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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Dieser letztere Umstand liefert, wie wir sehen, den Grundton für die Be¬
urteilung des Kaisers der Franzosen, der wir auch zur Zeit des mexikanischen
Kaisertums wieder begegnen. Die Wahl Lincolns und die Losreißung der
Südstaaten hatten aus dem Gelehrten und Schriftsteller einen eifrigen Poli¬
tiker gemacht. Er wurde nicht müde, nach allen Seiten hin die Gerechtigkeit
der Sache der Nordstaaten zu vertreten, insbesondre gegenüber seinen Freunden
in England, wo so viele für Jefferson Davis Partei nahmen; er bemühte sich
anderseits auch, die Entrüstung seiner Landsleute zu mäßigen, da er sich die
ungeheure Gefahr eines gleichzeitigen Krieges mit England nicht verhehlte.
Deshalb versetzte ihn die sogenannte Trent-Affaire, die widerrechtliche Ge¬
fangennahme zweier Abgesandten der Konföderirten auf dem englischen Pvst-
schiffe Trent durch den Kapitän eines Univnsschiffes, Wilkes, in große Auf¬
regung, und er konnte die weise Nachgiebigkeit seiner Regierung nicht genug
preisen. 1861 nach Amerika zurückgekehrt, sah er anfangs alles in rosigem
Lichte, setzte volles Vertrauen auf die Generale und auf die begeistert zu den
Fahnen eilenden Milizen. Aber so bald auch die Illusionen zerstört wurden, so
bedenklich es oft während des auf das Vierfache der von ihn: angenommenen
Zeit sich ausdehnenden Krieges um die Sache des Nordens stand: der Glaube
an dessen endlichen Sieg wurde nie wankend, und in dieser Beziehung werden
seine Briefe einmal schätzbare Zeugnisse für den Geschichtschreiber bieten. Schon
nach deu ersten Gefechten erkannte er es als Thorheit, Milizoffizieren ein
höheres Kommando zu übertrage"; freilich meinte er damals noch, daß an
erfahrenen Armeeofsizieren kein Maugel sei. Wenige Tage später rügt er
"den verderblichen Mißbrauch, Politiker und Zivilbeamte zu Brigadechefs und
Generalmajors zu ernennen." Auffallend ist es, daß in seinen und seiner
Korrespondenten Briefen der Teilnahme der Deutschen am Kriege gar nicht
oder in ungünstigem Sinne gedacht wird. Daß die deutschen Radikalen, die
zu Fremont hielten, "die unpraktischsten Leute von der Welt" waren, ist nicht
zu bezweifeln. Aber wenn einer von Mvtlehs Freunden die lange Dauer des
Krieges darauf schiebt, daß die Bevölkerung der Vereinigten Staaten nicht
mehr "so homogen" war, wie während des Revolutionskrieges, so ist das ein
starkes Stück und lehrt wieder nur, welchen Dank der zu erwarte" hat, der
seine Kräfte einer andern Nation widmet. Die Deutsch-Amerikaner haben doch
ihre Schuldigkeit gegen das Adoptiv-Vaterland redlich erfüllt, und die Uan-
kecs können den Namen Franz Sigel, Felix Salm (geblieben bei Se. Privat),
Schurz, Blenker wohl nicht so übermäßig viele entgegensetzen. Motley ver¬
wahrt nur einmal die Union gegen den Vorwurf, daß ihre Armeen nur aus
Jrländern, Deutschen "und andern Söldnern" bestünden! Indessen soll nicht
gesagt sein, daß er blind gegen die Schwächen seiner Landsleute sei. Nach
einer Vorlesung Thackerays über Georg 111. in einer kleinen Gesellschaft in
London, "der Creme der Londoner Creme," schreibt er: "Wenn er in solcher


Dieser letztere Umstand liefert, wie wir sehen, den Grundton für die Be¬
urteilung des Kaisers der Franzosen, der wir auch zur Zeit des mexikanischen
Kaisertums wieder begegnen. Die Wahl Lincolns und die Losreißung der
Südstaaten hatten aus dem Gelehrten und Schriftsteller einen eifrigen Poli¬
tiker gemacht. Er wurde nicht müde, nach allen Seiten hin die Gerechtigkeit
der Sache der Nordstaaten zu vertreten, insbesondre gegenüber seinen Freunden
in England, wo so viele für Jefferson Davis Partei nahmen; er bemühte sich
anderseits auch, die Entrüstung seiner Landsleute zu mäßigen, da er sich die
ungeheure Gefahr eines gleichzeitigen Krieges mit England nicht verhehlte.
Deshalb versetzte ihn die sogenannte Trent-Affaire, die widerrechtliche Ge¬
fangennahme zweier Abgesandten der Konföderirten auf dem englischen Pvst-
schiffe Trent durch den Kapitän eines Univnsschiffes, Wilkes, in große Auf¬
regung, und er konnte die weise Nachgiebigkeit seiner Regierung nicht genug
preisen. 1861 nach Amerika zurückgekehrt, sah er anfangs alles in rosigem
Lichte, setzte volles Vertrauen auf die Generale und auf die begeistert zu den
Fahnen eilenden Milizen. Aber so bald auch die Illusionen zerstört wurden, so
bedenklich es oft während des auf das Vierfache der von ihn: angenommenen
Zeit sich ausdehnenden Krieges um die Sache des Nordens stand: der Glaube
an dessen endlichen Sieg wurde nie wankend, und in dieser Beziehung werden
seine Briefe einmal schätzbare Zeugnisse für den Geschichtschreiber bieten. Schon
nach deu ersten Gefechten erkannte er es als Thorheit, Milizoffizieren ein
höheres Kommando zu übertrage»; freilich meinte er damals noch, daß an
erfahrenen Armeeofsizieren kein Maugel sei. Wenige Tage später rügt er
„den verderblichen Mißbrauch, Politiker und Zivilbeamte zu Brigadechefs und
Generalmajors zu ernennen." Auffallend ist es, daß in seinen und seiner
Korrespondenten Briefen der Teilnahme der Deutschen am Kriege gar nicht
oder in ungünstigem Sinne gedacht wird. Daß die deutschen Radikalen, die
zu Fremont hielten, „die unpraktischsten Leute von der Welt" waren, ist nicht
zu bezweifeln. Aber wenn einer von Mvtlehs Freunden die lange Dauer des
Krieges darauf schiebt, daß die Bevölkerung der Vereinigten Staaten nicht
mehr „so homogen" war, wie während des Revolutionskrieges, so ist das ein
starkes Stück und lehrt wieder nur, welchen Dank der zu erwarte» hat, der
seine Kräfte einer andern Nation widmet. Die Deutsch-Amerikaner haben doch
ihre Schuldigkeit gegen das Adoptiv-Vaterland redlich erfüllt, und die Uan-
kecs können den Namen Franz Sigel, Felix Salm (geblieben bei Se. Privat),
Schurz, Blenker wohl nicht so übermäßig viele entgegensetzen. Motley ver¬
wahrt nur einmal die Union gegen den Vorwurf, daß ihre Armeen nur aus
Jrländern, Deutschen „und andern Söldnern" bestünden! Indessen soll nicht
gesagt sein, daß er blind gegen die Schwächen seiner Landsleute sei. Nach
einer Vorlesung Thackerays über Georg 111. in einer kleinen Gesellschaft in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/160>, abgerufen am 25.08.2024.