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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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7>le rote ^ahno

Mißbilligung "der Grundsätze, die 1793 zum Datum und die rote Fahne zum
Sinnbild haben," uneingeschränkt aussprechen. Die rote Fahne, die noch am
Morgen des 5, Juni durchaus unbeachtet geblieben war, galt also schon am
Abend des nächstfolgenden Tages als das Sinnbild politischen Schreckens.

Es ist im Grunde genommen eine müßige Frage, wer der Reiter mit der
Jakolnnermütze und der roten Fahne gewesen ist. Bemerkenswert ist die An¬
sicht von Louis Blane, der in dem Auftreten des rätselhaften Reiters einen
fein angelegten Kunstgriff der Monarchisten sieht, der den Zweck gehabt habe,
die Bestrebungen der Republikaner zu verdächtigen. Übrigens spricht Louis
Blaue, der beredte Anwalt der roten Fahne im Jahre 1848, noch 1843 in
seiner Mstoirs as vix ^n" von der ganzen Angelegenheit mit so trockener
Unbefangenheit, daß seine Darstellungsweise an und für sich als ein Beweis
dafür gelten kann, daß die rote Fahne weder schon 1832, noch auch selbst im
Jahre 1843 das erklärte und als solches allgemein bekannte Sinnbild des
Sozialismus war. Kurz, die rote Fahne rief einstweilen noch Schreckbilder
mehr der Vergangenheit als der Zukunft wach.

Erscheint anch der tiefgehende Bedeutungswandel, den die rote Fahne im
Laufe der Zeit erfahren hat, in der Episode von 5. Juni 1832 nicht ab¬
schließend vollzogen, so dürfte ihr Hervortreten an diesem Tage in seinen
nähern Umständen doch ausreichende Anhaltepunkte darbieten, um diesen Be¬
deutungswandel in seinem Beginn zu erfasse" und in seiner Grundrichtung zu
erklären. Bedenkt man, daß die rote Fahne, die, wie man sich erinnert, von
vornherein in dem Trauergefolge Lamarqnes vorhanden ist, an und sür sich
keinerlei Aufsehen erregt, daß sie aber zusammen mit der roten Jakobinermütze
in den Händen eines republikanisch gesinnten Revolutionärs eine Wirkung aus¬
übt, die der des Funken im Pulverfaß nicht unähnlich ist, daß sie infolge
dessen bereits am Abend des K.Juni als das Sinnbild der wieder angeregten
Ideen von 1793 gilt, so drängt sich der Schluß wie von selbst auf, daß die
^öde Fahne ihre unheimliche, anarchistische Bedeutung der Jakobinermütze
verdankt.

Weder dem Historiker noch dein Psychologen wird diese Erklärung uner¬
hört erscheine". Sind doch zahlreiche Petersberge von heute alte Donars¬
berge, wird doch Johann Nepomuk, der Märtyrer, noch immer unter dem
Bilde des Ketzers Johann Huß glaubensinuig begrüßt!

Wie im Juni 1832, befand sich auch in den Tagen der Februarrevolution,
vom 22. bis zum 24. Februar 1848, die rote Fahne in den Händen von
Republikanern. Zum erstenmale ist sie hier die Fahne, an die sich der Sieg
heftet. Die Sieger aber legten der großen Mehrheit nach wenig Wert ans
die bloße Änderung der Regierungsform. Für sie kam es darauf an, daß
die Staats- nud Gesellschaftsordnung vou Grund aus geändert würde.
^vMMv on l^ nord. stand ans einer ihrer roten Fahnen geschrieben. Mit


7>le rote ^ahno

Mißbilligung „der Grundsätze, die 1793 zum Datum und die rote Fahne zum
Sinnbild haben," uneingeschränkt aussprechen. Die rote Fahne, die noch am
Morgen des 5, Juni durchaus unbeachtet geblieben war, galt also schon am
Abend des nächstfolgenden Tages als das Sinnbild politischen Schreckens.

Es ist im Grunde genommen eine müßige Frage, wer der Reiter mit der
Jakolnnermütze und der roten Fahne gewesen ist. Bemerkenswert ist die An¬
sicht von Louis Blane, der in dem Auftreten des rätselhaften Reiters einen
fein angelegten Kunstgriff der Monarchisten sieht, der den Zweck gehabt habe,
die Bestrebungen der Republikaner zu verdächtigen. Übrigens spricht Louis
Blaue, der beredte Anwalt der roten Fahne im Jahre 1848, noch 1843 in
seiner Mstoirs as vix ^n« von der ganzen Angelegenheit mit so trockener
Unbefangenheit, daß seine Darstellungsweise an und für sich als ein Beweis
dafür gelten kann, daß die rote Fahne weder schon 1832, noch auch selbst im
Jahre 1843 das erklärte und als solches allgemein bekannte Sinnbild des
Sozialismus war. Kurz, die rote Fahne rief einstweilen noch Schreckbilder
mehr der Vergangenheit als der Zukunft wach.

Erscheint anch der tiefgehende Bedeutungswandel, den die rote Fahne im
Laufe der Zeit erfahren hat, in der Episode von 5. Juni 1832 nicht ab¬
schließend vollzogen, so dürfte ihr Hervortreten an diesem Tage in seinen
nähern Umständen doch ausreichende Anhaltepunkte darbieten, um diesen Be¬
deutungswandel in seinem Beginn zu erfasse» und in seiner Grundrichtung zu
erklären. Bedenkt man, daß die rote Fahne, die, wie man sich erinnert, von
vornherein in dem Trauergefolge Lamarqnes vorhanden ist, an und sür sich
keinerlei Aufsehen erregt, daß sie aber zusammen mit der roten Jakobinermütze
in den Händen eines republikanisch gesinnten Revolutionärs eine Wirkung aus¬
übt, die der des Funken im Pulverfaß nicht unähnlich ist, daß sie infolge
dessen bereits am Abend des K.Juni als das Sinnbild der wieder angeregten
Ideen von 1793 gilt, so drängt sich der Schluß wie von selbst auf, daß die
^öde Fahne ihre unheimliche, anarchistische Bedeutung der Jakobinermütze
verdankt.

Weder dem Historiker noch dein Psychologen wird diese Erklärung uner¬
hört erscheine». Sind doch zahlreiche Petersberge von heute alte Donars¬
berge, wird doch Johann Nepomuk, der Märtyrer, noch immer unter dem
Bilde des Ketzers Johann Huß glaubensinuig begrüßt!

Wie im Juni 1832, befand sich auch in den Tagen der Februarrevolution,
vom 22. bis zum 24. Februar 1848, die rote Fahne in den Händen von
Republikanern. Zum erstenmale ist sie hier die Fahne, an die sich der Sieg
heftet. Die Sieger aber legten der großen Mehrheit nach wenig Wert ans
die bloße Änderung der Regierungsform. Für sie kam es darauf an, daß
die Staats- nud Gesellschaftsordnung vou Grund aus geändert würde.
^vMMv on l^ nord. stand ans einer ihrer roten Fahnen geschrieben. Mit


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[0171] 7>le rote ^ahno Mißbilligung „der Grundsätze, die 1793 zum Datum und die rote Fahne zum Sinnbild haben," uneingeschränkt aussprechen. Die rote Fahne, die noch am Morgen des 5, Juni durchaus unbeachtet geblieben war, galt also schon am Abend des nächstfolgenden Tages als das Sinnbild politischen Schreckens. Es ist im Grunde genommen eine müßige Frage, wer der Reiter mit der Jakolnnermütze und der roten Fahne gewesen ist. Bemerkenswert ist die An¬ sicht von Louis Blane, der in dem Auftreten des rätselhaften Reiters einen fein angelegten Kunstgriff der Monarchisten sieht, der den Zweck gehabt habe, die Bestrebungen der Republikaner zu verdächtigen. Übrigens spricht Louis Blaue, der beredte Anwalt der roten Fahne im Jahre 1848, noch 1843 in seiner Mstoirs as vix ^n« von der ganzen Angelegenheit mit so trockener Unbefangenheit, daß seine Darstellungsweise an und für sich als ein Beweis dafür gelten kann, daß die rote Fahne weder schon 1832, noch auch selbst im Jahre 1843 das erklärte und als solches allgemein bekannte Sinnbild des Sozialismus war. Kurz, die rote Fahne rief einstweilen noch Schreckbilder mehr der Vergangenheit als der Zukunft wach. Erscheint anch der tiefgehende Bedeutungswandel, den die rote Fahne im Laufe der Zeit erfahren hat, in der Episode von 5. Juni 1832 nicht ab¬ schließend vollzogen, so dürfte ihr Hervortreten an diesem Tage in seinen nähern Umständen doch ausreichende Anhaltepunkte darbieten, um diesen Be¬ deutungswandel in seinem Beginn zu erfasse» und in seiner Grundrichtung zu erklären. Bedenkt man, daß die rote Fahne, die, wie man sich erinnert, von vornherein in dem Trauergefolge Lamarqnes vorhanden ist, an und sür sich keinerlei Aufsehen erregt, daß sie aber zusammen mit der roten Jakobinermütze in den Händen eines republikanisch gesinnten Revolutionärs eine Wirkung aus¬ übt, die der des Funken im Pulverfaß nicht unähnlich ist, daß sie infolge dessen bereits am Abend des K.Juni als das Sinnbild der wieder angeregten Ideen von 1793 gilt, so drängt sich der Schluß wie von selbst auf, daß die ^öde Fahne ihre unheimliche, anarchistische Bedeutung der Jakobinermütze verdankt. Weder dem Historiker noch dein Psychologen wird diese Erklärung uner¬ hört erscheine». Sind doch zahlreiche Petersberge von heute alte Donars¬ berge, wird doch Johann Nepomuk, der Märtyrer, noch immer unter dem Bilde des Ketzers Johann Huß glaubensinuig begrüßt! Wie im Juni 1832, befand sich auch in den Tagen der Februarrevolution, vom 22. bis zum 24. Februar 1848, die rote Fahne in den Händen von Republikanern. Zum erstenmale ist sie hier die Fahne, an die sich der Sieg heftet. Die Sieger aber legten der großen Mehrheit nach wenig Wert ans die bloße Änderung der Regierungsform. Für sie kam es darauf an, daß die Staats- nud Gesellschaftsordnung vou Grund aus geändert würde. ^vMMv on l^ nord. stand ans einer ihrer roten Fahnen geschrieben. Mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/171>, abgerufen am 23.07.2024.