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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Ehrenrettung Lrnst Theodor Wilhelm Hoffmanns

und Statuten habe. Der Verein beruhe nur auf Gleichheit der Gesinnung
und des Geschmackes: jedes Mitglied genieße natürlich Milch und Braten
lieber als Brot und Wasser. Alle Katerjüuglinge nennen sich du. Einige
der auf den Dächern gesungenen Lieder sind lateinisch, namentlich das (Ülmcls-
llnrus und der Kehrreim Lvov drum oormiri, bonrinr se ^uomiäum ki'iitrss
liabitMs in unum, aber alles mit Minu. Getrunken wird Punsch- Dem
Kater Murr wird es doch etwas schwindlig, weshalb ihn der Freund dnrch
eine Luke nach Hause führt. Längere Zeit gehen den Katerjünglingen diese
Zusammenkünfte so hin. Ein neidischer Kettenhund macht zuerst auf das
Katergeheul aufmerksam. Zuletzt werfen die Hausknechte mit Holz und Steinen
nach den Katerjünglingen. Manchem wird der Fuß mit einem Ziegel zer¬
schmettert, der vorsichtige Murr aber gelangt mit heiler Haut wieder unter
den Ofen des Kapellmeisters Kreisler, seines Lehrers und Erziehers.

Diese Satire auf die Burschenschaft ist nicht besser, aber feiner als die
Immermanns in den "Epigonen." Auch trifft sie die andern Studentenver¬
bindungen mit, was bei Immermann nicht der Fall ist. Mit den Burschen¬
schafter teilt Hoffmann sogar die Abneigung gegen die kleinen Höfe. Er spricht
im Kater Murr vom "kleinen Negeutenstühlcheu." Ein Herrlein, das darauf
sitzt, verlangt nach Hoffmanns Erzählung italienischen Salat. Es fehlt aber
an Muscheln, um ihn aufzutragen. Anfangs will sich der Oberküchenmeister
aus Verzweiflung das Ragoutmcsfer in deu Leib stoßen. Er besinnt sich aber
und läßt den Herrn Oberstnllmeister um einen Wagen bitten, weil er die Muscheln
aus der Stadt holen will. Der Wagen wird verweigert: es bedürfe dazu einer
Kabinetsordre. Zum Glück aber soll der Kapellmeister Kreisler soeben laut
Kabinetsordre mit einem alten Jäger auf dem Bocke nach der Stadt hinunter¬
gefahren werden. Kreisler steigt sofort aus und läßt den Oberküchenmeister
einsteigen, um die Muscheln aus der Stadt zuholen. "Große Seele!" ruft ihm
der alte Jäger nach, wie er vom Bocke aus Kreisler auf einem Richtwege
nach der Stadt hinabsteigen sieht.

Die schwungvolle und geistreiche Beobachtung des Tierlebeus in Kater
Murr wird in Hoffmanns letzten: und schlechtesten Romane "Meister Floh"
widerwärtig. Meister Floh ist einer von den einexerzirten Flöhen, die von
einem Tausendkünstler auch in Berlin mikroskopisch vorgeführt worden waren.
Hoffmann zeigt bei dieser Gelegenheit nicht allein Manches von der schmutzigen
Wüsche Berlins; er nimmt sogar etwas auf, was er als Untersuchungsrichter
aus dem Leben eines ehemaligen Jenaer Studenten erfahren hat. Ja er
rühmte sich sogar der Benutzung des Stoffes in feiner Weinstube. Hier¬
durch aber zog er sich Verdrießlichkeiten zu und mußte den Schluß des Romans,
der sich mehr als das schon Gedruckte mit dem Jenaer beschäftigt zu haben
scheint, aus der Druckerei zurückverlangen. Der Präsident des Kammergerichtes
hatte mit weitern Maßregeln gedroht, doch unterblieben diese wegen seiner letzten


Zur Ehrenrettung Lrnst Theodor Wilhelm Hoffmanns

und Statuten habe. Der Verein beruhe nur auf Gleichheit der Gesinnung
und des Geschmackes: jedes Mitglied genieße natürlich Milch und Braten
lieber als Brot und Wasser. Alle Katerjüuglinge nennen sich du. Einige
der auf den Dächern gesungenen Lieder sind lateinisch, namentlich das (Ülmcls-
llnrus und der Kehrreim Lvov drum oormiri, bonrinr se ^uomiäum ki'iitrss
liabitMs in unum, aber alles mit Minu. Getrunken wird Punsch- Dem
Kater Murr wird es doch etwas schwindlig, weshalb ihn der Freund dnrch
eine Luke nach Hause führt. Längere Zeit gehen den Katerjünglingen diese
Zusammenkünfte so hin. Ein neidischer Kettenhund macht zuerst auf das
Katergeheul aufmerksam. Zuletzt werfen die Hausknechte mit Holz und Steinen
nach den Katerjünglingen. Manchem wird der Fuß mit einem Ziegel zer¬
schmettert, der vorsichtige Murr aber gelangt mit heiler Haut wieder unter
den Ofen des Kapellmeisters Kreisler, seines Lehrers und Erziehers.

Diese Satire auf die Burschenschaft ist nicht besser, aber feiner als die
Immermanns in den „Epigonen." Auch trifft sie die andern Studentenver¬
bindungen mit, was bei Immermann nicht der Fall ist. Mit den Burschen¬
schafter teilt Hoffmann sogar die Abneigung gegen die kleinen Höfe. Er spricht
im Kater Murr vom „kleinen Negeutenstühlcheu." Ein Herrlein, das darauf
sitzt, verlangt nach Hoffmanns Erzählung italienischen Salat. Es fehlt aber
an Muscheln, um ihn aufzutragen. Anfangs will sich der Oberküchenmeister
aus Verzweiflung das Ragoutmcsfer in deu Leib stoßen. Er besinnt sich aber
und läßt den Herrn Oberstnllmeister um einen Wagen bitten, weil er die Muscheln
aus der Stadt holen will. Der Wagen wird verweigert: es bedürfe dazu einer
Kabinetsordre. Zum Glück aber soll der Kapellmeister Kreisler soeben laut
Kabinetsordre mit einem alten Jäger auf dem Bocke nach der Stadt hinunter¬
gefahren werden. Kreisler steigt sofort aus und läßt den Oberküchenmeister
einsteigen, um die Muscheln aus der Stadt zuholen. „Große Seele!" ruft ihm
der alte Jäger nach, wie er vom Bocke aus Kreisler auf einem Richtwege
nach der Stadt hinabsteigen sieht.

Die schwungvolle und geistreiche Beobachtung des Tierlebeus in Kater
Murr wird in Hoffmanns letzten: und schlechtesten Romane „Meister Floh"
widerwärtig. Meister Floh ist einer von den einexerzirten Flöhen, die von
einem Tausendkünstler auch in Berlin mikroskopisch vorgeführt worden waren.
Hoffmann zeigt bei dieser Gelegenheit nicht allein Manches von der schmutzigen
Wüsche Berlins; er nimmt sogar etwas auf, was er als Untersuchungsrichter
aus dem Leben eines ehemaligen Jenaer Studenten erfahren hat. Ja er
rühmte sich sogar der Benutzung des Stoffes in feiner Weinstube. Hier¬
durch aber zog er sich Verdrießlichkeiten zu und mußte den Schluß des Romans,
der sich mehr als das schon Gedruckte mit dem Jenaer beschäftigt zu haben
scheint, aus der Druckerei zurückverlangen. Der Präsident des Kammergerichtes
hatte mit weitern Maßregeln gedroht, doch unterblieben diese wegen seiner letzten


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[0131] Zur Ehrenrettung Lrnst Theodor Wilhelm Hoffmanns und Statuten habe. Der Verein beruhe nur auf Gleichheit der Gesinnung und des Geschmackes: jedes Mitglied genieße natürlich Milch und Braten lieber als Brot und Wasser. Alle Katerjüuglinge nennen sich du. Einige der auf den Dächern gesungenen Lieder sind lateinisch, namentlich das (Ülmcls- llnrus und der Kehrreim Lvov drum oormiri, bonrinr se ^uomiäum ki'iitrss liabitMs in unum, aber alles mit Minu. Getrunken wird Punsch- Dem Kater Murr wird es doch etwas schwindlig, weshalb ihn der Freund dnrch eine Luke nach Hause führt. Längere Zeit gehen den Katerjünglingen diese Zusammenkünfte so hin. Ein neidischer Kettenhund macht zuerst auf das Katergeheul aufmerksam. Zuletzt werfen die Hausknechte mit Holz und Steinen nach den Katerjünglingen. Manchem wird der Fuß mit einem Ziegel zer¬ schmettert, der vorsichtige Murr aber gelangt mit heiler Haut wieder unter den Ofen des Kapellmeisters Kreisler, seines Lehrers und Erziehers. Diese Satire auf die Burschenschaft ist nicht besser, aber feiner als die Immermanns in den „Epigonen." Auch trifft sie die andern Studentenver¬ bindungen mit, was bei Immermann nicht der Fall ist. Mit den Burschen¬ schafter teilt Hoffmann sogar die Abneigung gegen die kleinen Höfe. Er spricht im Kater Murr vom „kleinen Negeutenstühlcheu." Ein Herrlein, das darauf sitzt, verlangt nach Hoffmanns Erzählung italienischen Salat. Es fehlt aber an Muscheln, um ihn aufzutragen. Anfangs will sich der Oberküchenmeister aus Verzweiflung das Ragoutmcsfer in deu Leib stoßen. Er besinnt sich aber und läßt den Herrn Oberstnllmeister um einen Wagen bitten, weil er die Muscheln aus der Stadt holen will. Der Wagen wird verweigert: es bedürfe dazu einer Kabinetsordre. Zum Glück aber soll der Kapellmeister Kreisler soeben laut Kabinetsordre mit einem alten Jäger auf dem Bocke nach der Stadt hinunter¬ gefahren werden. Kreisler steigt sofort aus und läßt den Oberküchenmeister einsteigen, um die Muscheln aus der Stadt zuholen. „Große Seele!" ruft ihm der alte Jäger nach, wie er vom Bocke aus Kreisler auf einem Richtwege nach der Stadt hinabsteigen sieht. Die schwungvolle und geistreiche Beobachtung des Tierlebeus in Kater Murr wird in Hoffmanns letzten: und schlechtesten Romane „Meister Floh" widerwärtig. Meister Floh ist einer von den einexerzirten Flöhen, die von einem Tausendkünstler auch in Berlin mikroskopisch vorgeführt worden waren. Hoffmann zeigt bei dieser Gelegenheit nicht allein Manches von der schmutzigen Wüsche Berlins; er nimmt sogar etwas auf, was er als Untersuchungsrichter aus dem Leben eines ehemaligen Jenaer Studenten erfahren hat. Ja er rühmte sich sogar der Benutzung des Stoffes in feiner Weinstube. Hier¬ durch aber zog er sich Verdrießlichkeiten zu und mußte den Schluß des Romans, der sich mehr als das schon Gedruckte mit dem Jenaer beschäftigt zu haben scheint, aus der Druckerei zurückverlangen. Der Präsident des Kammergerichtes hatte mit weitern Maßregeln gedroht, doch unterblieben diese wegen seiner letzten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/131>, abgerufen am 23.07.2024.