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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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gerade gegen Männer von hoher Bedeutung, das Triumphgeschrei, das erhoben
wird, wenn diesen einmal das Unglück begegnet ist, eine Kleinigkeit nicht so
genau durchstöbert zu haben wie ein Doktorand, das alles nimmt sich
besonders in Anbetracht der so häufigen Unbedeutendheit des Gegenstandes
sehr häßlich ans. Wie eine alte verklungene Sage heben sich von diesem
Treiben die Worte Voeckhs ab, die wir im Schlußwort zu seiner Encyklopädie
lesen, ein Zeugnis gleich glänzend für den wahrhaft edeln Sinn dieses großen
Mannes, wie beschämend für die Epigonen. "In der Negel, -- sagt er -- über¬
schätzen nur diejenigen ihr Wissen, deren Kenntnisse beschränkt find; wer viel
weiß, erkennt seine Unwissenheit am deutlichsten. Daher wird durch die wahre
Durchdringung des encyklopädischen und speziellen Wissens auch ein sittlicher
Geist im Betriebe der Wissenschaft entstehen, frei von Selbstsucht, Nuhm- und
Geldsucht, die viele vielfach von der Bahn der Wahrheit ablenken." Doppelt
abstoßend wirkt solche Polemik, wenn mir wissenschaftliche Erörterungen damit
vergleichen, wie sie in juristischen Kreisen üblich sind; diese stechen förmlich
wohlthuend dagegen ab. Ob also die klassischen Studien ihren Jüngern die
gerühmte edle menschliche Bildung in besonderm Maße zu verleihen imstande
sind, bleibt billig zu bezweifeln. Diese Ansicht hat ihre Quelle in der Über¬
schätzung des klassischen Altertums. Die Mehrheit der Philologen ist seit lange
gewohnt, die Alten, wenigstens die Hellenen, gar nicht unter demselben Gesichts¬
punkte wie andre Erdenbewohner zu betrachten, sondern die Antike als eine
Welt für sich anzusehen, die mit dem Geist und den Empfindungen unsrer
Zeit wenig gemein habe. Ist auch die Stufe überwunden, wo man alles
für vollkommen ansah, wenn es antik war, so sehen doch auch heute noch
unsre Philologen meist einen klassischen Schriftsteller mit ganz andern Augen
an, als einen ihm geistesverwandten modernen, preisen sie die Schönheiten
jenes ebenso hoch, wie sie ihn vielleicht tief verachten würden, wenn er ein
moderner wäre. Welcher Philologe hätte nicht die größte Ehrfurcht vor
dem Namen des Aristophanes! Aber ganz abgesehen davon, daß Aristophanes
nicht viel besser und nicht viel schlechter war, als die andern zeitgenössischen
Komiker, so hat es in neuerer Zeit ebenso große und größere Lust-
spieldichter ähnlicher Richtung gegeben, jedenfalls edlere. Aber weil es
Aristophanes ist, ein alter Klassiker, belachen wir seine Possen als geistreich,
dichten wir ihm tieferliegende sittliche Tendenzen auch da an, wo er nur auf
die Schau- und Lachlust eines nicht eben idealen Publikums spekulirt. Wenn
mau imstande ist, Geist und Absicht des Dichters herauszuhören, mich da, wo
sie durch grobe Späße verschleiert sich im Hintergrunde halten, wird man
bei jedem echten Dichter hier und dort hinter der heitern Stirn den ernsten
Gedanken erlauschen, bei Aristophanes so gut wie bei andern, aber nimmer¬
mehr würde man dem attischen Komiker so erhabene Gesinnungen und so
rdle Ziele zugesprochen haben, wie es geschehen ist, wenn man versucht


gerade gegen Männer von hoher Bedeutung, das Triumphgeschrei, das erhoben
wird, wenn diesen einmal das Unglück begegnet ist, eine Kleinigkeit nicht so
genau durchstöbert zu haben wie ein Doktorand, das alles nimmt sich
besonders in Anbetracht der so häufigen Unbedeutendheit des Gegenstandes
sehr häßlich ans. Wie eine alte verklungene Sage heben sich von diesem
Treiben die Worte Voeckhs ab, die wir im Schlußwort zu seiner Encyklopädie
lesen, ein Zeugnis gleich glänzend für den wahrhaft edeln Sinn dieses großen
Mannes, wie beschämend für die Epigonen. „In der Negel, — sagt er — über¬
schätzen nur diejenigen ihr Wissen, deren Kenntnisse beschränkt find; wer viel
weiß, erkennt seine Unwissenheit am deutlichsten. Daher wird durch die wahre
Durchdringung des encyklopädischen und speziellen Wissens auch ein sittlicher
Geist im Betriebe der Wissenschaft entstehen, frei von Selbstsucht, Nuhm- und
Geldsucht, die viele vielfach von der Bahn der Wahrheit ablenken." Doppelt
abstoßend wirkt solche Polemik, wenn mir wissenschaftliche Erörterungen damit
vergleichen, wie sie in juristischen Kreisen üblich sind; diese stechen förmlich
wohlthuend dagegen ab. Ob also die klassischen Studien ihren Jüngern die
gerühmte edle menschliche Bildung in besonderm Maße zu verleihen imstande
sind, bleibt billig zu bezweifeln. Diese Ansicht hat ihre Quelle in der Über¬
schätzung des klassischen Altertums. Die Mehrheit der Philologen ist seit lange
gewohnt, die Alten, wenigstens die Hellenen, gar nicht unter demselben Gesichts¬
punkte wie andre Erdenbewohner zu betrachten, sondern die Antike als eine
Welt für sich anzusehen, die mit dem Geist und den Empfindungen unsrer
Zeit wenig gemein habe. Ist auch die Stufe überwunden, wo man alles
für vollkommen ansah, wenn es antik war, so sehen doch auch heute noch
unsre Philologen meist einen klassischen Schriftsteller mit ganz andern Augen
an, als einen ihm geistesverwandten modernen, preisen sie die Schönheiten
jenes ebenso hoch, wie sie ihn vielleicht tief verachten würden, wenn er ein
moderner wäre. Welcher Philologe hätte nicht die größte Ehrfurcht vor
dem Namen des Aristophanes! Aber ganz abgesehen davon, daß Aristophanes
nicht viel besser und nicht viel schlechter war, als die andern zeitgenössischen
Komiker, so hat es in neuerer Zeit ebenso große und größere Lust-
spieldichter ähnlicher Richtung gegeben, jedenfalls edlere. Aber weil es
Aristophanes ist, ein alter Klassiker, belachen wir seine Possen als geistreich,
dichten wir ihm tieferliegende sittliche Tendenzen auch da an, wo er nur auf
die Schau- und Lachlust eines nicht eben idealen Publikums spekulirt. Wenn
mau imstande ist, Geist und Absicht des Dichters herauszuhören, mich da, wo
sie durch grobe Späße verschleiert sich im Hintergrunde halten, wird man
bei jedem echten Dichter hier und dort hinter der heitern Stirn den ernsten
Gedanken erlauschen, bei Aristophanes so gut wie bei andern, aber nimmer¬
mehr würde man dem attischen Komiker so erhabene Gesinnungen und so
rdle Ziele zugesprochen haben, wie es geschehen ist, wenn man versucht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/183>, abgerufen am 23.07.2024.