Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Aufrücken der Lehrer an den höhern Unterrichtsanstalten Preußens

Das Warten auf den Tod des Vorgängers, wie es die jetzige Einrichtung
mit sich bringt, ist geradezu unmoralisch zu nennen. Es muß im Laufe der
Zeit Wünsche zeitigen, die weder kollegialisch noch christlich sind, und die nicht
dazu dienen, den Idealismus des Lehrers zu steigern. Welche Wünsche müssen
in der Brust eines "letzten ordentlichen" Lehrers entstehen, der 1800 Mark
Gehalt bezieht und der nach acht oder zehn Dienstjahren bei wachsender
Familie noch immer auf der letzten Stelle sitzt und keine Aussicht hat, an der
Anstalt vorwärts zu kommen, weil seine Kollegen vor ihm alle noch jung und
kräftig sind? Es kommt ja in neuester Zeit manchmal vor, daß ein Kollege
von der Anstalt weggenommen und anderswohin versetzt wird, um etwas Luft
zu machen, aber es geschieht das doch so selten, daß es zu den Ausnahmen
gehört, und es pflegt nur dann einzutreten, wenn die Verhältnisse ganz un¬
haltbar geworden sind. Wie selten eine solche Ausgleichung erfolgt, könnte
man sehr leicht aus dein geringen Kostenaufwande erkennen, den Provinzial-
schnlkvllegien für Versetzungen ausgeben.

Die jetzige Art des Aufrückens hängt ganz und gar vom Zufall ab und ist
sehr ungleichmäßig und daher ungerecht. Jetzt ist das unregelmäßige Aufrücken
die Regel, ein regelmüßiges Aufrücken geradezu eine Ansncchme. Wie kommt
z. B. der Schreiber dieser Zeilen dazu, seit einigen Jahren schon die zweite
ordentliche Lehrerstelle zu bekleiden, während einer seiner Bekannten, ein außer¬
ordentlich tüchtiger Lehrer, der noch ein Vierteljahr im Dienste älter ist, an
einer Schule der Nachbarstadt noch immer auf der letzten Stelle sitzt? Welchen
Eindruck muß es auf den Hilfslehrer machen, der an der einen königlichen
Anstalt schon jahrelang auf Austeilung wartet, wenn an der königlichen Anstalt
des Nachbarortes ein Kollege genau bei denselben Lehrfächern gleich nach dem
Probejahr und zwar gleich als vorletzter ordentlicher Lehrer angestellt wird?
Muß ihn das nicht niederdrücken und seinen Idealismus herabstimmen? Er
wird sich doch sofort sagen: Die Behörde ist mit dir jedenfalls nicht zufrieden!
Das sagte sich der Betreffende auch. Schließlich erfuhr er aber aus dem
Munde des Prvvinzialschulrates, daß das keineswegs der Fall sei, und daß
jenes uur geschehen sei, weil der Direktor jener Anstalt es so gewünscht habe.
In ähnlichen Fällen -- sie sind gar nicht so selten - tröstet man sich oft
damit, daß man sich einredet, der Staat wolle die Umzngskosten ersparen und
verfahre deshalb so. Dem steht aber die Beobachtung gegenüber, daß auch
an staatlichen Anstalten desselben Ortes große Ungleichmäßigkeit herrscht. Und
da Hütte es die Behörde doch keinen Pfennig gekostet, eine Ausgleichung zu
schaffen. Es Hütte nur dem oder jenem gesagt zu werden brauchen: Du unterrichtest
von jetzt um der Gerechtigkeit wegen an der Schwesternnstalt desselben Ortes.
Kein Lehrer würde sich sträube", seinen Kollegen dieses Opfer -- wenn es
eins wäre -- zu bringen. Statt dessen muß man sehen, daß an der könig¬
lichen Anstalt in die erste Oberlehrerstelle ein Mann einrückt, der am Ausgange


Das Aufrücken der Lehrer an den höhern Unterrichtsanstalten Preußens

Das Warten auf den Tod des Vorgängers, wie es die jetzige Einrichtung
mit sich bringt, ist geradezu unmoralisch zu nennen. Es muß im Laufe der
Zeit Wünsche zeitigen, die weder kollegialisch noch christlich sind, und die nicht
dazu dienen, den Idealismus des Lehrers zu steigern. Welche Wünsche müssen
in der Brust eines „letzten ordentlichen" Lehrers entstehen, der 1800 Mark
Gehalt bezieht und der nach acht oder zehn Dienstjahren bei wachsender
Familie noch immer auf der letzten Stelle sitzt und keine Aussicht hat, an der
Anstalt vorwärts zu kommen, weil seine Kollegen vor ihm alle noch jung und
kräftig sind? Es kommt ja in neuester Zeit manchmal vor, daß ein Kollege
von der Anstalt weggenommen und anderswohin versetzt wird, um etwas Luft
zu machen, aber es geschieht das doch so selten, daß es zu den Ausnahmen
gehört, und es pflegt nur dann einzutreten, wenn die Verhältnisse ganz un¬
haltbar geworden sind. Wie selten eine solche Ausgleichung erfolgt, könnte
man sehr leicht aus dein geringen Kostenaufwande erkennen, den Provinzial-
schnlkvllegien für Versetzungen ausgeben.

Die jetzige Art des Aufrückens hängt ganz und gar vom Zufall ab und ist
sehr ungleichmäßig und daher ungerecht. Jetzt ist das unregelmäßige Aufrücken
die Regel, ein regelmüßiges Aufrücken geradezu eine Ansncchme. Wie kommt
z. B. der Schreiber dieser Zeilen dazu, seit einigen Jahren schon die zweite
ordentliche Lehrerstelle zu bekleiden, während einer seiner Bekannten, ein außer¬
ordentlich tüchtiger Lehrer, der noch ein Vierteljahr im Dienste älter ist, an
einer Schule der Nachbarstadt noch immer auf der letzten Stelle sitzt? Welchen
Eindruck muß es auf den Hilfslehrer machen, der an der einen königlichen
Anstalt schon jahrelang auf Austeilung wartet, wenn an der königlichen Anstalt
des Nachbarortes ein Kollege genau bei denselben Lehrfächern gleich nach dem
Probejahr und zwar gleich als vorletzter ordentlicher Lehrer angestellt wird?
Muß ihn das nicht niederdrücken und seinen Idealismus herabstimmen? Er
wird sich doch sofort sagen: Die Behörde ist mit dir jedenfalls nicht zufrieden!
Das sagte sich der Betreffende auch. Schließlich erfuhr er aber aus dem
Munde des Prvvinzialschulrates, daß das keineswegs der Fall sei, und daß
jenes uur geschehen sei, weil der Direktor jener Anstalt es so gewünscht habe.
In ähnlichen Fällen — sie sind gar nicht so selten - tröstet man sich oft
damit, daß man sich einredet, der Staat wolle die Umzngskosten ersparen und
verfahre deshalb so. Dem steht aber die Beobachtung gegenüber, daß auch
an staatlichen Anstalten desselben Ortes große Ungleichmäßigkeit herrscht. Und
da Hütte es die Behörde doch keinen Pfennig gekostet, eine Ausgleichung zu
schaffen. Es Hütte nur dem oder jenem gesagt zu werden brauchen: Du unterrichtest
von jetzt um der Gerechtigkeit wegen an der Schwesternnstalt desselben Ortes.
Kein Lehrer würde sich sträube», seinen Kollegen dieses Opfer — wenn es
eins wäre — zu bringen. Statt dessen muß man sehen, daß an der könig¬
lichen Anstalt in die erste Oberlehrerstelle ein Mann einrückt, der am Ausgange


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208647"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Aufrücken der Lehrer an den höhern Unterrichtsanstalten Preußens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_184"> Das Warten auf den Tod des Vorgängers, wie es die jetzige Einrichtung<lb/>
mit sich bringt, ist geradezu unmoralisch zu nennen. Es muß im Laufe der<lb/>
Zeit Wünsche zeitigen, die weder kollegialisch noch christlich sind, und die nicht<lb/>
dazu dienen, den Idealismus des Lehrers zu steigern. Welche Wünsche müssen<lb/>
in der Brust eines &#x201E;letzten ordentlichen" Lehrers entstehen, der 1800 Mark<lb/>
Gehalt bezieht und der nach acht oder zehn Dienstjahren bei wachsender<lb/>
Familie noch immer auf der letzten Stelle sitzt und keine Aussicht hat, an der<lb/>
Anstalt vorwärts zu kommen, weil seine Kollegen vor ihm alle noch jung und<lb/>
kräftig sind? Es kommt ja in neuester Zeit manchmal vor, daß ein Kollege<lb/>
von der Anstalt weggenommen und anderswohin versetzt wird, um etwas Luft<lb/>
zu machen, aber es geschieht das doch so selten, daß es zu den Ausnahmen<lb/>
gehört, und es pflegt nur dann einzutreten, wenn die Verhältnisse ganz un¬<lb/>
haltbar geworden sind. Wie selten eine solche Ausgleichung erfolgt, könnte<lb/>
man sehr leicht aus dein geringen Kostenaufwande erkennen, den Provinzial-<lb/>
schnlkvllegien für Versetzungen ausgeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_185" next="#ID_186"> Die jetzige Art des Aufrückens hängt ganz und gar vom Zufall ab und ist<lb/>
sehr ungleichmäßig und daher ungerecht. Jetzt ist das unregelmäßige Aufrücken<lb/>
die Regel, ein regelmüßiges Aufrücken geradezu eine Ansncchme. Wie kommt<lb/>
z. B. der Schreiber dieser Zeilen dazu, seit einigen Jahren schon die zweite<lb/>
ordentliche Lehrerstelle zu bekleiden, während einer seiner Bekannten, ein außer¬<lb/>
ordentlich tüchtiger Lehrer, der noch ein Vierteljahr im Dienste älter ist, an<lb/>
einer Schule der Nachbarstadt noch immer auf der letzten Stelle sitzt? Welchen<lb/>
Eindruck muß es auf den Hilfslehrer machen, der an der einen königlichen<lb/>
Anstalt schon jahrelang auf Austeilung wartet, wenn an der königlichen Anstalt<lb/>
des Nachbarortes ein Kollege genau bei denselben Lehrfächern gleich nach dem<lb/>
Probejahr und zwar gleich als vorletzter ordentlicher Lehrer angestellt wird?<lb/>
Muß ihn das nicht niederdrücken und seinen Idealismus herabstimmen? Er<lb/>
wird sich doch sofort sagen: Die Behörde ist mit dir jedenfalls nicht zufrieden!<lb/>
Das sagte sich der Betreffende auch. Schließlich erfuhr er aber aus dem<lb/>
Munde des Prvvinzialschulrates, daß das keineswegs der Fall sei, und daß<lb/>
jenes uur geschehen sei, weil der Direktor jener Anstalt es so gewünscht habe.<lb/>
In ähnlichen Fällen &#x2014; sie sind gar nicht so selten - tröstet man sich oft<lb/>
damit, daß man sich einredet, der Staat wolle die Umzngskosten ersparen und<lb/>
verfahre deshalb so. Dem steht aber die Beobachtung gegenüber, daß auch<lb/>
an staatlichen Anstalten desselben Ortes große Ungleichmäßigkeit herrscht. Und<lb/>
da Hütte es die Behörde doch keinen Pfennig gekostet, eine Ausgleichung zu<lb/>
schaffen. Es Hütte nur dem oder jenem gesagt zu werden brauchen: Du unterrichtest<lb/>
von jetzt um der Gerechtigkeit wegen an der Schwesternnstalt desselben Ortes.<lb/>
Kein Lehrer würde sich sträube», seinen Kollegen dieses Opfer &#x2014; wenn es<lb/>
eins wäre &#x2014; zu bringen. Statt dessen muß man sehen, daß an der könig¬<lb/>
lichen Anstalt in die erste Oberlehrerstelle ein Mann einrückt, der am Ausgange</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0068] Das Aufrücken der Lehrer an den höhern Unterrichtsanstalten Preußens Das Warten auf den Tod des Vorgängers, wie es die jetzige Einrichtung mit sich bringt, ist geradezu unmoralisch zu nennen. Es muß im Laufe der Zeit Wünsche zeitigen, die weder kollegialisch noch christlich sind, und die nicht dazu dienen, den Idealismus des Lehrers zu steigern. Welche Wünsche müssen in der Brust eines „letzten ordentlichen" Lehrers entstehen, der 1800 Mark Gehalt bezieht und der nach acht oder zehn Dienstjahren bei wachsender Familie noch immer auf der letzten Stelle sitzt und keine Aussicht hat, an der Anstalt vorwärts zu kommen, weil seine Kollegen vor ihm alle noch jung und kräftig sind? Es kommt ja in neuester Zeit manchmal vor, daß ein Kollege von der Anstalt weggenommen und anderswohin versetzt wird, um etwas Luft zu machen, aber es geschieht das doch so selten, daß es zu den Ausnahmen gehört, und es pflegt nur dann einzutreten, wenn die Verhältnisse ganz un¬ haltbar geworden sind. Wie selten eine solche Ausgleichung erfolgt, könnte man sehr leicht aus dein geringen Kostenaufwande erkennen, den Provinzial- schnlkvllegien für Versetzungen ausgeben. Die jetzige Art des Aufrückens hängt ganz und gar vom Zufall ab und ist sehr ungleichmäßig und daher ungerecht. Jetzt ist das unregelmäßige Aufrücken die Regel, ein regelmüßiges Aufrücken geradezu eine Ansncchme. Wie kommt z. B. der Schreiber dieser Zeilen dazu, seit einigen Jahren schon die zweite ordentliche Lehrerstelle zu bekleiden, während einer seiner Bekannten, ein außer¬ ordentlich tüchtiger Lehrer, der noch ein Vierteljahr im Dienste älter ist, an einer Schule der Nachbarstadt noch immer auf der letzten Stelle sitzt? Welchen Eindruck muß es auf den Hilfslehrer machen, der an der einen königlichen Anstalt schon jahrelang auf Austeilung wartet, wenn an der königlichen Anstalt des Nachbarortes ein Kollege genau bei denselben Lehrfächern gleich nach dem Probejahr und zwar gleich als vorletzter ordentlicher Lehrer angestellt wird? Muß ihn das nicht niederdrücken und seinen Idealismus herabstimmen? Er wird sich doch sofort sagen: Die Behörde ist mit dir jedenfalls nicht zufrieden! Das sagte sich der Betreffende auch. Schließlich erfuhr er aber aus dem Munde des Prvvinzialschulrates, daß das keineswegs der Fall sei, und daß jenes uur geschehen sei, weil der Direktor jener Anstalt es so gewünscht habe. In ähnlichen Fällen — sie sind gar nicht so selten - tröstet man sich oft damit, daß man sich einredet, der Staat wolle die Umzngskosten ersparen und verfahre deshalb so. Dem steht aber die Beobachtung gegenüber, daß auch an staatlichen Anstalten desselben Ortes große Ungleichmäßigkeit herrscht. Und da Hütte es die Behörde doch keinen Pfennig gekostet, eine Ausgleichung zu schaffen. Es Hütte nur dem oder jenem gesagt zu werden brauchen: Du unterrichtest von jetzt um der Gerechtigkeit wegen an der Schwesternnstalt desselben Ortes. Kein Lehrer würde sich sträube», seinen Kollegen dieses Opfer — wenn es eins wäre — zu bringen. Statt dessen muß man sehen, daß an der könig¬ lichen Anstalt in die erste Oberlehrerstelle ein Mann einrückt, der am Ausgange

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/68
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/68>, abgerufen am 23.07.2024.