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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Wenn ursprünglich in die Tempelvvrhalle die im Tempel wohnend ge¬
dachte Gottheit oder der dort verehrte Heros gleichsam lebendig geworden
heraustrat, so konnte dies zwar der Priester oder der Vorsänger des Dithyrambos
thatsächlich sein, er durfte es aber nicht scheinen. Sollte der Schein gewahrt
bleiben, so mußte der Mensch nicht nur in der Tracht, sondern ganz besonders
in dem Gesichte die Erscheinung bieten, wie man sie am Knltusbilde gewohnt
War. Dieses Bild hatte gleichsam sein Postament verlassen und war unter die
Menschen getreten. Um diesen Eindruck zu erreichen, verhüllte der Mann sein
Haupt mit einer Maske, die die Züge der Gottheit trug, und deren unveränder¬
licher, uns im höchsten Grade undramatisch erscheinender Ausdruck gerade am
besten geeignet war, die unwandelbare Hoheit des göttlichen Wesens der
irdischen Veränderlichkeit und Vergänglichkeit gegenüber zu betonen. Traten
an Stelle der Gottheit oder der göttlich verehrten Heroen andre Helden, so
blieb doch die Maske bestehen, die nun natürlich mich von den Nebenpersonen
getragen werden mußte, dn diese sonst aus dem Nahmen gefallen wären. Wie
hätte der Chor Satyrn darstellen können, wenn er nicht bei seiner sonstigen
Sathrtracht statt menschlicher Gesichter auch die charakteristische" Sathrphhsio-
gnomien gezeigt hätte? Und diese so hergestellte Harmonie bleibt auch dann,
wenn irdische Gestalten an Stelle dieser Halbgottheiten treten. Ja diese Eigen¬
tümlichkeit ermöglichte eine gerade für die künstlerische Entwicklung des Dramas
im höchsten Grade wichtige Thatsache: es mußten auch Frauen auftreten
können, sowohl auf der Bühne als in der Orchestra. Aber der Ausgangs¬
punkt vom Dionysoskultus, auch wohl die soziale Stellung der Frau im alten
Hellas, die die ehrbare Frau -- und nur eine solche hätte im Kultus mit¬
wirken können -- dem öffentlichen Auftreten entzog, schloß die Frau als Dar¬
stellerin aus. So mußten Frauen von Männern dargestellt werden, und hierzu
bot gerade die Maske eine willkommene Erleichterung, ja wohl die einzige Mög¬
lichkeit, wenn nicht von vornherein als Darsteller der reife Mann ausgeschlossen
werden sollte, der doch der selbstthätige Ausüber der Kultushandlungen war.

Die Maske hatte jedoch für die äußere Erscheinung noch eine weitere
wichtige Folge. Durch sie war der Kopf größer geworden, sooaß ein Mi߬
verhältnis der körperlichen Gestalt eintreten mußte. Aber gerade die Pro-
portionen waren es, wofür die Griechen eine feine Empfindung hatten, und in
deren Anwendung sich ihr Schönheitssinn am frühesten äußerte. Sollte der
Kopf in richtigem Verhältnis zu der Höhenentwicklung des Körpers erscheinen,
so mußte diese selbst ein Wachstum erfahren; es geschah dies durch den mit
einem Untersatz versehenen Schuh, dnrch den Kothurn. Die durch ihn er¬
zwungene langsamere Bewegung stimmte wiederum zu der feierlichen, maje¬
stätischen Erscheinung der Gottheit, die um durch diese beiden Mittel das
Maß der irdischen Leiber überragte und so auch schou nach dieser Seite der
körperlichen Erscheinung hin ihre höhere Natur zu erkennen gab. Gesteigert


Wenn ursprünglich in die Tempelvvrhalle die im Tempel wohnend ge¬
dachte Gottheit oder der dort verehrte Heros gleichsam lebendig geworden
heraustrat, so konnte dies zwar der Priester oder der Vorsänger des Dithyrambos
thatsächlich sein, er durfte es aber nicht scheinen. Sollte der Schein gewahrt
bleiben, so mußte der Mensch nicht nur in der Tracht, sondern ganz besonders
in dem Gesichte die Erscheinung bieten, wie man sie am Knltusbilde gewohnt
War. Dieses Bild hatte gleichsam sein Postament verlassen und war unter die
Menschen getreten. Um diesen Eindruck zu erreichen, verhüllte der Mann sein
Haupt mit einer Maske, die die Züge der Gottheit trug, und deren unveränder¬
licher, uns im höchsten Grade undramatisch erscheinender Ausdruck gerade am
besten geeignet war, die unwandelbare Hoheit des göttlichen Wesens der
irdischen Veränderlichkeit und Vergänglichkeit gegenüber zu betonen. Traten
an Stelle der Gottheit oder der göttlich verehrten Heroen andre Helden, so
blieb doch die Maske bestehen, die nun natürlich mich von den Nebenpersonen
getragen werden mußte, dn diese sonst aus dem Nahmen gefallen wären. Wie
hätte der Chor Satyrn darstellen können, wenn er nicht bei seiner sonstigen
Sathrtracht statt menschlicher Gesichter auch die charakteristische» Sathrphhsio-
gnomien gezeigt hätte? Und diese so hergestellte Harmonie bleibt auch dann,
wenn irdische Gestalten an Stelle dieser Halbgottheiten treten. Ja diese Eigen¬
tümlichkeit ermöglichte eine gerade für die künstlerische Entwicklung des Dramas
im höchsten Grade wichtige Thatsache: es mußten auch Frauen auftreten
können, sowohl auf der Bühne als in der Orchestra. Aber der Ausgangs¬
punkt vom Dionysoskultus, auch wohl die soziale Stellung der Frau im alten
Hellas, die die ehrbare Frau — und nur eine solche hätte im Kultus mit¬
wirken können — dem öffentlichen Auftreten entzog, schloß die Frau als Dar¬
stellerin aus. So mußten Frauen von Männern dargestellt werden, und hierzu
bot gerade die Maske eine willkommene Erleichterung, ja wohl die einzige Mög¬
lichkeit, wenn nicht von vornherein als Darsteller der reife Mann ausgeschlossen
werden sollte, der doch der selbstthätige Ausüber der Kultushandlungen war.

Die Maske hatte jedoch für die äußere Erscheinung noch eine weitere
wichtige Folge. Durch sie war der Kopf größer geworden, sooaß ein Mi߬
verhältnis der körperlichen Gestalt eintreten mußte. Aber gerade die Pro-
portionen waren es, wofür die Griechen eine feine Empfindung hatten, und in
deren Anwendung sich ihr Schönheitssinn am frühesten äußerte. Sollte der
Kopf in richtigem Verhältnis zu der Höhenentwicklung des Körpers erscheinen,
so mußte diese selbst ein Wachstum erfahren; es geschah dies durch den mit
einem Untersatz versehenen Schuh, dnrch den Kothurn. Die durch ihn er¬
zwungene langsamere Bewegung stimmte wiederum zu der feierlichen, maje¬
stätischen Erscheinung der Gottheit, die um durch diese beiden Mittel das
Maß der irdischen Leiber überragte und so auch schou nach dieser Seite der
körperlichen Erscheinung hin ihre höhere Natur zu erkennen gab. Gesteigert


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[0083] Wenn ursprünglich in die Tempelvvrhalle die im Tempel wohnend ge¬ dachte Gottheit oder der dort verehrte Heros gleichsam lebendig geworden heraustrat, so konnte dies zwar der Priester oder der Vorsänger des Dithyrambos thatsächlich sein, er durfte es aber nicht scheinen. Sollte der Schein gewahrt bleiben, so mußte der Mensch nicht nur in der Tracht, sondern ganz besonders in dem Gesichte die Erscheinung bieten, wie man sie am Knltusbilde gewohnt War. Dieses Bild hatte gleichsam sein Postament verlassen und war unter die Menschen getreten. Um diesen Eindruck zu erreichen, verhüllte der Mann sein Haupt mit einer Maske, die die Züge der Gottheit trug, und deren unveränder¬ licher, uns im höchsten Grade undramatisch erscheinender Ausdruck gerade am besten geeignet war, die unwandelbare Hoheit des göttlichen Wesens der irdischen Veränderlichkeit und Vergänglichkeit gegenüber zu betonen. Traten an Stelle der Gottheit oder der göttlich verehrten Heroen andre Helden, so blieb doch die Maske bestehen, die nun natürlich mich von den Nebenpersonen getragen werden mußte, dn diese sonst aus dem Nahmen gefallen wären. Wie hätte der Chor Satyrn darstellen können, wenn er nicht bei seiner sonstigen Sathrtracht statt menschlicher Gesichter auch die charakteristische» Sathrphhsio- gnomien gezeigt hätte? Und diese so hergestellte Harmonie bleibt auch dann, wenn irdische Gestalten an Stelle dieser Halbgottheiten treten. Ja diese Eigen¬ tümlichkeit ermöglichte eine gerade für die künstlerische Entwicklung des Dramas im höchsten Grade wichtige Thatsache: es mußten auch Frauen auftreten können, sowohl auf der Bühne als in der Orchestra. Aber der Ausgangs¬ punkt vom Dionysoskultus, auch wohl die soziale Stellung der Frau im alten Hellas, die die ehrbare Frau — und nur eine solche hätte im Kultus mit¬ wirken können — dem öffentlichen Auftreten entzog, schloß die Frau als Dar¬ stellerin aus. So mußten Frauen von Männern dargestellt werden, und hierzu bot gerade die Maske eine willkommene Erleichterung, ja wohl die einzige Mög¬ lichkeit, wenn nicht von vornherein als Darsteller der reife Mann ausgeschlossen werden sollte, der doch der selbstthätige Ausüber der Kultushandlungen war. Die Maske hatte jedoch für die äußere Erscheinung noch eine weitere wichtige Folge. Durch sie war der Kopf größer geworden, sooaß ein Mi߬ verhältnis der körperlichen Gestalt eintreten mußte. Aber gerade die Pro- portionen waren es, wofür die Griechen eine feine Empfindung hatten, und in deren Anwendung sich ihr Schönheitssinn am frühesten äußerte. Sollte der Kopf in richtigem Verhältnis zu der Höhenentwicklung des Körpers erscheinen, so mußte diese selbst ein Wachstum erfahren; es geschah dies durch den mit einem Untersatz versehenen Schuh, dnrch den Kothurn. Die durch ihn er¬ zwungene langsamere Bewegung stimmte wiederum zu der feierlichen, maje¬ stätischen Erscheinung der Gottheit, die um durch diese beiden Mittel das Maß der irdischen Leiber überragte und so auch schou nach dieser Seite der körperlichen Erscheinung hin ihre höhere Natur zu erkennen gab. Gesteigert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/83>, abgerufen am 25.08.2024.