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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Herr" Tobiasseils Weihnachtsabend

Er wußte ganz genau, wie es kommen würde. Das Mädchen würde
seinen Thee hereinbringen und ihn mit einem scheuen, frohen Blick ansehein
Nun giebt er mir sein Geschenk. Und er würde thun, als wüßte er nichts;
dann würde die frohe Miene davonziehen, wie ein verschwindender Lichtschein,
sie würde den Kopf sinken lassen, als hinge er an einem Draht und fiele herab
durch seine eigne Schwere. Und ihre Angen würden sich mit Thränen füllen.
Er wußte das recht gut. Es waren offene, hellblaue Glasaugen. Die Thränen
würde" sich darüber legen, wie Wasser über eine Glasscheibe, den Blick unruhig
macheu, sie würden an den Augenlidern hängen, bereit überzufließen. Sie
würde alles thun, um sie zu verbergen; abgewandt würde sie als der Stube
gehen lind lautlos die Thür hinter sich schließen. Aber er würde es doch
gesehen haben und er würde den Blick sehen und immer "nieder sehen, er würde
gepeinigt werden, er würde Qualen erleiden.

lind nnn spukte es wieder, das schlottrige alte Baumivollenkleid mit dem
Riß am Arme, wo die Kälte in die nackte Haut biß.

Hatte er denn mehr übrig, als was er selbst zum Leben bedürfte? Was
waren das für Ansprüche? Auf was sollte er verzichten? Nein, mit dieser
Weichherzigkeit mußte gebrochen werden!

Während er so mit seinem eignen Ich grollte, kam er in die Haiisslnr
und stolperte hinauf.

Das Mädchen öffnete ihm.

Eben war ein Mann hier mit einer Tanne, sagte sie zögernd, er sagte,
daß sie hier abgegeben werden sollte.

Jawohl, ich will eine Tanne haben, antwortete Herr Tobiassen kurz.

Er trat ein. Da stand der Baum und erfüllte die ganze Stube mit
Weihnachtsduft.

Und dann war auch ein Herr da, er hat seine Karte hinterlassen, er
meinte, er würde in einer Stunde wiederkommen, berichtete sie weiter, indem
sie in der halboffenen Thüre stand.

So so.

Sie schloß die Thür wieder. Herr Tobiasseu ging nach dein Schreib¬
tisch und sah ans die Karte. Richtig, Ludwig war vor ein paar Jahren nach
Stockholm gezogen, darau hatte er bis zu diesem Augenblicke gar nicht
gedacht!

Die Karte war von einem der vielen Söhne seines Bruders, von ihm,
den er unter allen am liebsten gehabt hatte. Herr Tobiasseu betrachtete noch
den wohlbekannten Namen, als es auch schon draußen klingelte.

Die Stimme des Mädchens wurde hörbar: Ja, der Herr ist zu Hause.
Und nun öffnete sich die Thür.'

Herr Tobiasseu schauderte im Vorgefühl neuer Konsulte.

Was ist das für eine neue Mode, so ganz inkognito nach Stockholm zu


Herr» Tobiasseils Weihnachtsabend

Er wußte ganz genau, wie es kommen würde. Das Mädchen würde
seinen Thee hereinbringen und ihn mit einem scheuen, frohen Blick ansehein
Nun giebt er mir sein Geschenk. Und er würde thun, als wüßte er nichts;
dann würde die frohe Miene davonziehen, wie ein verschwindender Lichtschein,
sie würde den Kopf sinken lassen, als hinge er an einem Draht und fiele herab
durch seine eigne Schwere. Und ihre Angen würden sich mit Thränen füllen.
Er wußte das recht gut. Es waren offene, hellblaue Glasaugen. Die Thränen
würde» sich darüber legen, wie Wasser über eine Glasscheibe, den Blick unruhig
macheu, sie würden an den Augenlidern hängen, bereit überzufließen. Sie
würde alles thun, um sie zu verbergen; abgewandt würde sie als der Stube
gehen lind lautlos die Thür hinter sich schließen. Aber er würde es doch
gesehen haben und er würde den Blick sehen und immer »nieder sehen, er würde
gepeinigt werden, er würde Qualen erleiden.

lind nnn spukte es wieder, das schlottrige alte Baumivollenkleid mit dem
Riß am Arme, wo die Kälte in die nackte Haut biß.

Hatte er denn mehr übrig, als was er selbst zum Leben bedürfte? Was
waren das für Ansprüche? Auf was sollte er verzichten? Nein, mit dieser
Weichherzigkeit mußte gebrochen werden!

Während er so mit seinem eignen Ich grollte, kam er in die Haiisslnr
und stolperte hinauf.

Das Mädchen öffnete ihm.

Eben war ein Mann hier mit einer Tanne, sagte sie zögernd, er sagte,
daß sie hier abgegeben werden sollte.

Jawohl, ich will eine Tanne haben, antwortete Herr Tobiassen kurz.

Er trat ein. Da stand der Baum und erfüllte die ganze Stube mit
Weihnachtsduft.

Und dann war auch ein Herr da, er hat seine Karte hinterlassen, er
meinte, er würde in einer Stunde wiederkommen, berichtete sie weiter, indem
sie in der halboffenen Thüre stand.

So so.

Sie schloß die Thür wieder. Herr Tobiasseu ging nach dein Schreib¬
tisch und sah ans die Karte. Richtig, Ludwig war vor ein paar Jahren nach
Stockholm gezogen, darau hatte er bis zu diesem Augenblicke gar nicht
gedacht!

Die Karte war von einem der vielen Söhne seines Bruders, von ihm,
den er unter allen am liebsten gehabt hatte. Herr Tobiasseu betrachtete noch
den wohlbekannten Namen, als es auch schon draußen klingelte.

Die Stimme des Mädchens wurde hörbar: Ja, der Herr ist zu Hause.
Und nun öffnete sich die Thür.'

Herr Tobiasseu schauderte im Vorgefühl neuer Konsulte.

Was ist das für eine neue Mode, so ganz inkognito nach Stockholm zu


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[0626] Herr» Tobiasseils Weihnachtsabend Er wußte ganz genau, wie es kommen würde. Das Mädchen würde seinen Thee hereinbringen und ihn mit einem scheuen, frohen Blick ansehein Nun giebt er mir sein Geschenk. Und er würde thun, als wüßte er nichts; dann würde die frohe Miene davonziehen, wie ein verschwindender Lichtschein, sie würde den Kopf sinken lassen, als hinge er an einem Draht und fiele herab durch seine eigne Schwere. Und ihre Angen würden sich mit Thränen füllen. Er wußte das recht gut. Es waren offene, hellblaue Glasaugen. Die Thränen würde» sich darüber legen, wie Wasser über eine Glasscheibe, den Blick unruhig macheu, sie würden an den Augenlidern hängen, bereit überzufließen. Sie würde alles thun, um sie zu verbergen; abgewandt würde sie als der Stube gehen lind lautlos die Thür hinter sich schließen. Aber er würde es doch gesehen haben und er würde den Blick sehen und immer »nieder sehen, er würde gepeinigt werden, er würde Qualen erleiden. lind nnn spukte es wieder, das schlottrige alte Baumivollenkleid mit dem Riß am Arme, wo die Kälte in die nackte Haut biß. Hatte er denn mehr übrig, als was er selbst zum Leben bedürfte? Was waren das für Ansprüche? Auf was sollte er verzichten? Nein, mit dieser Weichherzigkeit mußte gebrochen werden! Während er so mit seinem eignen Ich grollte, kam er in die Haiisslnr und stolperte hinauf. Das Mädchen öffnete ihm. Eben war ein Mann hier mit einer Tanne, sagte sie zögernd, er sagte, daß sie hier abgegeben werden sollte. Jawohl, ich will eine Tanne haben, antwortete Herr Tobiassen kurz. Er trat ein. Da stand der Baum und erfüllte die ganze Stube mit Weihnachtsduft. Und dann war auch ein Herr da, er hat seine Karte hinterlassen, er meinte, er würde in einer Stunde wiederkommen, berichtete sie weiter, indem sie in der halboffenen Thüre stand. So so. Sie schloß die Thür wieder. Herr Tobiasseu ging nach dein Schreib¬ tisch und sah ans die Karte. Richtig, Ludwig war vor ein paar Jahren nach Stockholm gezogen, darau hatte er bis zu diesem Augenblicke gar nicht gedacht! Die Karte war von einem der vielen Söhne seines Bruders, von ihm, den er unter allen am liebsten gehabt hatte. Herr Tobiasseu betrachtete noch den wohlbekannten Namen, als es auch schon draußen klingelte. Die Stimme des Mädchens wurde hörbar: Ja, der Herr ist zu Hause. Und nun öffnete sich die Thür.' Herr Tobiasseu schauderte im Vorgefühl neuer Konsulte. Was ist das für eine neue Mode, so ganz inkognito nach Stockholm zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/626>, abgerufen am 25.08.2024.