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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Rosegger >^is Dramatiker

hinzustellen. Wir verargen dein Strahl nachgerade anch sein Wildern nicht.
Noch mehr, das Verhältnis des Försters zum Wildschützen wird vom Dichter
mit großer poetischer Kraft als größte gegenseitige Erbitterung dargestellt.
Der Förster ist auf nichts in dem Walde, den er zu behüten hat, so eifer¬
süchtig, wie auf das Wild. Dieser dichte Wald hat jn auch noch andre Schäd¬
linge als die Wildschützen: die Nmeisler, die Pechkratzer, die Wurzelsucher, die
Holzdiebe. Diese alle läßt er nachsichtig ihr unberechtigtes Gewerbe betreiben,
nur auf den Wildschützen hat ers abgesehen, so scharf, daß er selbst in Ge¬
sellschaft seines geliebten jungen Weibes nur deu Spuren des Wildschützen
folgt, wo er sie entdeckt, und all ihrem klugen, vornehmen, ja weisen Zureden,
nicht über dem Toten das Leben zu vergessen, kein Gehör schenkt. Der Förster
ist eben selbst ein leidenschaftlicher Schütze, der Wilderer verdirbt ihm sein
Hauptvergnügen, und aus dieser nicht ganz reinen Quelle fließt sein Zorn.
Reiche Bauern wildern ja anch, sie machen ihr Verbrechen mit Geld gut; aber
wehe dem armen Teufel, der sich erwischen läßt! Und stehen sich so ein Wild¬
schütz und der Förster, beide die Gewehre an der Wange, im düstern Walde
gegenüber, so ist es ein verzweifelter Fall: da heißt es sterben oder töten!
In so mächtiger Weise nimmt der Dichter für seinen Wildschützen poetisch
Partei, um seine That mehr als einen unglücklichen Zufall, weniger als ge¬
meines Verbrechen n"s vor Augen zu stelle" und nun jeden Keim von poetischer
Parteinahme für den Förster gleich im Beginne zu zerstören.

Rosegger mußte aber noch weiter gehen: er mußte uns den im Kerne
guten Charakter des unglücklichen Wildschützen veranschaulichen, wozu der erste
Akt (die That) keine genügende Gelegenheit bot. Wie er dies im zweiten Akt
gethan hat, ist der glänzendste Beweis anch für sein Verständnis der dra¬
matischen Kunst.

Dieser zweite Akt spielt im Arrestlokale, wo Straßl bis zur Verhandlung
untergebracht ist. Hier ist er in Gesellschaft von zwei wirklichem Spitzbuben:
Dieben von Beruf, Verbrechern von Natur; als vierter Gesellschafter ist ein
Verbrecher ans idealen Motiven da: ein Anarchist. Die zwei Spitzbuben
treiben allerlei Ulk, wobei, sich ihre wahre Natur äußert. ,,Jm Arrest und
im Himmel -- sagt einer von ihnen -- sind alle Menschen gleich," darum ver¬
suchen sich, Straßl die mühsam festgehaltene Maske der Heuchelei abzureißen,
verspotten ihn durch Nachäffung seiner Verhaftung, wie er in henchlerischer
Entrüstung vom. Richter Bestrafung seiner Verleumder forderte. Erst bei
diesem Kontraste der echten Gaunerseele, des Verbrechers aus Grundsätzen mit
dein unfreiwilligen Verbrecher, der in dein Bewußtsein seiner Not die Kraft
zur Heuchelei findet, erst da kommt die Figur des Straßl zu ihrer eigentüm¬
lichen Physiognomie, und darum ist dieser zweite Akt nicht bloß ein Meister¬
stück des Humors, sondern auch für die Entwicklung des Stückes unentbehrlich.
Und daß Rosegger den wesentlich innern Prozeß der Verhärtung Straßls in


Rosegger >^is Dramatiker

hinzustellen. Wir verargen dein Strahl nachgerade anch sein Wildern nicht.
Noch mehr, das Verhältnis des Försters zum Wildschützen wird vom Dichter
mit großer poetischer Kraft als größte gegenseitige Erbitterung dargestellt.
Der Förster ist auf nichts in dem Walde, den er zu behüten hat, so eifer¬
süchtig, wie auf das Wild. Dieser dichte Wald hat jn auch noch andre Schäd¬
linge als die Wildschützen: die Nmeisler, die Pechkratzer, die Wurzelsucher, die
Holzdiebe. Diese alle läßt er nachsichtig ihr unberechtigtes Gewerbe betreiben,
nur auf den Wildschützen hat ers abgesehen, so scharf, daß er selbst in Ge¬
sellschaft seines geliebten jungen Weibes nur deu Spuren des Wildschützen
folgt, wo er sie entdeckt, und all ihrem klugen, vornehmen, ja weisen Zureden,
nicht über dem Toten das Leben zu vergessen, kein Gehör schenkt. Der Förster
ist eben selbst ein leidenschaftlicher Schütze, der Wilderer verdirbt ihm sein
Hauptvergnügen, und aus dieser nicht ganz reinen Quelle fließt sein Zorn.
Reiche Bauern wildern ja anch, sie machen ihr Verbrechen mit Geld gut; aber
wehe dem armen Teufel, der sich erwischen läßt! Und stehen sich so ein Wild¬
schütz und der Förster, beide die Gewehre an der Wange, im düstern Walde
gegenüber, so ist es ein verzweifelter Fall: da heißt es sterben oder töten!
In so mächtiger Weise nimmt der Dichter für seinen Wildschützen poetisch
Partei, um seine That mehr als einen unglücklichen Zufall, weniger als ge¬
meines Verbrechen n»s vor Augen zu stelle» und nun jeden Keim von poetischer
Parteinahme für den Förster gleich im Beginne zu zerstören.

Rosegger mußte aber noch weiter gehen: er mußte uns den im Kerne
guten Charakter des unglücklichen Wildschützen veranschaulichen, wozu der erste
Akt (die That) keine genügende Gelegenheit bot. Wie er dies im zweiten Akt
gethan hat, ist der glänzendste Beweis anch für sein Verständnis der dra¬
matischen Kunst.

Dieser zweite Akt spielt im Arrestlokale, wo Straßl bis zur Verhandlung
untergebracht ist. Hier ist er in Gesellschaft von zwei wirklichem Spitzbuben:
Dieben von Beruf, Verbrechern von Natur; als vierter Gesellschafter ist ein
Verbrecher ans idealen Motiven da: ein Anarchist. Die zwei Spitzbuben
treiben allerlei Ulk, wobei, sich ihre wahre Natur äußert. ,,Jm Arrest und
im Himmel — sagt einer von ihnen — sind alle Menschen gleich," darum ver¬
suchen sich, Straßl die mühsam festgehaltene Maske der Heuchelei abzureißen,
verspotten ihn durch Nachäffung seiner Verhaftung, wie er in henchlerischer
Entrüstung vom. Richter Bestrafung seiner Verleumder forderte. Erst bei
diesem Kontraste der echten Gaunerseele, des Verbrechers aus Grundsätzen mit
dein unfreiwilligen Verbrecher, der in dein Bewußtsein seiner Not die Kraft
zur Heuchelei findet, erst da kommt die Figur des Straßl zu ihrer eigentüm¬
lichen Physiognomie, und darum ist dieser zweite Akt nicht bloß ein Meister¬
stück des Humors, sondern auch für die Entwicklung des Stückes unentbehrlich.
Und daß Rosegger den wesentlich innern Prozeß der Verhärtung Straßls in


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[0102] Rosegger >^is Dramatiker hinzustellen. Wir verargen dein Strahl nachgerade anch sein Wildern nicht. Noch mehr, das Verhältnis des Försters zum Wildschützen wird vom Dichter mit großer poetischer Kraft als größte gegenseitige Erbitterung dargestellt. Der Förster ist auf nichts in dem Walde, den er zu behüten hat, so eifer¬ süchtig, wie auf das Wild. Dieser dichte Wald hat jn auch noch andre Schäd¬ linge als die Wildschützen: die Nmeisler, die Pechkratzer, die Wurzelsucher, die Holzdiebe. Diese alle läßt er nachsichtig ihr unberechtigtes Gewerbe betreiben, nur auf den Wildschützen hat ers abgesehen, so scharf, daß er selbst in Ge¬ sellschaft seines geliebten jungen Weibes nur deu Spuren des Wildschützen folgt, wo er sie entdeckt, und all ihrem klugen, vornehmen, ja weisen Zureden, nicht über dem Toten das Leben zu vergessen, kein Gehör schenkt. Der Förster ist eben selbst ein leidenschaftlicher Schütze, der Wilderer verdirbt ihm sein Hauptvergnügen, und aus dieser nicht ganz reinen Quelle fließt sein Zorn. Reiche Bauern wildern ja anch, sie machen ihr Verbrechen mit Geld gut; aber wehe dem armen Teufel, der sich erwischen läßt! Und stehen sich so ein Wild¬ schütz und der Förster, beide die Gewehre an der Wange, im düstern Walde gegenüber, so ist es ein verzweifelter Fall: da heißt es sterben oder töten! In so mächtiger Weise nimmt der Dichter für seinen Wildschützen poetisch Partei, um seine That mehr als einen unglücklichen Zufall, weniger als ge¬ meines Verbrechen n»s vor Augen zu stelle» und nun jeden Keim von poetischer Parteinahme für den Förster gleich im Beginne zu zerstören. Rosegger mußte aber noch weiter gehen: er mußte uns den im Kerne guten Charakter des unglücklichen Wildschützen veranschaulichen, wozu der erste Akt (die That) keine genügende Gelegenheit bot. Wie er dies im zweiten Akt gethan hat, ist der glänzendste Beweis anch für sein Verständnis der dra¬ matischen Kunst. Dieser zweite Akt spielt im Arrestlokale, wo Straßl bis zur Verhandlung untergebracht ist. Hier ist er in Gesellschaft von zwei wirklichem Spitzbuben: Dieben von Beruf, Verbrechern von Natur; als vierter Gesellschafter ist ein Verbrecher ans idealen Motiven da: ein Anarchist. Die zwei Spitzbuben treiben allerlei Ulk, wobei, sich ihre wahre Natur äußert. ,,Jm Arrest und im Himmel — sagt einer von ihnen — sind alle Menschen gleich," darum ver¬ suchen sich, Straßl die mühsam festgehaltene Maske der Heuchelei abzureißen, verspotten ihn durch Nachäffung seiner Verhaftung, wie er in henchlerischer Entrüstung vom. Richter Bestrafung seiner Verleumder forderte. Erst bei diesem Kontraste der echten Gaunerseele, des Verbrechers aus Grundsätzen mit dein unfreiwilligen Verbrecher, der in dein Bewußtsein seiner Not die Kraft zur Heuchelei findet, erst da kommt die Figur des Straßl zu ihrer eigentüm¬ lichen Physiognomie, und darum ist dieser zweite Akt nicht bloß ein Meister¬ stück des Humors, sondern auch für die Entwicklung des Stückes unentbehrlich. Und daß Rosegger den wesentlich innern Prozeß der Verhärtung Straßls in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/102>, abgerufen am 23.07.2024.