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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenschluß aller Ordnuugsparteieu

sozialen Pflicht, um die Idee der monarchisch organisirten Zusammenfassung
der Kräfte der Einzelnen zu Gunsten der Gesamtheit und dadurch mittelbar
wieder zu Gunsten des Einzelnen, um den großen sozialen Gedanken, den die
Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts gezeitigt hat, und den die Politik
des zwanzigsten Jahrhunderts in die Wirklichkeit übertragen wird.

Wie aber wird dieser ersehnte Zusammenschluß und jene Scheidung
zwischen dem Mauchestertum, wie wir es nennen wollen, einerseits und der
sozialmonarchischen Reformpartei anderseits erfolgen? Wird aus der Mitte
der bestehenden Parteien, also von innen heraus, die notwendige Umbildung
kommen, die an die Stelle überlebten Parteigezänks einen lebendigen Gedanken,
an die Stelle unlösbarer Widersprüche eine klare Fragestellung, an die Stelle
des thatenloser Pessimismus, der sich auf eine flaue Verteidigung beschränkt,
einen hoffnungsvollen Kampfesmut setzen wird, der zum Allgriff führt gegen
alles, was verderblich und verkehrt ist innerhalb der sozialdemokratischen Be¬
wegung?

Es erscheint Wohl ausgeschlossen, daß sich dieser Klärungsprozeß inner¬
halb der bestehenden Parteien selbst vollziehen werde, daß diese sich selbst
auflösen und ihre Mitglieder in die beiden einander entgegengesetzten Lager
auseincmdertreten lassen werden. Und wenn man mit Engelszungen redete,
niemals würde es uns gelingen, dem, der da ist, zu beweisen, daß er die
Daseinsberechtigung verloren habe. Auch hat sich, wie stets, so auch diesmal
nicht plötzlich und unvermittelt jener Umschwung vollzöge", der die politischen
Aufgaben zurück und die sozialem in die erste Reihe treten läßt. Er ist viel¬
mehr allmählich gekommen in unmerklichen Wachstum, ohne daß sich der
Zeitpunkt bestimmen ließe, von dem man sagen könnte: Jetzt ist der Um¬
schwung vollendet, jetzt ist der Augenblick da, wo die politischen Parteien, die
im wesentlichen die Grundlagen unsers Staats- und Rechtslebens geschaffen
haben, ro dens Zssw zurückzutreten haben, um abgelöst zu werden von den
sozialen Parteien, deren Zweck es ist, die nunmehr wichtigsten realen Auf¬
gaben in Stoß und Gegenstoß zu lösen.

Wenn dem aber so ist, dann ist es nicht nur verzeihlich, sondern ge¬
radezu in der menschlichen Natur begründet, daß die, die mitten in den Partei¬
kämpfen stehen, nicht merken, wie die Welt um sie herum allmählich eine
andre wird, und wie diejenigen Fragen, die noch vor kurzem einschneidende
Fragen des praktischen Lebens und der wirklichen Bedürfnisse waren, dies
jetzt schon weniger und es in einem weiteren Augenblick überhaupt uicht mehr
sind. So gleichen die Parteien pslichtgetreuen Beamten, deren Kräfte sich in
jahrelanger, tüchtiger Arbeit langsam abnutzen, und die selbst den Augenblick
nicht erkennen können, wo ihre Arbeitskraft völlig verbraucht ist und sie
ihre Versetzung in den Ruhestand beantragen sollten. Deshalb sagen wir:
Nicht aus den: Schoße der alten Parteien, sondern aus jenen wunderbaren,


Der Zusammenschluß aller Ordnuugsparteieu

sozialen Pflicht, um die Idee der monarchisch organisirten Zusammenfassung
der Kräfte der Einzelnen zu Gunsten der Gesamtheit und dadurch mittelbar
wieder zu Gunsten des Einzelnen, um den großen sozialen Gedanken, den die
Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts gezeitigt hat, und den die Politik
des zwanzigsten Jahrhunderts in die Wirklichkeit übertragen wird.

Wie aber wird dieser ersehnte Zusammenschluß und jene Scheidung
zwischen dem Mauchestertum, wie wir es nennen wollen, einerseits und der
sozialmonarchischen Reformpartei anderseits erfolgen? Wird aus der Mitte
der bestehenden Parteien, also von innen heraus, die notwendige Umbildung
kommen, die an die Stelle überlebten Parteigezänks einen lebendigen Gedanken,
an die Stelle unlösbarer Widersprüche eine klare Fragestellung, an die Stelle
des thatenloser Pessimismus, der sich auf eine flaue Verteidigung beschränkt,
einen hoffnungsvollen Kampfesmut setzen wird, der zum Allgriff führt gegen
alles, was verderblich und verkehrt ist innerhalb der sozialdemokratischen Be¬
wegung?

Es erscheint Wohl ausgeschlossen, daß sich dieser Klärungsprozeß inner¬
halb der bestehenden Parteien selbst vollziehen werde, daß diese sich selbst
auflösen und ihre Mitglieder in die beiden einander entgegengesetzten Lager
auseincmdertreten lassen werden. Und wenn man mit Engelszungen redete,
niemals würde es uns gelingen, dem, der da ist, zu beweisen, daß er die
Daseinsberechtigung verloren habe. Auch hat sich, wie stets, so auch diesmal
nicht plötzlich und unvermittelt jener Umschwung vollzöge«, der die politischen
Aufgaben zurück und die sozialem in die erste Reihe treten läßt. Er ist viel¬
mehr allmählich gekommen in unmerklichen Wachstum, ohne daß sich der
Zeitpunkt bestimmen ließe, von dem man sagen könnte: Jetzt ist der Um¬
schwung vollendet, jetzt ist der Augenblick da, wo die politischen Parteien, die
im wesentlichen die Grundlagen unsers Staats- und Rechtslebens geschaffen
haben, ro dens Zssw zurückzutreten haben, um abgelöst zu werden von den
sozialen Parteien, deren Zweck es ist, die nunmehr wichtigsten realen Auf¬
gaben in Stoß und Gegenstoß zu lösen.

Wenn dem aber so ist, dann ist es nicht nur verzeihlich, sondern ge¬
radezu in der menschlichen Natur begründet, daß die, die mitten in den Partei¬
kämpfen stehen, nicht merken, wie die Welt um sie herum allmählich eine
andre wird, und wie diejenigen Fragen, die noch vor kurzem einschneidende
Fragen des praktischen Lebens und der wirklichen Bedürfnisse waren, dies
jetzt schon weniger und es in einem weiteren Augenblick überhaupt uicht mehr
sind. So gleichen die Parteien pslichtgetreuen Beamten, deren Kräfte sich in
jahrelanger, tüchtiger Arbeit langsam abnutzen, und die selbst den Augenblick
nicht erkennen können, wo ihre Arbeitskraft völlig verbraucht ist und sie
ihre Versetzung in den Ruhestand beantragen sollten. Deshalb sagen wir:
Nicht aus den: Schoße der alten Parteien, sondern aus jenen wunderbaren,


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[0109] Der Zusammenschluß aller Ordnuugsparteieu sozialen Pflicht, um die Idee der monarchisch organisirten Zusammenfassung der Kräfte der Einzelnen zu Gunsten der Gesamtheit und dadurch mittelbar wieder zu Gunsten des Einzelnen, um den großen sozialen Gedanken, den die Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts gezeitigt hat, und den die Politik des zwanzigsten Jahrhunderts in die Wirklichkeit übertragen wird. Wie aber wird dieser ersehnte Zusammenschluß und jene Scheidung zwischen dem Mauchestertum, wie wir es nennen wollen, einerseits und der sozialmonarchischen Reformpartei anderseits erfolgen? Wird aus der Mitte der bestehenden Parteien, also von innen heraus, die notwendige Umbildung kommen, die an die Stelle überlebten Parteigezänks einen lebendigen Gedanken, an die Stelle unlösbarer Widersprüche eine klare Fragestellung, an die Stelle des thatenloser Pessimismus, der sich auf eine flaue Verteidigung beschränkt, einen hoffnungsvollen Kampfesmut setzen wird, der zum Allgriff führt gegen alles, was verderblich und verkehrt ist innerhalb der sozialdemokratischen Be¬ wegung? Es erscheint Wohl ausgeschlossen, daß sich dieser Klärungsprozeß inner¬ halb der bestehenden Parteien selbst vollziehen werde, daß diese sich selbst auflösen und ihre Mitglieder in die beiden einander entgegengesetzten Lager auseincmdertreten lassen werden. Und wenn man mit Engelszungen redete, niemals würde es uns gelingen, dem, der da ist, zu beweisen, daß er die Daseinsberechtigung verloren habe. Auch hat sich, wie stets, so auch diesmal nicht plötzlich und unvermittelt jener Umschwung vollzöge«, der die politischen Aufgaben zurück und die sozialem in die erste Reihe treten läßt. Er ist viel¬ mehr allmählich gekommen in unmerklichen Wachstum, ohne daß sich der Zeitpunkt bestimmen ließe, von dem man sagen könnte: Jetzt ist der Um¬ schwung vollendet, jetzt ist der Augenblick da, wo die politischen Parteien, die im wesentlichen die Grundlagen unsers Staats- und Rechtslebens geschaffen haben, ro dens Zssw zurückzutreten haben, um abgelöst zu werden von den sozialen Parteien, deren Zweck es ist, die nunmehr wichtigsten realen Auf¬ gaben in Stoß und Gegenstoß zu lösen. Wenn dem aber so ist, dann ist es nicht nur verzeihlich, sondern ge¬ radezu in der menschlichen Natur begründet, daß die, die mitten in den Partei¬ kämpfen stehen, nicht merken, wie die Welt um sie herum allmählich eine andre wird, und wie diejenigen Fragen, die noch vor kurzem einschneidende Fragen des praktischen Lebens und der wirklichen Bedürfnisse waren, dies jetzt schon weniger und es in einem weiteren Augenblick überhaupt uicht mehr sind. So gleichen die Parteien pslichtgetreuen Beamten, deren Kräfte sich in jahrelanger, tüchtiger Arbeit langsam abnutzen, und die selbst den Augenblick nicht erkennen können, wo ihre Arbeitskraft völlig verbraucht ist und sie ihre Versetzung in den Ruhestand beantragen sollten. Deshalb sagen wir: Nicht aus den: Schoße der alten Parteien, sondern aus jenen wunderbaren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/109>, abgerufen am 23.07.2024.