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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das chttue Lohngesich

Lohngesetz genau wie Ricardo entwickelt, nachher aber von seiner Erfindung,
der Bildung einer Reservearmee durch das Kapital, aufheben läßt. Diese
Reservearmee wäre aber uur durch das eherne Lvhugesetz möglich. Was also
der sonst scharfsinnige Denker hier leistet, ist, daß er die Ursache aus der
Wirkung hervorgehen läßt, ein Beginnen, das der sozialdemokratischen "Wissen¬
schaft" überhaupt eigentümlich zugehört und ihr durchaus notwendig ist.

So lügt man ruhig fort. Wie man Gott, die Notwendigkeit der
Familie, des StaatszwangeS, des persönlichen Eigentums, kurz jeder in der
geschichtlichen Entwicklung schwer genug errungenen Kulturfvrm wegzulügen
sucht, so sucht diese "Wissenschaft" jedes unbequeme Ergebnis der eignen Lehre
weg-, jedem Gegner, der den Notleidenden mit umfassenderer Erkenntnis der
Krankheit durch mögliche Mittel helfen will, die übelsten Absichten anzulügen.
Mau will die Leidenschaft in den Massen für den Tag züchten, von dein sie
träumen, daß er gewaltsam alle heutigen Kulturcrrungenschnfteu zerstören und
ihnen mit einem Schlage nicht bloß die Herrschaft, sondern auch die Weis¬
heit bringen werde, was an die Stelle des alten, in notwendiger Entwicklung
während vieler Jahrtausende gewordenen Staates ihre kindische Willkür setzen
könne.

Dabei sieht die Meute den Wüit vor lauter Bäumen nicht. Sie sieht
nicht, daß das Wesentliche nur Eigentum sür die svzinle Erkenntnis durchaus
nicht der Eigentümer, sondern die Eigenschaft des Eigentums als aufgespeicherte
Arbeit ist, daß es also nur darauf ankommt, durch Staatszwang diejenige"
seiner Borrechte aufzuheben, die gemeinschädlich, also mißbräuchlich sind. Ist
dieser Staatszwang möglich, so kann der Umstand nichts ändern, ob die
Eigentümer Müller oder Schulze heißen, oder ob sich der Eigentümer Staat
nennt. Ist er nicht möglich, so wird ihn der bloße Name Staat für den
Eigentümer wahrlich nicht möglich machen.

Eine erleuchtete Sozialpolitik steht nun vor den zwei Thorheiten: erstens
der der Mehrzahl der heutigen Besitzer, die in brutalem Egoismus nicht ein¬
sieht, daß die gemeinschüdlichen Vorrechte gar nicht mehr aufrechtzuerhalten
und für die wirklichen Interessen des Besitzes gar nicht nötig sind, und
zweitens der der verführten Massen, die nur auf diejenigen hören, die ihnen die
größten Versprechungen machen. Wird der unvernünftige Egoismus durch
die Vernunft überwunden werden oder wird es der Gewalt bedürfen? Jeden¬
falls ist daran nicht zu zweifeln, daß am Tage der Entscheidung der
Sieg die Sache begleiten wird, in der die Gewalt aus Gottes Ordnung
strömt.




Das chttue Lohngesich

Lohngesetz genau wie Ricardo entwickelt, nachher aber von seiner Erfindung,
der Bildung einer Reservearmee durch das Kapital, aufheben läßt. Diese
Reservearmee wäre aber uur durch das eherne Lvhugesetz möglich. Was also
der sonst scharfsinnige Denker hier leistet, ist, daß er die Ursache aus der
Wirkung hervorgehen läßt, ein Beginnen, das der sozialdemokratischen „Wissen¬
schaft" überhaupt eigentümlich zugehört und ihr durchaus notwendig ist.

So lügt man ruhig fort. Wie man Gott, die Notwendigkeit der
Familie, des StaatszwangeS, des persönlichen Eigentums, kurz jeder in der
geschichtlichen Entwicklung schwer genug errungenen Kulturfvrm wegzulügen
sucht, so sucht diese „Wissenschaft" jedes unbequeme Ergebnis der eignen Lehre
weg-, jedem Gegner, der den Notleidenden mit umfassenderer Erkenntnis der
Krankheit durch mögliche Mittel helfen will, die übelsten Absichten anzulügen.
Mau will die Leidenschaft in den Massen für den Tag züchten, von dein sie
träumen, daß er gewaltsam alle heutigen Kulturcrrungenschnfteu zerstören und
ihnen mit einem Schlage nicht bloß die Herrschaft, sondern auch die Weis¬
heit bringen werde, was an die Stelle des alten, in notwendiger Entwicklung
während vieler Jahrtausende gewordenen Staates ihre kindische Willkür setzen
könne.

Dabei sieht die Meute den Wüit vor lauter Bäumen nicht. Sie sieht
nicht, daß das Wesentliche nur Eigentum sür die svzinle Erkenntnis durchaus
nicht der Eigentümer, sondern die Eigenschaft des Eigentums als aufgespeicherte
Arbeit ist, daß es also nur darauf ankommt, durch Staatszwang diejenige»
seiner Borrechte aufzuheben, die gemeinschädlich, also mißbräuchlich sind. Ist
dieser Staatszwang möglich, so kann der Umstand nichts ändern, ob die
Eigentümer Müller oder Schulze heißen, oder ob sich der Eigentümer Staat
nennt. Ist er nicht möglich, so wird ihn der bloße Name Staat für den
Eigentümer wahrlich nicht möglich machen.

Eine erleuchtete Sozialpolitik steht nun vor den zwei Thorheiten: erstens
der der Mehrzahl der heutigen Besitzer, die in brutalem Egoismus nicht ein¬
sieht, daß die gemeinschüdlichen Vorrechte gar nicht mehr aufrechtzuerhalten
und für die wirklichen Interessen des Besitzes gar nicht nötig sind, und
zweitens der der verführten Massen, die nur auf diejenigen hören, die ihnen die
größten Versprechungen machen. Wird der unvernünftige Egoismus durch
die Vernunft überwunden werden oder wird es der Gewalt bedürfen? Jeden¬
falls ist daran nicht zu zweifeln, daß am Tage der Entscheidung der
Sieg die Sache begleiten wird, in der die Gewalt aus Gottes Ordnung
strömt.




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[0119] Das chttue Lohngesich Lohngesetz genau wie Ricardo entwickelt, nachher aber von seiner Erfindung, der Bildung einer Reservearmee durch das Kapital, aufheben läßt. Diese Reservearmee wäre aber uur durch das eherne Lvhugesetz möglich. Was also der sonst scharfsinnige Denker hier leistet, ist, daß er die Ursache aus der Wirkung hervorgehen läßt, ein Beginnen, das der sozialdemokratischen „Wissen¬ schaft" überhaupt eigentümlich zugehört und ihr durchaus notwendig ist. So lügt man ruhig fort. Wie man Gott, die Notwendigkeit der Familie, des StaatszwangeS, des persönlichen Eigentums, kurz jeder in der geschichtlichen Entwicklung schwer genug errungenen Kulturfvrm wegzulügen sucht, so sucht diese „Wissenschaft" jedes unbequeme Ergebnis der eignen Lehre weg-, jedem Gegner, der den Notleidenden mit umfassenderer Erkenntnis der Krankheit durch mögliche Mittel helfen will, die übelsten Absichten anzulügen. Mau will die Leidenschaft in den Massen für den Tag züchten, von dein sie träumen, daß er gewaltsam alle heutigen Kulturcrrungenschnfteu zerstören und ihnen mit einem Schlage nicht bloß die Herrschaft, sondern auch die Weis¬ heit bringen werde, was an die Stelle des alten, in notwendiger Entwicklung während vieler Jahrtausende gewordenen Staates ihre kindische Willkür setzen könne. Dabei sieht die Meute den Wüit vor lauter Bäumen nicht. Sie sieht nicht, daß das Wesentliche nur Eigentum sür die svzinle Erkenntnis durchaus nicht der Eigentümer, sondern die Eigenschaft des Eigentums als aufgespeicherte Arbeit ist, daß es also nur darauf ankommt, durch Staatszwang diejenige» seiner Borrechte aufzuheben, die gemeinschädlich, also mißbräuchlich sind. Ist dieser Staatszwang möglich, so kann der Umstand nichts ändern, ob die Eigentümer Müller oder Schulze heißen, oder ob sich der Eigentümer Staat nennt. Ist er nicht möglich, so wird ihn der bloße Name Staat für den Eigentümer wahrlich nicht möglich machen. Eine erleuchtete Sozialpolitik steht nun vor den zwei Thorheiten: erstens der der Mehrzahl der heutigen Besitzer, die in brutalem Egoismus nicht ein¬ sieht, daß die gemeinschüdlichen Vorrechte gar nicht mehr aufrechtzuerhalten und für die wirklichen Interessen des Besitzes gar nicht nötig sind, und zweitens der der verführten Massen, die nur auf diejenigen hören, die ihnen die größten Versprechungen machen. Wird der unvernünftige Egoismus durch die Vernunft überwunden werden oder wird es der Gewalt bedürfen? Jeden¬ falls ist daran nicht zu zweifeln, daß am Tage der Entscheidung der Sieg die Sache begleiten wird, in der die Gewalt aus Gottes Ordnung strömt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/119>, abgerufen am 25.08.2024.