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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Randbemerkungen ^ur Dezemberkonferen^

scheiden; Kundgebungen bei denen dick Häßliches mit unterlief, aber doch überall,
so meinte ich, mich gesunde Regungen mitwirkten. Der Kaiser wird tiefer
blicken, er wird Spiel und heiligen Ernst schärfer sondern; er wird die agita¬
torische, die satzungsmäßige, die stilisirte und manierirte Begeisterung des
Kopfes oder der niedern Instinkte zu scheiden wissen von der naturwüchsigen,
stilleren, aber dafür auch zengiuigskräftigeren und nachhaltigerem des Herzens,
des ganzen Menschen, Wie dem auch sei, der Kaiser vermißt in der Gene¬
ration, die mit ihm jung war, also von etwa dreißig Jahren, das Mate¬
rial, mit dem er im Staate zur Überwindung der Sozinldemokratie arbeiten
könnte. Nebenbei: die Gymnasiallehrer im Alter von dreißig Jahren wird der
Vorwurf kaum treffen, Sie sind jetzt großenteils noch unbesoldete oder fast
""besoldete, unstet und flüchtig von einem Gymnasium zum andern umgetriebene
Hilfslehrer. Wären sie Soldaten geworden, so stünden sie vielleicht vorm
Hauptmann. Daß im Fall eines Krieges gegen den äußern oder gegen eine"
innern Feilid die deutsche Jugend vom zwanzigsten bis zum dreißigsten Jahre ihre
Pflicht thu" würde, daran ist doch wohl keinen Nngenblick zu zweifeln.1 Aber
es handelt sich um mehr: die deutsche Jugend soll fähig gemacht werde", zu
begreifen, was ans dem Spiele steht, und willig, die Gefahr mit alle" Kräfte"
bannen zu helfen. Freilich: "Daran kann im Ernst niemand denke", daß
die Lehren der Sozialdemokratie in der Schule im einzelnen erörtert und
etwa durch autoritäre Äußerungen oder in freier Diskussion widerlegt
werden sollen." Aber: "Zu einem klaren Verständnis vom Wesen des
Staates, von dein Werde" und den Fortschritten unsers Staates" durch-
dringen soll die Jngeiid. Das läßt sich bis zu einem gewissen Grade
erreichen. Erstens durch eine schlichte Heimatskunde, wie sie Münch in
seinen trefflichen Aufsätze" beschrieben hat (Über Unterrichtsziele und llnter-
richtsknnst. Berlin, IMtt). Zweitens, wie es schon jetzt nicht ganz selten
geschieht, durch anschauliche, ans Herz greifende Bilder aus der Ge¬
schichte, von der Seisachtheia bis zur Bauernbefreiung. Drittens dadurch,
daß man nicht abläßt von der Forderung gewissenhafter, bis an die Grenze
des Vermögens getriebner Anstrengung; denn der Staat braucht Männer, die
nicht bloß bereit sind, für ihn zu sterben, sondern, was mehr ist, bis zur Er¬
schöpfung der Kraft für ihn zu leben. Viertens dadurch, daß wir die Primaner
nicht durch Zwang zur Heuchelei, sondern dnrch Freiheit zur Wahrhaftigkeit
erziehen. Im übrigen ist deutsche Treue ja kein eigner Lehrgegenstand: Liebe
zu Kaiser und Reich, anhänglicher und brüderlicher Sinn, Ehrfurcht vor jeder
ehrlichen Arbeit, Vertrauen zu der Gutartigkeit der menschlichen Natur, hier
de>,: Machthaber, dort der in abhängigerer Stellung dienenden, Einigkeit in
dein Gefühl, daß alle nnr diene", die N-achthaber am schwersten, im strengeren,
verantwortlicheren Dienst -- dies alles liegt bei einem gefunden Familien- und
Volksleben überall in der Luft, es transpirirt bei jeden: Unterricht eines


Randbemerkungen ^ur Dezemberkonferen^

scheiden; Kundgebungen bei denen dick Häßliches mit unterlief, aber doch überall,
so meinte ich, mich gesunde Regungen mitwirkten. Der Kaiser wird tiefer
blicken, er wird Spiel und heiligen Ernst schärfer sondern; er wird die agita¬
torische, die satzungsmäßige, die stilisirte und manierirte Begeisterung des
Kopfes oder der niedern Instinkte zu scheiden wissen von der naturwüchsigen,
stilleren, aber dafür auch zengiuigskräftigeren und nachhaltigerem des Herzens,
des ganzen Menschen, Wie dem auch sei, der Kaiser vermißt in der Gene¬
ration, die mit ihm jung war, also von etwa dreißig Jahren, das Mate¬
rial, mit dem er im Staate zur Überwindung der Sozinldemokratie arbeiten
könnte. Nebenbei: die Gymnasiallehrer im Alter von dreißig Jahren wird der
Vorwurf kaum treffen, Sie sind jetzt großenteils noch unbesoldete oder fast
»»besoldete, unstet und flüchtig von einem Gymnasium zum andern umgetriebene
Hilfslehrer. Wären sie Soldaten geworden, so stünden sie vielleicht vorm
Hauptmann. Daß im Fall eines Krieges gegen den äußern oder gegen eine»
innern Feilid die deutsche Jugend vom zwanzigsten bis zum dreißigsten Jahre ihre
Pflicht thu» würde, daran ist doch wohl keinen Nngenblick zu zweifeln.1 Aber
es handelt sich um mehr: die deutsche Jugend soll fähig gemacht werde», zu
begreifen, was ans dem Spiele steht, und willig, die Gefahr mit alle» Kräfte»
bannen zu helfen. Freilich: „Daran kann im Ernst niemand denke», daß
die Lehren der Sozialdemokratie in der Schule im einzelnen erörtert und
etwa durch autoritäre Äußerungen oder in freier Diskussion widerlegt
werden sollen." Aber: „Zu einem klaren Verständnis vom Wesen des
Staates, von dein Werde» und den Fortschritten unsers Staates" durch-
dringen soll die Jngeiid. Das läßt sich bis zu einem gewissen Grade
erreichen. Erstens durch eine schlichte Heimatskunde, wie sie Münch in
seinen trefflichen Aufsätze» beschrieben hat (Über Unterrichtsziele und llnter-
richtsknnst. Berlin, IMtt). Zweitens, wie es schon jetzt nicht ganz selten
geschieht, durch anschauliche, ans Herz greifende Bilder aus der Ge¬
schichte, von der Seisachtheia bis zur Bauernbefreiung. Drittens dadurch,
daß man nicht abläßt von der Forderung gewissenhafter, bis an die Grenze
des Vermögens getriebner Anstrengung; denn der Staat braucht Männer, die
nicht bloß bereit sind, für ihn zu sterben, sondern, was mehr ist, bis zur Er¬
schöpfung der Kraft für ihn zu leben. Viertens dadurch, daß wir die Primaner
nicht durch Zwang zur Heuchelei, sondern dnrch Freiheit zur Wahrhaftigkeit
erziehen. Im übrigen ist deutsche Treue ja kein eigner Lehrgegenstand: Liebe
zu Kaiser und Reich, anhänglicher und brüderlicher Sinn, Ehrfurcht vor jeder
ehrlichen Arbeit, Vertrauen zu der Gutartigkeit der menschlichen Natur, hier
de>,: Machthaber, dort der in abhängigerer Stellung dienenden, Einigkeit in
dein Gefühl, daß alle nnr diene», die N-achthaber am schwersten, im strengeren,
verantwortlicheren Dienst — dies alles liegt bei einem gefunden Familien- und
Volksleben überall in der Luft, es transpirirt bei jeden: Unterricht eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/13>, abgerufen am 03.07.2024.