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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Bauernbefreiung in Preußen

maßregeln einzuschränken oder gcir hinfällig zu machen, dafür ist durchaus
kein Grund vorhanden. Wenn man einem Manne, der 20 000 Mark Ein¬
kommen bezieht, nicht verwehren kann, ein Amt oder Geschäft zu suchen, das
ihm 30 000 Mark einbringt, so darf man noch weit weniger den Tagelöhner
hindern, von einem Herrn, der ihm zwei, Mark täglich zahlt, zu einen: andern
überzugehen, der drei Mark gewährt. Die Aufbesserung ist im zweiten Falle
hundert-, tausend-, unendlich vielmal mehr wert als im ersten, den" sie be¬
deutet weniger hungern, weniger frieren, den Leib weniger mit Schnaps, mehr
mit Brot und Fleisch heizen, während im ersten Falle die Frage nach den
notwendigsten Lebensbedürfnissen gar keine Rolle spielt. Bei der zweiten Lohn¬
steigerung handelt es sich darum, in eine Lage zu gelangen, wo man etwas
weniger Vieh zu sein braucht und etwas mehr Mensch sein kann. Bei der
ersten Steigerung wird gar kein wirklicher persönlicher Vorteil gewonnen; denn
mit 20 000 Mark Einkommen kann ein Mann alle berechtigten niedern und
höhern Bedürfnisse der Menschennatur befriedigen, und wenn er eil? noch
höheres Einkommen nicht aus Ehrgeiz, Habsucht oder Genußsucht, sondern
zur Erweiterung seines Wirkungskreises im Dienste des Vaterlandes oder der
Menschheit annimmt, so übernimmt er damit nur eine verantwortungsvolle Last.

Oder man kann die Leibeigenschaft wieder herstellen; dann müssen die
Gutsherrn natürlich die Versorgung ihrer Leibeignen sei es durch Ausstattung
mit Land oder durch Deputat oder festen Geldlohn selbst und allein auf sich
nehmen, dürfen sich ihrer Leibeignen auch dann nicht entäußern, wenn sie
keine Arbeit für sie haben, und müssen sich mit deren Diensten begnügen, auch
wenn sich die alte Erfahrung bestätigen sollte, daß Sklavenarbeit die schlechteste
und teuerste ist.

Oder man huldigt dem oben erwähnten und in neuerer Zeit oft em¬
pfohlenen gemischten System der Ansehung oder Ansiedlung vou Tagelöhnern,
die dadurch ihre persönliche Freiheit nicht einbüßen. Die Mängel dieses
Systems liegen ans der Hand. Wird dem Tagelöhner fein Gütchen in Erb¬
pacht gegeben und so groß bemessen, daß er beinahe davon leben kann, dann
sucht er seine Stelle zu vergrößern, das unbeschränkte Eigentum daran zu
erringen und die Verpflichtungen gegen den Gutsherrn abzulösen. Ist aber
die Stelle klein und kundbar, so sieht er darin weniger eine Wohlthat als
eine unbequeme Fessel, die ihn in der freien Verwertung seiner Arbeitskraft
beschränkt, und die er bei erster Gelegenheit abwirft. Ganz befriedigende Ver-
hältnisse kommen ja thatsächlich vor, aber nur in entlegenen Bauerndörfern,
die noch nicht in den wahnsinnigen Wettkampf des modernen Erwerbslebens
hineingezogen sind, wo noch die Losung gilt: Leben und leben lassen! wo
der Bauer und der Tagelöhner einander gegenseitig duzen, an einen? Tische
essen und miteinander arbeiten, wo der Bauer noch nicht ans den Pfennig
berechnet, wie viel seine "Arbeitskräfte" jährlich höchstens kosten dürfen, wenn


Die Bauernbefreiung in Preußen

maßregeln einzuschränken oder gcir hinfällig zu machen, dafür ist durchaus
kein Grund vorhanden. Wenn man einem Manne, der 20 000 Mark Ein¬
kommen bezieht, nicht verwehren kann, ein Amt oder Geschäft zu suchen, das
ihm 30 000 Mark einbringt, so darf man noch weit weniger den Tagelöhner
hindern, von einem Herrn, der ihm zwei, Mark täglich zahlt, zu einen: andern
überzugehen, der drei Mark gewährt. Die Aufbesserung ist im zweiten Falle
hundert-, tausend-, unendlich vielmal mehr wert als im ersten, den» sie be¬
deutet weniger hungern, weniger frieren, den Leib weniger mit Schnaps, mehr
mit Brot und Fleisch heizen, während im ersten Falle die Frage nach den
notwendigsten Lebensbedürfnissen gar keine Rolle spielt. Bei der zweiten Lohn¬
steigerung handelt es sich darum, in eine Lage zu gelangen, wo man etwas
weniger Vieh zu sein braucht und etwas mehr Mensch sein kann. Bei der
ersten Steigerung wird gar kein wirklicher persönlicher Vorteil gewonnen; denn
mit 20 000 Mark Einkommen kann ein Mann alle berechtigten niedern und
höhern Bedürfnisse der Menschennatur befriedigen, und wenn er eil? noch
höheres Einkommen nicht aus Ehrgeiz, Habsucht oder Genußsucht, sondern
zur Erweiterung seines Wirkungskreises im Dienste des Vaterlandes oder der
Menschheit annimmt, so übernimmt er damit nur eine verantwortungsvolle Last.

Oder man kann die Leibeigenschaft wieder herstellen; dann müssen die
Gutsherrn natürlich die Versorgung ihrer Leibeignen sei es durch Ausstattung
mit Land oder durch Deputat oder festen Geldlohn selbst und allein auf sich
nehmen, dürfen sich ihrer Leibeignen auch dann nicht entäußern, wenn sie
keine Arbeit für sie haben, und müssen sich mit deren Diensten begnügen, auch
wenn sich die alte Erfahrung bestätigen sollte, daß Sklavenarbeit die schlechteste
und teuerste ist.

Oder man huldigt dem oben erwähnten und in neuerer Zeit oft em¬
pfohlenen gemischten System der Ansehung oder Ansiedlung vou Tagelöhnern,
die dadurch ihre persönliche Freiheit nicht einbüßen. Die Mängel dieses
Systems liegen ans der Hand. Wird dem Tagelöhner fein Gütchen in Erb¬
pacht gegeben und so groß bemessen, daß er beinahe davon leben kann, dann
sucht er seine Stelle zu vergrößern, das unbeschränkte Eigentum daran zu
erringen und die Verpflichtungen gegen den Gutsherrn abzulösen. Ist aber
die Stelle klein und kundbar, so sieht er darin weniger eine Wohlthat als
eine unbequeme Fessel, die ihn in der freien Verwertung seiner Arbeitskraft
beschränkt, und die er bei erster Gelegenheit abwirft. Ganz befriedigende Ver-
hältnisse kommen ja thatsächlich vor, aber nur in entlegenen Bauerndörfern,
die noch nicht in den wahnsinnigen Wettkampf des modernen Erwerbslebens
hineingezogen sind, wo noch die Losung gilt: Leben und leben lassen! wo
der Bauer und der Tagelöhner einander gegenseitig duzen, an einen? Tische
essen und miteinander arbeiten, wo der Bauer noch nicht ans den Pfennig
berechnet, wie viel seine „Arbeitskräfte" jährlich höchstens kosten dürfen, wenn


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[0127] Die Bauernbefreiung in Preußen maßregeln einzuschränken oder gcir hinfällig zu machen, dafür ist durchaus kein Grund vorhanden. Wenn man einem Manne, der 20 000 Mark Ein¬ kommen bezieht, nicht verwehren kann, ein Amt oder Geschäft zu suchen, das ihm 30 000 Mark einbringt, so darf man noch weit weniger den Tagelöhner hindern, von einem Herrn, der ihm zwei, Mark täglich zahlt, zu einen: andern überzugehen, der drei Mark gewährt. Die Aufbesserung ist im zweiten Falle hundert-, tausend-, unendlich vielmal mehr wert als im ersten, den» sie be¬ deutet weniger hungern, weniger frieren, den Leib weniger mit Schnaps, mehr mit Brot und Fleisch heizen, während im ersten Falle die Frage nach den notwendigsten Lebensbedürfnissen gar keine Rolle spielt. Bei der zweiten Lohn¬ steigerung handelt es sich darum, in eine Lage zu gelangen, wo man etwas weniger Vieh zu sein braucht und etwas mehr Mensch sein kann. Bei der ersten Steigerung wird gar kein wirklicher persönlicher Vorteil gewonnen; denn mit 20 000 Mark Einkommen kann ein Mann alle berechtigten niedern und höhern Bedürfnisse der Menschennatur befriedigen, und wenn er eil? noch höheres Einkommen nicht aus Ehrgeiz, Habsucht oder Genußsucht, sondern zur Erweiterung seines Wirkungskreises im Dienste des Vaterlandes oder der Menschheit annimmt, so übernimmt er damit nur eine verantwortungsvolle Last. Oder man kann die Leibeigenschaft wieder herstellen; dann müssen die Gutsherrn natürlich die Versorgung ihrer Leibeignen sei es durch Ausstattung mit Land oder durch Deputat oder festen Geldlohn selbst und allein auf sich nehmen, dürfen sich ihrer Leibeignen auch dann nicht entäußern, wenn sie keine Arbeit für sie haben, und müssen sich mit deren Diensten begnügen, auch wenn sich die alte Erfahrung bestätigen sollte, daß Sklavenarbeit die schlechteste und teuerste ist. Oder man huldigt dem oben erwähnten und in neuerer Zeit oft em¬ pfohlenen gemischten System der Ansehung oder Ansiedlung vou Tagelöhnern, die dadurch ihre persönliche Freiheit nicht einbüßen. Die Mängel dieses Systems liegen ans der Hand. Wird dem Tagelöhner fein Gütchen in Erb¬ pacht gegeben und so groß bemessen, daß er beinahe davon leben kann, dann sucht er seine Stelle zu vergrößern, das unbeschränkte Eigentum daran zu erringen und die Verpflichtungen gegen den Gutsherrn abzulösen. Ist aber die Stelle klein und kundbar, so sieht er darin weniger eine Wohlthat als eine unbequeme Fessel, die ihn in der freien Verwertung seiner Arbeitskraft beschränkt, und die er bei erster Gelegenheit abwirft. Ganz befriedigende Ver- hältnisse kommen ja thatsächlich vor, aber nur in entlegenen Bauerndörfern, die noch nicht in den wahnsinnigen Wettkampf des modernen Erwerbslebens hineingezogen sind, wo noch die Losung gilt: Leben und leben lassen! wo der Bauer und der Tagelöhner einander gegenseitig duzen, an einen? Tische essen und miteinander arbeiten, wo der Bauer noch nicht ans den Pfennig berechnet, wie viel seine „Arbeitskräfte" jährlich höchstens kosten dürfen, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/127>, abgerufen am 23.07.2024.