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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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deutlich vermag man selbst noch die Feinheiten der einzelnen Stoffe in dieser
"düstern Nacht" des Hintergrundes zu unterscheiden! Besondres Interesse
nimmt das ausgestellte Berliner Exemplar des zweiten Zustandes dieser Na-
dirung in Anspruch wegen der Weißhvhuugeu, die, wohl von Rembrandts
eigner Hand hinzugesetzt, Zeugnis ablegen von der liebevollen Sorgfalt, mit
der der Meister die Wirkung seiner Arbeiten abwog. Doch wir dürfen
uns in dieser summarischen Schilderung nicht mit gleicher Liebe in die Einzel¬
heiten dieses Wunderwerkes versenken, da uns der Reichtum der noch zu be¬
trachtenden Schöpfungen Rembrandts zur Eile treibt. Prange doch auf der¬
selben Schmalwand des Ausstellungsraumes neben den: wunderbaren Selbstporträt
von 1048, das den Meister, gebeugt von herben Lebenserfahrungen, ohne den
kecken, fast schelmischen Ausdruck seiner jugendlichen Kostümbildnisfe, aber mit
dem tiefdringenden Blick eines echten Menschenkenners, bei der Arbeit sitzend
zeigt, neben den immer wieder veränderten Zuständen des sogenannten kleinen
Cvppenol -- die reifste und unvergeßlichste seiner Radirungen, das "Hundert-
guldenblatt." Es bezeichnet den Gipfelpunkt seiner Leistungsfähigkeit in Auf¬
fassung und Technik. Der schlichte, in drei Worten wiedergegebene Vorgang:
Christus, Kranke heilend, ist hier in einer kaum jemals wieder erreichten Tiefe
aufgefaßt und mit einer ringshin wirkenden Kraft des Ausdruckes dargestellt
worden. Der Seeleumaler schwelgt in der mit Worten schlechthin nicht erreich¬
baren Fülle und Abstufung von Empfindungen; in jeder Gestalt spiegelt sich
die erlösende That des Heilandes, der selbst, ein echter Arzt, gelassen, mit
mildernsteu Zügen in der Mitte der innerlich fo erregten Schar steht, anders
wieder. Da ist Vertrauen, gesteigert bis zu inbrünstiger Hingebung, Scheu, ab¬
wartende Haltung, Mißtrauen, Zweifel, Hohn neben stumpfsinniger Resignation --
eine Flut meist verhaltener Empfindungen, ohne jede leidenschaftliche Geberde
und Bewegung, in der Schwebe gehalten durch die fast ängstliche Aufmerk¬
samkeit, die sich auf den Mittelpunkt der Szene richtet. Nicht das vollendete
Wunder, nicht den Erfolg stellt der Künstler dar, sondern den vorausgehenden
Augenblick der Erwartung. Auch technisch gehört dieses fast durchweg mit der
kalten Nadel ausgeführte Blatt (uur die Umrisse siud vorgeätzt) zu den reifsten
und vollendetsten Schöpfungen des Meisters. Es darf daher nicht Wunder
nehmen, daß der zu Lebzeiten Rembrandts bereits Aufsehen erregende Preis
von 100 Gulden für den nnr in acht Abdrücken bekannten ersten Zustand auf
33000 Franks gestiegen ist, zu welchem Preise das ausgestellte Berliner
Exemplar in der Versteigerung Bucclcugh 1887 erworben wurde.

Mehr und mehr scheu wir in den folgenden Jahren den Künstler auf
rein malerische Wirkungen seiner Radirkunst hinarbeiten. Man hat sich früher
über die technischen Geheimnisse seiner Arbeitsweise den Kopf zerbrochen, und
doch hat er keiner besondern Vorrichtungen und Handgriffe bedurft, um seine
allerdings nie wieder erreichten Leistungen zu erzielen. Eine namentlich von


deutlich vermag man selbst noch die Feinheiten der einzelnen Stoffe in dieser
„düstern Nacht" des Hintergrundes zu unterscheiden! Besondres Interesse
nimmt das ausgestellte Berliner Exemplar des zweiten Zustandes dieser Na-
dirung in Anspruch wegen der Weißhvhuugeu, die, wohl von Rembrandts
eigner Hand hinzugesetzt, Zeugnis ablegen von der liebevollen Sorgfalt, mit
der der Meister die Wirkung seiner Arbeiten abwog. Doch wir dürfen
uns in dieser summarischen Schilderung nicht mit gleicher Liebe in die Einzel¬
heiten dieses Wunderwerkes versenken, da uns der Reichtum der noch zu be¬
trachtenden Schöpfungen Rembrandts zur Eile treibt. Prange doch auf der¬
selben Schmalwand des Ausstellungsraumes neben den: wunderbaren Selbstporträt
von 1048, das den Meister, gebeugt von herben Lebenserfahrungen, ohne den
kecken, fast schelmischen Ausdruck seiner jugendlichen Kostümbildnisfe, aber mit
dem tiefdringenden Blick eines echten Menschenkenners, bei der Arbeit sitzend
zeigt, neben den immer wieder veränderten Zuständen des sogenannten kleinen
Cvppenol — die reifste und unvergeßlichste seiner Radirungen, das „Hundert-
guldenblatt." Es bezeichnet den Gipfelpunkt seiner Leistungsfähigkeit in Auf¬
fassung und Technik. Der schlichte, in drei Worten wiedergegebene Vorgang:
Christus, Kranke heilend, ist hier in einer kaum jemals wieder erreichten Tiefe
aufgefaßt und mit einer ringshin wirkenden Kraft des Ausdruckes dargestellt
worden. Der Seeleumaler schwelgt in der mit Worten schlechthin nicht erreich¬
baren Fülle und Abstufung von Empfindungen; in jeder Gestalt spiegelt sich
die erlösende That des Heilandes, der selbst, ein echter Arzt, gelassen, mit
mildernsteu Zügen in der Mitte der innerlich fo erregten Schar steht, anders
wieder. Da ist Vertrauen, gesteigert bis zu inbrünstiger Hingebung, Scheu, ab¬
wartende Haltung, Mißtrauen, Zweifel, Hohn neben stumpfsinniger Resignation —
eine Flut meist verhaltener Empfindungen, ohne jede leidenschaftliche Geberde
und Bewegung, in der Schwebe gehalten durch die fast ängstliche Aufmerk¬
samkeit, die sich auf den Mittelpunkt der Szene richtet. Nicht das vollendete
Wunder, nicht den Erfolg stellt der Künstler dar, sondern den vorausgehenden
Augenblick der Erwartung. Auch technisch gehört dieses fast durchweg mit der
kalten Nadel ausgeführte Blatt (uur die Umrisse siud vorgeätzt) zu den reifsten
und vollendetsten Schöpfungen des Meisters. Es darf daher nicht Wunder
nehmen, daß der zu Lebzeiten Rembrandts bereits Aufsehen erregende Preis
von 100 Gulden für den nnr in acht Abdrücken bekannten ersten Zustand auf
33000 Franks gestiegen ist, zu welchem Preise das ausgestellte Berliner
Exemplar in der Versteigerung Bucclcugh 1887 erworben wurde.

Mehr und mehr scheu wir in den folgenden Jahren den Künstler auf
rein malerische Wirkungen seiner Radirkunst hinarbeiten. Man hat sich früher
über die technischen Geheimnisse seiner Arbeitsweise den Kopf zerbrochen, und
doch hat er keiner besondern Vorrichtungen und Handgriffe bedurft, um seine
allerdings nie wieder erreichten Leistungen zu erzielen. Eine namentlich von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/138>, abgerufen am 23.07.2024.