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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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John Lothrop Motley

waren sie sich 1864 zwar begegnet, jedoch im Drange der Geschäfte wohl kaum
zu so ruhigem Gedankenaustausche gekommen, wie dort auf dem Lande. Und
nur äußert er sich in einem Briefe an den amerikanischen Dichter Oliver
Wendell Holmes nicht nur voll Begeisterung über Bismarcks Wirken, sondern
auch über den Ersatz "des latiuisirten keltischen Einflusses durch den soliden
gefunden teutonischen," über die Herstellung eines einigen Italiens und eines
einigen Deutschlands, während er früher den Einheitsbestrebungen und den
Ansprüchen Preußens ziemlich kühl und mit Neigung zu ironischer Betrachtung
gegenübergestanden hatte.

Mit den Beiträgen zur Charakteristik unsers großen Staatsmannes ist
aber der interessante Inhalt der beiden Bünde keineswegs erschöpft. Da
Motley von den 63 Jahren seines Lebens reichlich die Hälfte, den bei weitem
größten Teil seines Mannesalters, in Europa zugebracht und stets einen leb¬
haften Briefwechsel mit Angehörigen und Freunden dies- und jenseits des
Weltmeeres unterhalten hat, liefert dieser eine Selbstbiographie, die den Vorzug
hat, nicht erst im Alter und mit dem Zwecke der Veröffentlichung verfaßt zu
sein. Er hat in Deutschland, den Niederlanden, England, Frankreich, Italien
wiederholt längern Aufenthalt genommen, kürzern in Nußland, und teils seine
amtlichen Stellungen, teils seine schriftstellerische Thätigkeit brachten ihn in
Verbindung mit verschiednen Gesellschaftskreisen, vor allem mit der vornehmen
Welt der verschiednen Länder. Er beobachtet gut, anfangs als Fremder, der
an alles den Maßstab seiner Heimat anlegt (die Gewohnheit, nicht nur über
die Lebensgewohnheiten, sondern auch über die Lebensmittelpreise nach Hause
zu berichten, giebt diesen Mitteilungen einen bleibenden Wert), spater als Ein¬
gebürgerter. Eine enthusiastische Natur, thut er allerdings seineu Sympathien
und Antipathien keinen Zwang an, ist sich aber dessen wohl bewußt und giebt
solche Urteile nicht für objektiv aus. Dabei ist alles, was er schreibt, von
schönem Familiensinn und kräftigster Vaterlandsliebe durchweht und durch¬
wärmt. Genug, es verlohnt sich wohl, einen Gang durch dieses Lebensbild
zu machen.

Wir folgen hierbei der autorisirten deutschen Ausgabe: Briefwechsel
von I. L. Motley. Aus dem Englischen übersetzt von A. Eltze (Berlin,
O. Janke), die, wie vorausbemerkt werden mag, leider nicht frei von Fehlern
ist. Bei vielen bleiben wir im Zweifel, ob sie dem Setzer oder dem Über¬
setzer zur Last fallen. Gewiß ist, daß des Letztern Deutsch (wie schon der Titel
Zeigt) und seine Interpunktion manches zu wünschen übrig lassen, und daß die
Übersetzung oft nach dem Wörterbuche schmeckt. Am unangenehmsten fällt die
häufige Verunstaltung bekannter Namen auf. Daß der holländische Diplomat
Heekeren immer Heckeren heißt, mag verzeihlich sein; aber der amerikanische
Gesandte Jay (der Nachfolger Motleys in Wien, der Schwiegervater des Generals
v- Schweinitz) wird wohl zehnmal Tay genannt, Duvergier d'Hanranne und


John Lothrop Motley

waren sie sich 1864 zwar begegnet, jedoch im Drange der Geschäfte wohl kaum
zu so ruhigem Gedankenaustausche gekommen, wie dort auf dem Lande. Und
nur äußert er sich in einem Briefe an den amerikanischen Dichter Oliver
Wendell Holmes nicht nur voll Begeisterung über Bismarcks Wirken, sondern
auch über den Ersatz „des latiuisirten keltischen Einflusses durch den soliden
gefunden teutonischen," über die Herstellung eines einigen Italiens und eines
einigen Deutschlands, während er früher den Einheitsbestrebungen und den
Ansprüchen Preußens ziemlich kühl und mit Neigung zu ironischer Betrachtung
gegenübergestanden hatte.

Mit den Beiträgen zur Charakteristik unsers großen Staatsmannes ist
aber der interessante Inhalt der beiden Bünde keineswegs erschöpft. Da
Motley von den 63 Jahren seines Lebens reichlich die Hälfte, den bei weitem
größten Teil seines Mannesalters, in Europa zugebracht und stets einen leb¬
haften Briefwechsel mit Angehörigen und Freunden dies- und jenseits des
Weltmeeres unterhalten hat, liefert dieser eine Selbstbiographie, die den Vorzug
hat, nicht erst im Alter und mit dem Zwecke der Veröffentlichung verfaßt zu
sein. Er hat in Deutschland, den Niederlanden, England, Frankreich, Italien
wiederholt längern Aufenthalt genommen, kürzern in Nußland, und teils seine
amtlichen Stellungen, teils seine schriftstellerische Thätigkeit brachten ihn in
Verbindung mit verschiednen Gesellschaftskreisen, vor allem mit der vornehmen
Welt der verschiednen Länder. Er beobachtet gut, anfangs als Fremder, der
an alles den Maßstab seiner Heimat anlegt (die Gewohnheit, nicht nur über
die Lebensgewohnheiten, sondern auch über die Lebensmittelpreise nach Hause
zu berichten, giebt diesen Mitteilungen einen bleibenden Wert), spater als Ein¬
gebürgerter. Eine enthusiastische Natur, thut er allerdings seineu Sympathien
und Antipathien keinen Zwang an, ist sich aber dessen wohl bewußt und giebt
solche Urteile nicht für objektiv aus. Dabei ist alles, was er schreibt, von
schönem Familiensinn und kräftigster Vaterlandsliebe durchweht und durch¬
wärmt. Genug, es verlohnt sich wohl, einen Gang durch dieses Lebensbild
zu machen.

Wir folgen hierbei der autorisirten deutschen Ausgabe: Briefwechsel
von I. L. Motley. Aus dem Englischen übersetzt von A. Eltze (Berlin,
O. Janke), die, wie vorausbemerkt werden mag, leider nicht frei von Fehlern
ist. Bei vielen bleiben wir im Zweifel, ob sie dem Setzer oder dem Über¬
setzer zur Last fallen. Gewiß ist, daß des Letztern Deutsch (wie schon der Titel
Zeigt) und seine Interpunktion manches zu wünschen übrig lassen, und daß die
Übersetzung oft nach dem Wörterbuche schmeckt. Am unangenehmsten fällt die
häufige Verunstaltung bekannter Namen auf. Daß der holländische Diplomat
Heekeren immer Heckeren heißt, mag verzeihlich sein; aber der amerikanische
Gesandte Jay (der Nachfolger Motleys in Wien, der Schwiegervater des Generals
v- Schweinitz) wird wohl zehnmal Tay genannt, Duvergier d'Hanranne und


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[0155] John Lothrop Motley waren sie sich 1864 zwar begegnet, jedoch im Drange der Geschäfte wohl kaum zu so ruhigem Gedankenaustausche gekommen, wie dort auf dem Lande. Und nur äußert er sich in einem Briefe an den amerikanischen Dichter Oliver Wendell Holmes nicht nur voll Begeisterung über Bismarcks Wirken, sondern auch über den Ersatz „des latiuisirten keltischen Einflusses durch den soliden gefunden teutonischen," über die Herstellung eines einigen Italiens und eines einigen Deutschlands, während er früher den Einheitsbestrebungen und den Ansprüchen Preußens ziemlich kühl und mit Neigung zu ironischer Betrachtung gegenübergestanden hatte. Mit den Beiträgen zur Charakteristik unsers großen Staatsmannes ist aber der interessante Inhalt der beiden Bünde keineswegs erschöpft. Da Motley von den 63 Jahren seines Lebens reichlich die Hälfte, den bei weitem größten Teil seines Mannesalters, in Europa zugebracht und stets einen leb¬ haften Briefwechsel mit Angehörigen und Freunden dies- und jenseits des Weltmeeres unterhalten hat, liefert dieser eine Selbstbiographie, die den Vorzug hat, nicht erst im Alter und mit dem Zwecke der Veröffentlichung verfaßt zu sein. Er hat in Deutschland, den Niederlanden, England, Frankreich, Italien wiederholt längern Aufenthalt genommen, kürzern in Nußland, und teils seine amtlichen Stellungen, teils seine schriftstellerische Thätigkeit brachten ihn in Verbindung mit verschiednen Gesellschaftskreisen, vor allem mit der vornehmen Welt der verschiednen Länder. Er beobachtet gut, anfangs als Fremder, der an alles den Maßstab seiner Heimat anlegt (die Gewohnheit, nicht nur über die Lebensgewohnheiten, sondern auch über die Lebensmittelpreise nach Hause zu berichten, giebt diesen Mitteilungen einen bleibenden Wert), spater als Ein¬ gebürgerter. Eine enthusiastische Natur, thut er allerdings seineu Sympathien und Antipathien keinen Zwang an, ist sich aber dessen wohl bewußt und giebt solche Urteile nicht für objektiv aus. Dabei ist alles, was er schreibt, von schönem Familiensinn und kräftigster Vaterlandsliebe durchweht und durch¬ wärmt. Genug, es verlohnt sich wohl, einen Gang durch dieses Lebensbild zu machen. Wir folgen hierbei der autorisirten deutschen Ausgabe: Briefwechsel von I. L. Motley. Aus dem Englischen übersetzt von A. Eltze (Berlin, O. Janke), die, wie vorausbemerkt werden mag, leider nicht frei von Fehlern ist. Bei vielen bleiben wir im Zweifel, ob sie dem Setzer oder dem Über¬ setzer zur Last fallen. Gewiß ist, daß des Letztern Deutsch (wie schon der Titel Zeigt) und seine Interpunktion manches zu wünschen übrig lassen, und daß die Übersetzung oft nach dem Wörterbuche schmeckt. Am unangenehmsten fällt die häufige Verunstaltung bekannter Namen auf. Daß der holländische Diplomat Heekeren immer Heckeren heißt, mag verzeihlich sein; aber der amerikanische Gesandte Jay (der Nachfolger Motleys in Wien, der Schwiegervater des Generals v- Schweinitz) wird wohl zehnmal Tay genannt, Duvergier d'Hanranne und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/155>, abgerufen am 23.07.2024.