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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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John Lothrop Motley

"Ich bin so ungeschickt!" wobei sie "in der adorabelsten Weise wie ein Schul¬
mädchen errötete." Sie hatte ein Glas römischen Punsch umgeworfen, und
der Kaiser machte ihr das sofort galant nach, "worauf großer Wirrwarr ent¬
stand." Wäre der Erzähler ein Lyriker, so würde er die schönsten Sonette
"auf jene majestätischen Augenbrauen" dichten.

In Wien hätte er Muße zum Arbeiten gehabt. Doch abgesehen davon,
daß ihm als fremdem Diplomaten einem alten Gesetze gemäß das Archiv ver¬
schlossen blieb, nahmen ihm die großen Ereignisse in Europa wie in seiner
Heimat die Ruhe dazu. "Das sechzehnte Jahrhundert verblaßt vor dem neun¬
zehnten," sagt er 1864. Die politischen Zustände Österreichs flößen ihm
kein großes Interesse ein, die Verfassungskämpfe werden nur in spöttischem
Tone erwähnt. So 1863: "Wir haben uns hier ein kleines Parlament ein¬
gerichtet, das wir den Neichsrat nennen, und sind so stolz darauf wie
Punch. Es hat sich schon zwei Jahre lang gut bewährt, nur kommen die
Oppositionsmitglieder, die zwei Drittel davon ausmachen, nie, und das macht
es für die Administration umso leichter." Und 1865 aus Gmunden, nach
dem Ausdruck der Freude über die vortreffliche Bewirtschaftung der Bauern¬
güter in Oberösterreich, wo es "seit dem fünfzehnten Jahrhundert keinen Ritter¬
gutsbesitzer mehr gegeben hat"^): "Man hat die harmlose Februarverfassnng
abgeschafft -- nein, sistirt, wie hier die Phrase lautet . . . Wenn nun das
wutentbrannte Volk Barrikaden baut auf dem Kohlmarkt und am Graben, und
eine Revolution ausbricht, so werde ich leider nichts davon zu sehen bekommen,
denn wir bleiben noch vierzehn Tage länger hier. Wahrscheinlich wird so
manche Flasche Schwechater Bier mehr getrunken werden in dieser Woche
als sonst."

Ernsthafter beschäftigt ihn natürlich die mexikanische Angelegenheit, doch
sieht er den Ausgang des abenteuerlichen Unternehmens klar voraus und be¬
dauert den "armen jungen Mann," der sich zu einem "Satrapen des Vonaparte"
hergiebt. Diesem Bedauern ist übrigens keine Sympathie beigemischt. Er
zitirt aus des Erzherzogs Reiseskizzen dessen Bewunderung der Stiergefechte,
der Inquisition und des Herzogs vou Alba und erzählt als beglaubigt, daß
der künftige Kaiser von Mexiko sich vor dem Spiegel eine Krone von Pappe
aufprvbirt habe, um zu sehen, wie gut sie ihn kleide. Es sei "sehr ungerecht,"
daß ihm nicht einmal das in Wien aufbewahrte Szepter Monteznmas mit¬
gegeben werde, meint Motley. Daß er sich über das Schicksal des polnischen
Aufstandes keinen Illusionen hingab, haben wir bereits gesehen, und anch über
die griechische Revolution urteilt er sehr kühl. Weshalb deun Palmerston
nicht "den Gesandten des verflossenen Otho des Großen, den Wiener Billivnär



Wenn wir den ZeitnncM glanven dürfen, ist man soeben daran, jenem "Bauern-
Paradiese" den Garaus zu machen I
John Lothrop Motley

„Ich bin so ungeschickt!" wobei sie „in der adorabelsten Weise wie ein Schul¬
mädchen errötete." Sie hatte ein Glas römischen Punsch umgeworfen, und
der Kaiser machte ihr das sofort galant nach, „worauf großer Wirrwarr ent¬
stand." Wäre der Erzähler ein Lyriker, so würde er die schönsten Sonette
„auf jene majestätischen Augenbrauen" dichten.

In Wien hätte er Muße zum Arbeiten gehabt. Doch abgesehen davon,
daß ihm als fremdem Diplomaten einem alten Gesetze gemäß das Archiv ver¬
schlossen blieb, nahmen ihm die großen Ereignisse in Europa wie in seiner
Heimat die Ruhe dazu. „Das sechzehnte Jahrhundert verblaßt vor dem neun¬
zehnten," sagt er 1864. Die politischen Zustände Österreichs flößen ihm
kein großes Interesse ein, die Verfassungskämpfe werden nur in spöttischem
Tone erwähnt. So 1863: „Wir haben uns hier ein kleines Parlament ein¬
gerichtet, das wir den Neichsrat nennen, und sind so stolz darauf wie
Punch. Es hat sich schon zwei Jahre lang gut bewährt, nur kommen die
Oppositionsmitglieder, die zwei Drittel davon ausmachen, nie, und das macht
es für die Administration umso leichter." Und 1865 aus Gmunden, nach
dem Ausdruck der Freude über die vortreffliche Bewirtschaftung der Bauern¬
güter in Oberösterreich, wo es „seit dem fünfzehnten Jahrhundert keinen Ritter¬
gutsbesitzer mehr gegeben hat"^): „Man hat die harmlose Februarverfassnng
abgeschafft — nein, sistirt, wie hier die Phrase lautet . . . Wenn nun das
wutentbrannte Volk Barrikaden baut auf dem Kohlmarkt und am Graben, und
eine Revolution ausbricht, so werde ich leider nichts davon zu sehen bekommen,
denn wir bleiben noch vierzehn Tage länger hier. Wahrscheinlich wird so
manche Flasche Schwechater Bier mehr getrunken werden in dieser Woche
als sonst."

Ernsthafter beschäftigt ihn natürlich die mexikanische Angelegenheit, doch
sieht er den Ausgang des abenteuerlichen Unternehmens klar voraus und be¬
dauert den „armen jungen Mann," der sich zu einem „Satrapen des Vonaparte"
hergiebt. Diesem Bedauern ist übrigens keine Sympathie beigemischt. Er
zitirt aus des Erzherzogs Reiseskizzen dessen Bewunderung der Stiergefechte,
der Inquisition und des Herzogs vou Alba und erzählt als beglaubigt, daß
der künftige Kaiser von Mexiko sich vor dem Spiegel eine Krone von Pappe
aufprvbirt habe, um zu sehen, wie gut sie ihn kleide. Es sei „sehr ungerecht,"
daß ihm nicht einmal das in Wien aufbewahrte Szepter Monteznmas mit¬
gegeben werde, meint Motley. Daß er sich über das Schicksal des polnischen
Aufstandes keinen Illusionen hingab, haben wir bereits gesehen, und anch über
die griechische Revolution urteilt er sehr kühl. Weshalb deun Palmerston
nicht „den Gesandten des verflossenen Otho des Großen, den Wiener Billivnär



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Paradiese" den Garaus zu machen I
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/162>, abgerufen am 23.07.2024.