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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Sollen wir das Beste vergessen?

noch Gesellschaftsklassen mehr; wie könne man also noch an einer Fahne fest¬
halten, deren verschiedne Farben Königtum und Klassenunterschied andeuteten!
Die Zeit der sozialen Gleichheit sei gekommen. Der Einheitlichkeit der Gesell¬
schaft entspreche die Einheitlichkeit der Farbe im roten Banner. Er verstieg
sich sogar zu der Behauptung, daß die rote Fahne schon das Feldzeichen der
alten Gallier gegen die Römer gewesen sei. Seine Gründe vermochten freilich
die Freunde der Trikolore von der Angemessenheit seines Antrages nicht zu
überzeugen. Immerhin erlangte er das Zugeständnis, daß die Beamten der
neuen Negierung eine rote Rosette im Knopfloch tragen sollten, und daß die
rote Rosette auch an der Fahnenstange der Trikolore befestigt werden würde.
Diese war so zum zweitenmale gerettet, aber sie gilt seitdem als die Fahne
der Bourgeoisie.

Ältere Zeitgenossen wissen noch aus eigner Erinnerung, daß die rote
Fahne bereits im Jahre 1848 ein auch außerhalb Frankreichs wohlbekanntes
Sinnbild des Aufruhrs war. Auch ihre sonstige Verwendung seit dieser Zeit
ist noch in aller Gedächtnis.




Hollen wir das Beste vergessen!^
Ein Nachwort zur Schulkonferenz von Ednard Zarncke

-"^Man einer Reihe von Jahren hat um die Vorzüge der Gymnasial-
und der Realbildung ein erbitterter Kampf getobt. Zwei feind¬
liche Parteien waren es in der That, die eine jede die andre
von ihrem Standpunkte aus bekriegte, und beideu schien es sehr
wenig auf das gemeinsame Ganze anzukommen, die Rufer im
Streit auf beiden Seiten verfochten bestimmte Interessen ihrer Anhänger, das
heißt, sie sprachen xrc> äoino. Hie Gymnasium, hie Realschule! hieß es. Die
Vertreter des Gymnasiums erkannten zwar richtig die Vorteile der humanistische,:
Bildung, hielten aber zum großen Teile an Vorurteilen und veralteten An¬
schauungen fest, die Anhänger der Realschule waren durchdrungen von der
richtigen Überzeugung, daß das moderne Leben eine erhöhte Rücksicht erfordere,
doch schössen sie weit über das Ziel hinaus und verkannten den Wert der
Gymnasialerziehung in hohem Grade. Nur selten ward ein Wort vernommen,
das bemüht gewesen wäre, eine Einigung der Parteien herbeizuführen, und


Sollen wir das Beste vergessen?

noch Gesellschaftsklassen mehr; wie könne man also noch an einer Fahne fest¬
halten, deren verschiedne Farben Königtum und Klassenunterschied andeuteten!
Die Zeit der sozialen Gleichheit sei gekommen. Der Einheitlichkeit der Gesell¬
schaft entspreche die Einheitlichkeit der Farbe im roten Banner. Er verstieg
sich sogar zu der Behauptung, daß die rote Fahne schon das Feldzeichen der
alten Gallier gegen die Römer gewesen sei. Seine Gründe vermochten freilich
die Freunde der Trikolore von der Angemessenheit seines Antrages nicht zu
überzeugen. Immerhin erlangte er das Zugeständnis, daß die Beamten der
neuen Negierung eine rote Rosette im Knopfloch tragen sollten, und daß die
rote Rosette auch an der Fahnenstange der Trikolore befestigt werden würde.
Diese war so zum zweitenmale gerettet, aber sie gilt seitdem als die Fahne
der Bourgeoisie.

Ältere Zeitgenossen wissen noch aus eigner Erinnerung, daß die rote
Fahne bereits im Jahre 1848 ein auch außerhalb Frankreichs wohlbekanntes
Sinnbild des Aufruhrs war. Auch ihre sonstige Verwendung seit dieser Zeit
ist noch in aller Gedächtnis.




Hollen wir das Beste vergessen!^
Ein Nachwort zur Schulkonferenz von Ednard Zarncke

-«^Man einer Reihe von Jahren hat um die Vorzüge der Gymnasial-
und der Realbildung ein erbitterter Kampf getobt. Zwei feind¬
liche Parteien waren es in der That, die eine jede die andre
von ihrem Standpunkte aus bekriegte, und beideu schien es sehr
wenig auf das gemeinsame Ganze anzukommen, die Rufer im
Streit auf beiden Seiten verfochten bestimmte Interessen ihrer Anhänger, das
heißt, sie sprachen xrc> äoino. Hie Gymnasium, hie Realschule! hieß es. Die
Vertreter des Gymnasiums erkannten zwar richtig die Vorteile der humanistische,:
Bildung, hielten aber zum großen Teile an Vorurteilen und veralteten An¬
schauungen fest, die Anhänger der Realschule waren durchdrungen von der
richtigen Überzeugung, daß das moderne Leben eine erhöhte Rücksicht erfordere,
doch schössen sie weit über das Ziel hinaus und verkannten den Wert der
Gymnasialerziehung in hohem Grade. Nur selten ward ein Wort vernommen,
das bemüht gewesen wäre, eine Einigung der Parteien herbeizuführen, und


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[0173] Sollen wir das Beste vergessen? noch Gesellschaftsklassen mehr; wie könne man also noch an einer Fahne fest¬ halten, deren verschiedne Farben Königtum und Klassenunterschied andeuteten! Die Zeit der sozialen Gleichheit sei gekommen. Der Einheitlichkeit der Gesell¬ schaft entspreche die Einheitlichkeit der Farbe im roten Banner. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß die rote Fahne schon das Feldzeichen der alten Gallier gegen die Römer gewesen sei. Seine Gründe vermochten freilich die Freunde der Trikolore von der Angemessenheit seines Antrages nicht zu überzeugen. Immerhin erlangte er das Zugeständnis, daß die Beamten der neuen Negierung eine rote Rosette im Knopfloch tragen sollten, und daß die rote Rosette auch an der Fahnenstange der Trikolore befestigt werden würde. Diese war so zum zweitenmale gerettet, aber sie gilt seitdem als die Fahne der Bourgeoisie. Ältere Zeitgenossen wissen noch aus eigner Erinnerung, daß die rote Fahne bereits im Jahre 1848 ein auch außerhalb Frankreichs wohlbekanntes Sinnbild des Aufruhrs war. Auch ihre sonstige Verwendung seit dieser Zeit ist noch in aller Gedächtnis. Hollen wir das Beste vergessen!^ Ein Nachwort zur Schulkonferenz von Ednard Zarncke -«^Man einer Reihe von Jahren hat um die Vorzüge der Gymnasial- und der Realbildung ein erbitterter Kampf getobt. Zwei feind¬ liche Parteien waren es in der That, die eine jede die andre von ihrem Standpunkte aus bekriegte, und beideu schien es sehr wenig auf das gemeinsame Ganze anzukommen, die Rufer im Streit auf beiden Seiten verfochten bestimmte Interessen ihrer Anhänger, das heißt, sie sprachen xrc> äoino. Hie Gymnasium, hie Realschule! hieß es. Die Vertreter des Gymnasiums erkannten zwar richtig die Vorteile der humanistische,: Bildung, hielten aber zum großen Teile an Vorurteilen und veralteten An¬ schauungen fest, die Anhänger der Realschule waren durchdrungen von der richtigen Überzeugung, daß das moderne Leben eine erhöhte Rücksicht erfordere, doch schössen sie weit über das Ziel hinaus und verkannten den Wert der Gymnasialerziehung in hohem Grade. Nur selten ward ein Wort vernommen, das bemüht gewesen wäre, eine Einigung der Parteien herbeizuführen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/173>, abgerufen am 03.07.2024.