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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Herrn Tobiassens Weihnachtsabend

quemeu Schreibstuhl saß der Hausvater, seine Fuße ruhten auf einem aus¬
gezogenen Kasten des Schreibtisches, und neben ihm, mit dein Ellbogen gegen
einen kleinen Nähtisch, saß seine junge Frau, die ihm mit lebhaftem Interesse
zuhörte, obwohl er nur von Sache" zu erzählen hatte, die für sie alte Bekannte
gewesen sein dürften, nämlich über seine erste Bekanntschaft mit ihr, seine un-
bedachtsame Freierei und alles, Mas darauf gefolgt war. Wohl war es el" Wage¬
stück gewesen, sich ans so eine kleine Einnahme hin zu verheirate", aber es schien
gut zu gehen, und man hatte es nicht zu bereuen. Hierbei sahen sich die
beiden mit lachenden Unger an, und Herr Tobiasseu erhielt deu Eindruck, als
ob sie von unendlicher Dankbarkeit gegen einander erfüllt wären für dies
und jenes.

Ausgestreckt in den Lehnstuhl seines Wirtes und mit dem. Zigarrcnbccher
ans der Stnhlklappe, saß er und betrachtete dieses kleine Heim mit scheuer,
Wohlwollender Neugierde.

Eigentlich hatte Herr Tvbmssen bis jetzt wenig von einer Ehe gesehen,
aber daß es glückliche und unglückliche gab, das wußte er. Ju den glücklichen
liebkoste man sich, und das machte ihn verschämt, denn Liebkosungen waren
verbotene Früchte, die man nicht so ungenirt vor den Nasen andrer pflücken
dürfte, und in den unglücklichen zankte man sich, und da war es am besten, sich
fernzuhalten. Hier so ohne weiteres hineingeworfen zu werden in das
Leben zweier jungen Menschen, machte doch einen wunderbaren Eindruck ans
ihn. Über beiden lag so etwas Natürliches nud Ungezwungenes, ihre Freund¬
lichkeit hatte eüw Herzensgüte, die ihm ganz nen war, und ihr Nlltagsgespräch
war so kameradschaftlich, daß er sich heimisch fühlte wie früher im Kreise seiner
Stndentenschützlinge.

Mit seiner Altenmannsueugier betrachtete er ihre Gesichter. Er fand
nichts darin, was ans Uneinigkeit hätte schließen lassen, nichts, was Unrnhe,
Besorgnisse oder Mitleiden hätte einflößen können; nur Sicherheit und Zu
friedenheit. Ganz besonders fiel ihm dies an dem jungen Manne auf, und
er konnte nicht unterlassen, diesen mit sich zu vergleichen. Ob ihn wohl auch
das Gefühl peinigte, das Herrn Tobiassens Lebensplage war. das Gefühl, ent¬
weder sich selbst oder andern Unrecht zu thun? Sicherlich nicht. Es mußte
etwas in ihm liegen, das das Gleichgewicht ins Ganze brachte.

Während dieser Gedankengang wie ein stiller Nebenstrom dahinfloß, saß
der Alte und lauschte den Erzählungen des jungen Ehemannes über die kleinen
Ereignisse, die sein und seiner Gefährtin Lebensschicksale ausmachten. Der
Knabe sprang umher, spielte für sich, schlug mit seiner Peitsche und schwatzte,
als wenn er jemand zur Gesellschaft gehabt hätte.

Bon der Bewegung angezogen, folgten Herrn Tobiassens Angen dem Spiel,
anfangs gedankenlos, aber nach und nach mit wachsendem Interesse. Für den
alten Eremiten war dieses heranwachsende Menschenkind ein wahres Phänomen.


Herrn Tobiassens Weihnachtsabend

quemeu Schreibstuhl saß der Hausvater, seine Fuße ruhten auf einem aus¬
gezogenen Kasten des Schreibtisches, und neben ihm, mit dein Ellbogen gegen
einen kleinen Nähtisch, saß seine junge Frau, die ihm mit lebhaftem Interesse
zuhörte, obwohl er nur von Sache» zu erzählen hatte, die für sie alte Bekannte
gewesen sein dürften, nämlich über seine erste Bekanntschaft mit ihr, seine un-
bedachtsame Freierei und alles, Mas darauf gefolgt war. Wohl war es el» Wage¬
stück gewesen, sich ans so eine kleine Einnahme hin zu verheirate», aber es schien
gut zu gehen, und man hatte es nicht zu bereuen. Hierbei sahen sich die
beiden mit lachenden Unger an, und Herr Tobiasseu erhielt deu Eindruck, als
ob sie von unendlicher Dankbarkeit gegen einander erfüllt wären für dies
und jenes.

Ausgestreckt in den Lehnstuhl seines Wirtes und mit dem. Zigarrcnbccher
ans der Stnhlklappe, saß er und betrachtete dieses kleine Heim mit scheuer,
Wohlwollender Neugierde.

Eigentlich hatte Herr Tvbmssen bis jetzt wenig von einer Ehe gesehen,
aber daß es glückliche und unglückliche gab, das wußte er. Ju den glücklichen
liebkoste man sich, und das machte ihn verschämt, denn Liebkosungen waren
verbotene Früchte, die man nicht so ungenirt vor den Nasen andrer pflücken
dürfte, und in den unglücklichen zankte man sich, und da war es am besten, sich
fernzuhalten. Hier so ohne weiteres hineingeworfen zu werden in das
Leben zweier jungen Menschen, machte doch einen wunderbaren Eindruck ans
ihn. Über beiden lag so etwas Natürliches nud Ungezwungenes, ihre Freund¬
lichkeit hatte eüw Herzensgüte, die ihm ganz nen war, und ihr Nlltagsgespräch
war so kameradschaftlich, daß er sich heimisch fühlte wie früher im Kreise seiner
Stndentenschützlinge.

Mit seiner Altenmannsueugier betrachtete er ihre Gesichter. Er fand
nichts darin, was ans Uneinigkeit hätte schließen lassen, nichts, was Unrnhe,
Besorgnisse oder Mitleiden hätte einflößen können; nur Sicherheit und Zu
friedenheit. Ganz besonders fiel ihm dies an dem jungen Manne auf, und
er konnte nicht unterlassen, diesen mit sich zu vergleichen. Ob ihn wohl auch
das Gefühl peinigte, das Herrn Tobiassens Lebensplage war. das Gefühl, ent¬
weder sich selbst oder andern Unrecht zu thun? Sicherlich nicht. Es mußte
etwas in ihm liegen, das das Gleichgewicht ins Ganze brachte.

Während dieser Gedankengang wie ein stiller Nebenstrom dahinfloß, saß
der Alte und lauschte den Erzählungen des jungen Ehemannes über die kleinen
Ereignisse, die sein und seiner Gefährtin Lebensschicksale ausmachten. Der
Knabe sprang umher, spielte für sich, schlug mit seiner Peitsche und schwatzte,
als wenn er jemand zur Gesellschaft gehabt hätte.

Bon der Bewegung angezogen, folgten Herrn Tobiassens Angen dem Spiel,
anfangs gedankenlos, aber nach und nach mit wachsendem Interesse. Für den
alten Eremiten war dieses heranwachsende Menschenkind ein wahres Phänomen.


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[0631] Herrn Tobiassens Weihnachtsabend quemeu Schreibstuhl saß der Hausvater, seine Fuße ruhten auf einem aus¬ gezogenen Kasten des Schreibtisches, und neben ihm, mit dein Ellbogen gegen einen kleinen Nähtisch, saß seine junge Frau, die ihm mit lebhaftem Interesse zuhörte, obwohl er nur von Sache» zu erzählen hatte, die für sie alte Bekannte gewesen sein dürften, nämlich über seine erste Bekanntschaft mit ihr, seine un- bedachtsame Freierei und alles, Mas darauf gefolgt war. Wohl war es el» Wage¬ stück gewesen, sich ans so eine kleine Einnahme hin zu verheirate», aber es schien gut zu gehen, und man hatte es nicht zu bereuen. Hierbei sahen sich die beiden mit lachenden Unger an, und Herr Tobiasseu erhielt deu Eindruck, als ob sie von unendlicher Dankbarkeit gegen einander erfüllt wären für dies und jenes. Ausgestreckt in den Lehnstuhl seines Wirtes und mit dem. Zigarrcnbccher ans der Stnhlklappe, saß er und betrachtete dieses kleine Heim mit scheuer, Wohlwollender Neugierde. Eigentlich hatte Herr Tvbmssen bis jetzt wenig von einer Ehe gesehen, aber daß es glückliche und unglückliche gab, das wußte er. Ju den glücklichen liebkoste man sich, und das machte ihn verschämt, denn Liebkosungen waren verbotene Früchte, die man nicht so ungenirt vor den Nasen andrer pflücken dürfte, und in den unglücklichen zankte man sich, und da war es am besten, sich fernzuhalten. Hier so ohne weiteres hineingeworfen zu werden in das Leben zweier jungen Menschen, machte doch einen wunderbaren Eindruck ans ihn. Über beiden lag so etwas Natürliches nud Ungezwungenes, ihre Freund¬ lichkeit hatte eüw Herzensgüte, die ihm ganz nen war, und ihr Nlltagsgespräch war so kameradschaftlich, daß er sich heimisch fühlte wie früher im Kreise seiner Stndentenschützlinge. Mit seiner Altenmannsueugier betrachtete er ihre Gesichter. Er fand nichts darin, was ans Uneinigkeit hätte schließen lassen, nichts, was Unrnhe, Besorgnisse oder Mitleiden hätte einflößen können; nur Sicherheit und Zu friedenheit. Ganz besonders fiel ihm dies an dem jungen Manne auf, und er konnte nicht unterlassen, diesen mit sich zu vergleichen. Ob ihn wohl auch das Gefühl peinigte, das Herrn Tobiassens Lebensplage war. das Gefühl, ent¬ weder sich selbst oder andern Unrecht zu thun? Sicherlich nicht. Es mußte etwas in ihm liegen, das das Gleichgewicht ins Ganze brachte. Während dieser Gedankengang wie ein stiller Nebenstrom dahinfloß, saß der Alte und lauschte den Erzählungen des jungen Ehemannes über die kleinen Ereignisse, die sein und seiner Gefährtin Lebensschicksale ausmachten. Der Knabe sprang umher, spielte für sich, schlug mit seiner Peitsche und schwatzte, als wenn er jemand zur Gesellschaft gehabt hätte. Bon der Bewegung angezogen, folgten Herrn Tobiassens Angen dem Spiel, anfangs gedankenlos, aber nach und nach mit wachsendem Interesse. Für den alten Eremiten war dieses heranwachsende Menschenkind ein wahres Phänomen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/631>, abgerufen am 25.08.2024.