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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Hvffinnnn war nämlich 1820 der Dezernent der Jmmediatuntersuchungs-
kvmmissivn gegen die Demagogen in dein Hauptprozesse gegen Friedrich Lud¬
wig Jahr, der allerdings damals der Zahl seiner Lebensjahre nach nicht mehr
dem Jünglingsalter angehörte. Der Bericht des Dezernenten wurde in diesem
Falle zu einer glänzenden Verteidigung Jahns, die sich in Jahns Nachlasse
fand und von mir schon 1855 auf nicht weniger als hundert Seiten im An¬
hange der ersten Auflage von Indus Leben veröffentlicht worden ist, was
Robert Bocksberger und Max Koch entgangen ist. Studenten kommen in
den Aktenstücken fast gnr nicht in Betracht. Gegen einen Gymnasiasten da¬
gegen, der durch seiue Unvorsichtigkeit die Verhaftung des Turnvaters veran¬
laßt hat, läßt der Kriminalist in schonender Weise etwas weniges von der
Ironie des Romanschreibers gegen die Katerjüuglinge durchblicken. Alle para¬
doxen Äußerungen Jahns werden von Hoffmann zusammengestellt. Teils will
er dadurch beweise", daß alle diese Reden nur bildliche Allsdrücke ohne Hoch¬
verrat seien, teils sollen sie auch bloß zur Vervollständigung der Hoffmannschen
Charakteristik Jahns dienen. Jahns Teilnahme an der Burschenschaft ist für
Hoffmann unbewiesen. Wenn über hundert Exemplare einer Verteidigung des
Wartburgfestes in Jahns Hause gefunden worden find, so beweist dies bloß,
daß er sie nicht verteilt hat. Aber wohlgemerkt, meint Hoffmann, der gegen
Napoleon gerichtete deutsche Bund (verschieden vom Tugendbund) ist 1810
von Jahr und Friesen in Berlin gestiftet worden. Nun behaupteten zwar
mehrere ehemalige Mitglieder desselben, daß in ihm der Gedanke an die
Republik nicht ausgeschlossen gewesen und insofern wohl anch die nunmehrige
Burschenschaft die Fortsetzung des deutschen Bundes sei. Hier zeigt sich Hoff-
manns hervorragende Beobachtungsgabe, indem er darlegt, daß den Burschen¬
schaftern von 1817 und den Patrioten von 1810 auch solche Ideen des Um¬
sturzes untergeschoben wurden, an denen sie ganz unschuldig waren. Ohne
große theologische und geschichtliche Vorkenntnisse deutet er an, daß sich uoch
der alte Gedanke aus der Zeit der Beendigung des dreißigjährigen Krieges,
Deutschland wieder in Religion und Politik unter einen Hut zu bringe", ein¬
mische, aber durchaus nicht wie in der Lehniuischen Weissagung von Branden¬
burg, sondern von Wien aus. Wäre aber wirklich der deutsche Bund von
1810 auf Einführung der Republik ausgegangen, so müßte man nach Hoff¬
mann damit anfangen, die Denunzianten, da diese jetzt ihrer Teilnahme an
dem deutschen Blinde geständig seien, nach dem preußischen Landrechte noch
zu "simpler Todesstrafe ohne Verschärfung" zu verurteilen. Es sei aber doch
nicht nötig, dum ihre Denunziation sei falsch. Allerdings Hütte der deutsche
Bund nach dem Tode der Königin Luise kein volles Zutrauen zum Könige
gehabt. Es könnte vielleicht die Frage aufgeworfen worden sein, was man zu thun
hätte, wenn Preußen dem Schicksale Spaniens entgegenginge. Aber Hoffmann
Zeigte, daß mir einer die Antwort: Republik offen ausgesprochen hatte, und


Hvffinnnn war nämlich 1820 der Dezernent der Jmmediatuntersuchungs-
kvmmissivn gegen die Demagogen in dein Hauptprozesse gegen Friedrich Lud¬
wig Jahr, der allerdings damals der Zahl seiner Lebensjahre nach nicht mehr
dem Jünglingsalter angehörte. Der Bericht des Dezernenten wurde in diesem
Falle zu einer glänzenden Verteidigung Jahns, die sich in Jahns Nachlasse
fand und von mir schon 1855 auf nicht weniger als hundert Seiten im An¬
hange der ersten Auflage von Indus Leben veröffentlicht worden ist, was
Robert Bocksberger und Max Koch entgangen ist. Studenten kommen in
den Aktenstücken fast gnr nicht in Betracht. Gegen einen Gymnasiasten da¬
gegen, der durch seiue Unvorsichtigkeit die Verhaftung des Turnvaters veran¬
laßt hat, läßt der Kriminalist in schonender Weise etwas weniges von der
Ironie des Romanschreibers gegen die Katerjüuglinge durchblicken. Alle para¬
doxen Äußerungen Jahns werden von Hoffmann zusammengestellt. Teils will
er dadurch beweise«, daß alle diese Reden nur bildliche Allsdrücke ohne Hoch¬
verrat seien, teils sollen sie auch bloß zur Vervollständigung der Hoffmannschen
Charakteristik Jahns dienen. Jahns Teilnahme an der Burschenschaft ist für
Hoffmann unbewiesen. Wenn über hundert Exemplare einer Verteidigung des
Wartburgfestes in Jahns Hause gefunden worden find, so beweist dies bloß,
daß er sie nicht verteilt hat. Aber wohlgemerkt, meint Hoffmann, der gegen
Napoleon gerichtete deutsche Bund (verschieden vom Tugendbund) ist 1810
von Jahr und Friesen in Berlin gestiftet worden. Nun behaupteten zwar
mehrere ehemalige Mitglieder desselben, daß in ihm der Gedanke an die
Republik nicht ausgeschlossen gewesen und insofern wohl anch die nunmehrige
Burschenschaft die Fortsetzung des deutschen Bundes sei. Hier zeigt sich Hoff-
manns hervorragende Beobachtungsgabe, indem er darlegt, daß den Burschen¬
schaftern von 1817 und den Patrioten von 1810 auch solche Ideen des Um¬
sturzes untergeschoben wurden, an denen sie ganz unschuldig waren. Ohne
große theologische und geschichtliche Vorkenntnisse deutet er an, daß sich uoch
der alte Gedanke aus der Zeit der Beendigung des dreißigjährigen Krieges,
Deutschland wieder in Religion und Politik unter einen Hut zu bringe», ein¬
mische, aber durchaus nicht wie in der Lehniuischen Weissagung von Branden¬
burg, sondern von Wien aus. Wäre aber wirklich der deutsche Bund von
1810 auf Einführung der Republik ausgegangen, so müßte man nach Hoff¬
mann damit anfangen, die Denunzianten, da diese jetzt ihrer Teilnahme an
dem deutschen Blinde geständig seien, nach dem preußischen Landrechte noch
zu „simpler Todesstrafe ohne Verschärfung" zu verurteilen. Es sei aber doch
nicht nötig, dum ihre Denunziation sei falsch. Allerdings Hütte der deutsche
Bund nach dem Tode der Königin Luise kein volles Zutrauen zum Könige
gehabt. Es könnte vielleicht die Frage aufgeworfen worden sein, was man zu thun
hätte, wenn Preußen dem Schicksale Spaniens entgegenginge. Aber Hoffmann
Zeigte, daß mir einer die Antwort: Republik offen ausgesprochen hatte, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/133>, abgerufen am 25.08.2024.