechte Ort aber, wo dies geschehen könnte, sind nicht nur die eigent¬<lb/>
lichen Vorlesungen, sondern vor allem die philologischen Seminare. In diesen<lb/>
wird jetzt in der Hauptsache Textkritik getrieben, wird die Einzelerklärung be¬<lb/>
vorzugt. Die Schulschriftsteller werden jedesfalls nicht mit Rücksicht auf ihre<lb/>
Bedeutung als Grundlage unsrer humanistischen Bildung behandelt. Die<lb/>
Arbeiten, die der Student im Seminar, für das Examen oder aus eignem<lb/>
Antriebe leistet, beschäftigen sich meist mit ganz andern Fragen als mit denen,<lb/>
die mit dieser Bedeutung zusammenhängen. Vom streng wissenschaftlichen<lb/>
Standpunkte aus soll auch gar nichts hiergegen gesagt werden. Aber die<lb/>
praktische Philologie wird dabei vernachlässigt, der künftige Beruf des Philo¬<lb/>
logen nicht berücksichtigt. Natürlich wirkt dies auf die Schule zurück. Homer<lb/>
und Herodot sinken herab zu Versuchsobjekten für die Feststellung des Unter¬<lb/>
schiedes zwischen dem attischen und dem ionischen Dialekt, und Horaz wird<lb/>
zum Schreckbild der Jugend, wenn an ihm die Gesetze der Metrik eingeübt<lb/>
werden, die Wirkung des Rhythmus unerörtert bleibt. Schuld hieran ist nur<lb/>
der Maugel genügender Gelegenheit auf der Universität, sich im Sinne der<lb/>
einzig berechtigten Anforderungen an den Lehrerberuf zu bilde». Diesem<lb/>
Mangel abzuhelfen muß versucht werden, ohne die Lehrfreiheit einzuschränken.<lb/>
Es könnten sehr gut eigne Seminarabteilungen eingerichtet werden, in denen<lb/>
nach ausdrücklichen Lehrplan die inhaltliche Erklärung in den Vordergrund<lb/>
zu rücken wäre. Auch in den Prüfungen könnte manches geändert werden;<lb/>
in der schriftlichen könnten mehr Themata gestellt werden, die mit dein innern<lb/>
Wesen der Klassiker im Zusammenhange stehen, und aus deren Bearbeitung<lb/>
man besser die Fähigkeit des Examinanden zum Unterricht der Jugend zu<lb/>
beurteilen vermöchte, als aus so manchen der jetzigen Arbeiten, in der münd¬<lb/>
lichen könnte mehr Rücksicht ans das inhaltliche Verständnis genommen<lb/>
werden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] Maßstabe als bisher die Gelegenheit zu geben, sich einer für die Bedürfnisse der Schule vollkommen verwertbaren Beschäftigung mit den Klassikern zu widmen. Wir denken hier weniger an praktische Vorübungen für den Schul¬ unterricht, obgleich auch in dieser Beziehung viel mehr als bisher gethan werden könnte; wir wollen nur nicht, daß der Student den Anforderungen, die die Schule an ihn stellt, entfremdet werde. Wir erinnern uns eines jungen Philologen, der mit glänzendem Zeugnis die Universität verlassen hatte und doch darüber klagte, wie schwer es ihm falle, sich in seinen Lehrer¬ beruf einzuarbeiten, da er sich auf der Universität alle mögliche Gelehrsamkeit erworben, nur uicht die, die er für das Gymnasium brauche. Wir meinen also, es müsse auf der Universität dafür gesorgt werden, daß der Philologe das Studium der Schulschriftsteller auch so betreibe, daß er sie mit seineu Schülern in der angedeuteten Weise zu behandeln und Interesse für sie zu erwecken imstande sei. Der rechte Ort aber, wo dies geschehen könnte, sind nicht nur die eigent¬ lichen Vorlesungen, sondern vor allem die philologischen Seminare. In diesen wird jetzt in der Hauptsache Textkritik getrieben, wird die Einzelerklärung be¬ vorzugt. Die Schulschriftsteller werden jedesfalls nicht mit Rücksicht auf ihre Bedeutung als Grundlage unsrer humanistischen Bildung behandelt. Die Arbeiten, die der Student im Seminar, für das Examen oder aus eignem Antriebe leistet, beschäftigen sich meist mit ganz andern Fragen als mit denen, die mit dieser Bedeutung zusammenhängen. Vom streng wissenschaftlichen Standpunkte aus soll auch gar nichts hiergegen gesagt werden. Aber die praktische Philologie wird dabei vernachlässigt, der künftige Beruf des Philo¬ logen nicht berücksichtigt. Natürlich wirkt dies auf die Schule zurück. Homer und Herodot sinken herab zu Versuchsobjekten für die Feststellung des Unter¬ schiedes zwischen dem attischen und dem ionischen Dialekt, und Horaz wird zum Schreckbild der Jugend, wenn an ihm die Gesetze der Metrik eingeübt werden, die Wirkung des Rhythmus unerörtert bleibt. Schuld hieran ist nur der Maugel genügender Gelegenheit auf der Universität, sich im Sinne der einzig berechtigten Anforderungen an den Lehrerberuf zu bilde». Diesem Mangel abzuhelfen muß versucht werden, ohne die Lehrfreiheit einzuschränken. Es könnten sehr gut eigne Seminarabteilungen eingerichtet werden, in denen nach ausdrücklichen Lehrplan die inhaltliche Erklärung in den Vordergrund zu rücken wäre. Auch in den Prüfungen könnte manches geändert werden; in der schriftlichen könnten mehr Themata gestellt werden, die mit dein innern Wesen der Klassiker im Zusammenhange stehen, und aus deren Bearbeitung man besser die Fähigkeit des Examinanden zum Unterricht der Jugend zu beurteilen vermöchte, als aus so manchen der jetzigen Arbeiten, in der münd¬ lichen könnte mehr Rücksicht ans das inhaltliche Verständnis genommen werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/186>, abgerufen am 23.07.2024.