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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Joh" Lolhrop Motley

nlledem ist es besser, nicht zu lange und zu reichlich von dem Zaubertranke
dieser Gastfreundschaft zu genießen."

Es wird kaum eine bedeutende Persönlichkeit während der zwanzig Jahre
von 1858 bis 1877 in England gelebt haben, mit der Motley nicht in Be¬
rührung gekommen wäre; doch beschränkt er sich in seinen Briefen, wenigstens
in denen an Damen, meistens auf die Beschreibung ihrer äußern Erscheinung.
Manchmal gelingt allerdings eine solche Skizze vortrefflich. Z. B. die folgende:
"Nach dem Frühstück begab ich mich in das Britische Museum und hatte mich
seit einer halben Stunde in ein Manuskript vertieft, als ich den Kopf wendete,
und sah, daß Thackerah neben mir saß mit einem Stoß alter Zeitungen, "und
eben an der neunten Nummer der Virginier schrieb." Er nahm die Brille
ab, um zu sehen, wer ich wäre, und lud mich augenblicklich ein, am nächsten
Tage bei ihm zu essen (wie er dies bei jedem thut, den er trifft). Ich konnte
die Einladung nicht annehmen, und darauf zeigte er mir die Seite, die er so¬
eben geschrieben hatte, mit einer zierlichen, kleinen, sehr leserlichen Handschrift;
und dann fuhren wir fort zu studiren. Ich kann mir nichts Angreifenderes
vorstellen für einen Schriftsteller, als so wie er von der Hand in den Mund
zu leben; ich meine in der Art, wie er dem Drnckerteufel das Futter liefert.
Jetzt beendet er eben die Nummer, die in wenigen Tagen erscheinen soll; und
immer, ob er krank oder gesund ist, fruchtbar oder gedankenarm ist, muß er
dieselbe Menge Scherz, Pathos oder Empfindung hervorbringen. Er muß
regelmäßig die Flinte laden und auf Kommando losschießen. Man sollte
meinen, er setze dabei sein Leben zu."

Um das schriftstellerische Talent unsers Autors von einer andern Seite
zu zeigen, wühlen wir eine Stelle über die Lage von Florenz, an der sich die
Leser der Grenzboten umso mehr erfreuen werden, als ihnen vor kurzem die
höchst abgeschmackten Redensarten eines geistreichelnden Dänen über denselben
Gegenstand mitgeteilt worden sind. "Die Binnenstadt ist inmitten eines
Gartens erbaut. Eine flache, grüne, üppige, etwa drei bis vier Meilen breite
Ebene wird von einer Kette sanftgeschwellter Berge umschlossen, und wenn es
jemals kleine Hügel gab, die, wie der Psalmist sagt, in die Hände klatschte"
und wie Lämmlein hüpften, so müssen es solche gewesen sein. Der Anblick
dieser Umgegend ist so heiter, wie der der Stadt finster ist. Mit den alters¬
grauen Städten kann sich der Amerikaner durchweg nicht befreunden!^ Alle
die Hügel weit und breit sind mit Palästen und kastellartigen Herrenhäusern
bedeckt; Klöster und Dörfer liegen weißlich durch silberschimmernde Olivenhaine,
üppige Weingärten und feierliche Cypressen. Die Stadt mit ihren Glocken¬
türmen und Zinnen im Zentrum ist gleichsam das Herz der Blume, Staub¬
fäden, Stempel und die innern Blättchen enthaltend, während die schöne große
Blumenkrone, voll aufgeblüht, sie rings umgiebt. Um sich dies vorzustellen,
braucht man nur eine der Anhöhen außerhalb der Stadt zu besteigen, und


Joh" Lolhrop Motley

nlledem ist es besser, nicht zu lange und zu reichlich von dem Zaubertranke
dieser Gastfreundschaft zu genießen."

Es wird kaum eine bedeutende Persönlichkeit während der zwanzig Jahre
von 1858 bis 1877 in England gelebt haben, mit der Motley nicht in Be¬
rührung gekommen wäre; doch beschränkt er sich in seinen Briefen, wenigstens
in denen an Damen, meistens auf die Beschreibung ihrer äußern Erscheinung.
Manchmal gelingt allerdings eine solche Skizze vortrefflich. Z. B. die folgende:
„Nach dem Frühstück begab ich mich in das Britische Museum und hatte mich
seit einer halben Stunde in ein Manuskript vertieft, als ich den Kopf wendete,
und sah, daß Thackerah neben mir saß mit einem Stoß alter Zeitungen, »und
eben an der neunten Nummer der Virginier schrieb.« Er nahm die Brille
ab, um zu sehen, wer ich wäre, und lud mich augenblicklich ein, am nächsten
Tage bei ihm zu essen (wie er dies bei jedem thut, den er trifft). Ich konnte
die Einladung nicht annehmen, und darauf zeigte er mir die Seite, die er so¬
eben geschrieben hatte, mit einer zierlichen, kleinen, sehr leserlichen Handschrift;
und dann fuhren wir fort zu studiren. Ich kann mir nichts Angreifenderes
vorstellen für einen Schriftsteller, als so wie er von der Hand in den Mund
zu leben; ich meine in der Art, wie er dem Drnckerteufel das Futter liefert.
Jetzt beendet er eben die Nummer, die in wenigen Tagen erscheinen soll; und
immer, ob er krank oder gesund ist, fruchtbar oder gedankenarm ist, muß er
dieselbe Menge Scherz, Pathos oder Empfindung hervorbringen. Er muß
regelmäßig die Flinte laden und auf Kommando losschießen. Man sollte
meinen, er setze dabei sein Leben zu."

Um das schriftstellerische Talent unsers Autors von einer andern Seite
zu zeigen, wühlen wir eine Stelle über die Lage von Florenz, an der sich die
Leser der Grenzboten umso mehr erfreuen werden, als ihnen vor kurzem die
höchst abgeschmackten Redensarten eines geistreichelnden Dänen über denselben
Gegenstand mitgeteilt worden sind. „Die Binnenstadt ist inmitten eines
Gartens erbaut. Eine flache, grüne, üppige, etwa drei bis vier Meilen breite
Ebene wird von einer Kette sanftgeschwellter Berge umschlossen, und wenn es
jemals kleine Hügel gab, die, wie der Psalmist sagt, in die Hände klatschte»
und wie Lämmlein hüpften, so müssen es solche gewesen sein. Der Anblick
dieser Umgegend ist so heiter, wie der der Stadt finster ist. Mit den alters¬
grauen Städten kann sich der Amerikaner durchweg nicht befreunden!^ Alle
die Hügel weit und breit sind mit Palästen und kastellartigen Herrenhäusern
bedeckt; Klöster und Dörfer liegen weißlich durch silberschimmernde Olivenhaine,
üppige Weingärten und feierliche Cypressen. Die Stadt mit ihren Glocken¬
türmen und Zinnen im Zentrum ist gleichsam das Herz der Blume, Staub¬
fäden, Stempel und die innern Blättchen enthaltend, während die schöne große
Blumenkrone, voll aufgeblüht, sie rings umgiebt. Um sich dies vorzustellen,
braucht man nur eine der Anhöhen außerhalb der Stadt zu besteigen, und


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[0158] Joh" Lolhrop Motley nlledem ist es besser, nicht zu lange und zu reichlich von dem Zaubertranke dieser Gastfreundschaft zu genießen." Es wird kaum eine bedeutende Persönlichkeit während der zwanzig Jahre von 1858 bis 1877 in England gelebt haben, mit der Motley nicht in Be¬ rührung gekommen wäre; doch beschränkt er sich in seinen Briefen, wenigstens in denen an Damen, meistens auf die Beschreibung ihrer äußern Erscheinung. Manchmal gelingt allerdings eine solche Skizze vortrefflich. Z. B. die folgende: „Nach dem Frühstück begab ich mich in das Britische Museum und hatte mich seit einer halben Stunde in ein Manuskript vertieft, als ich den Kopf wendete, und sah, daß Thackerah neben mir saß mit einem Stoß alter Zeitungen, »und eben an der neunten Nummer der Virginier schrieb.« Er nahm die Brille ab, um zu sehen, wer ich wäre, und lud mich augenblicklich ein, am nächsten Tage bei ihm zu essen (wie er dies bei jedem thut, den er trifft). Ich konnte die Einladung nicht annehmen, und darauf zeigte er mir die Seite, die er so¬ eben geschrieben hatte, mit einer zierlichen, kleinen, sehr leserlichen Handschrift; und dann fuhren wir fort zu studiren. Ich kann mir nichts Angreifenderes vorstellen für einen Schriftsteller, als so wie er von der Hand in den Mund zu leben; ich meine in der Art, wie er dem Drnckerteufel das Futter liefert. Jetzt beendet er eben die Nummer, die in wenigen Tagen erscheinen soll; und immer, ob er krank oder gesund ist, fruchtbar oder gedankenarm ist, muß er dieselbe Menge Scherz, Pathos oder Empfindung hervorbringen. Er muß regelmäßig die Flinte laden und auf Kommando losschießen. Man sollte meinen, er setze dabei sein Leben zu." Um das schriftstellerische Talent unsers Autors von einer andern Seite zu zeigen, wühlen wir eine Stelle über die Lage von Florenz, an der sich die Leser der Grenzboten umso mehr erfreuen werden, als ihnen vor kurzem die höchst abgeschmackten Redensarten eines geistreichelnden Dänen über denselben Gegenstand mitgeteilt worden sind. „Die Binnenstadt ist inmitten eines Gartens erbaut. Eine flache, grüne, üppige, etwa drei bis vier Meilen breite Ebene wird von einer Kette sanftgeschwellter Berge umschlossen, und wenn es jemals kleine Hügel gab, die, wie der Psalmist sagt, in die Hände klatschte» und wie Lämmlein hüpften, so müssen es solche gewesen sein. Der Anblick dieser Umgegend ist so heiter, wie der der Stadt finster ist. Mit den alters¬ grauen Städten kann sich der Amerikaner durchweg nicht befreunden!^ Alle die Hügel weit und breit sind mit Palästen und kastellartigen Herrenhäusern bedeckt; Klöster und Dörfer liegen weißlich durch silberschimmernde Olivenhaine, üppige Weingärten und feierliche Cypressen. Die Stadt mit ihren Glocken¬ türmen und Zinnen im Zentrum ist gleichsam das Herz der Blume, Staub¬ fäden, Stempel und die innern Blättchen enthaltend, während die schöne große Blumenkrone, voll aufgeblüht, sie rings umgiebt. Um sich dies vorzustellen, braucht man nur eine der Anhöhen außerhalb der Stadt zu besteigen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/158>, abgerufen am 23.07.2024.