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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Herrn Tobiassens Weihnachtsabend

in diesen nackten Arm zwicken mußte, wie sie längs des Körpers hinkriechen
mußte, unter den dünnen Kleidern die Haut gefrieren machen, wie sie sich in
jede Pure schleichen mußte, sich schleichen dnrch Mark und Bein, sich schleichen
bis hinab ans Herz -- diese bittere Kälte, die selbst dnrch seinen dicken
Winterrock drang. Es war, um wahnsinnig zu werden, zu fühlen, wie sie fror,
und niemand schien dies weiter zu bemerken als er! Alle konnten es mit an¬
sehen, nur er -- nur er nicht!

War das nicht zum närrisch werden? Was ging es ihn an, daß sie
fror? Er hatte es sich hundertmal vorgesagt, und doch kam er sich wie ein
verworfnes Wesen vor, bloß weil er wagte, Geld zu besitzen, während die Not
an seiner Thür vorüberging. Welche Qual mußte im Reichtum liegen, wenn
man sie schon bei einer armseligen Leibrente so lebhaft fühlen konnte!

Er hatte seinen Abend so angenehm feiern wollen, allein, mit einer Flasche
Ivhannisbcrger und seiner Musik, Er hatte neue Noten mit nach Hanse ge¬
bracht, einen ganzen Arm voll, um sich hindnrchznwürgcn. Und nun mußte
das dazwischen kommen und seine Freude stören. Es war der Narr - - mir
der verwünschte Narr --, der die Schuld daran trug. Er hatte zu Herrn
Tobiasseu gesagt: Geh aus, gleichviel wohin, dn kannst vorgeben, du wärest
eingeladen, lauf durch die Straßen, geh in eine Restauration und iß einen
Bissen. Was schadet dir das? Und dann kannst dn ihnen die Wohnung über¬
lassei?, Spielsachen für die Kinder laufen, Zeug zu einem Kleide für das Mädchen
kaufen und etwas für die Frau. Du kannst dich außerhalb des Hauses aufhalten,
sodaß es wieder ist, als hätten sie ihr kleines Heim für sich allein, und als ob
alles wie früher wäre und kein Eindringling zu finden. Das könntest du thun.

In dieser Weise war es fortgegangen, bis Herr Tvbiasfen mit seinein
"Aha, ja" begann; er sagte es ärgerlich, denn er fühlte schon in den Gliedern,
daß, wie sehr er auch dagegen ankämpfie, doch der Narr ihn schließlich ge¬
fangen nehmen würde. Aha, ja, ich werde alles hingeben müssen, aha, ja . . .
Er war so erbittert, daß es in ihm kochte. Und was würde das Ende vom
Liede sein? Man würde merken, daß er ein Dummkopf sei. Man würde
alles annehmen; im Anfang mit überraschten Mienen, dankbar lächelnd; dann
würde es nach und nach zu einer angenehmen Gewohnheit werden, zu einem
gleichgiltigen Sichgefalleulasfeu; schließlich würde es zu wachsenden Forde-
rungen kommen. Und dann war man glücklich uuter dem Pantoffel, dem
Pantoffel der Wirtin. In Lund hatte ihn die Haushälterin geschwungen.
Der Skeptiker verzog das Gesicht, als hätte er Wermut getrunken.

Nein! Was ging es ihn an, wie ihr Weihnachtsabend verlaufen würde?
Konnte er allen Menschen helfen?

Er wollte sich seine Dummheiten aus dem Sinn schlagen. Er wollte
ausgehen und zu Mittag essen. Was war denn so ein Weihnachtsabend?
War es etwas, womit er zu thun hatte? Heiliger Abend? Nur für Kinder!


Herrn Tobiassens Weihnachtsabend

in diesen nackten Arm zwicken mußte, wie sie längs des Körpers hinkriechen
mußte, unter den dünnen Kleidern die Haut gefrieren machen, wie sie sich in
jede Pure schleichen mußte, sich schleichen dnrch Mark und Bein, sich schleichen
bis hinab ans Herz — diese bittere Kälte, die selbst dnrch seinen dicken
Winterrock drang. Es war, um wahnsinnig zu werden, zu fühlen, wie sie fror,
und niemand schien dies weiter zu bemerken als er! Alle konnten es mit an¬
sehen, nur er — nur er nicht!

War das nicht zum närrisch werden? Was ging es ihn an, daß sie
fror? Er hatte es sich hundertmal vorgesagt, und doch kam er sich wie ein
verworfnes Wesen vor, bloß weil er wagte, Geld zu besitzen, während die Not
an seiner Thür vorüberging. Welche Qual mußte im Reichtum liegen, wenn
man sie schon bei einer armseligen Leibrente so lebhaft fühlen konnte!

Er hatte seinen Abend so angenehm feiern wollen, allein, mit einer Flasche
Ivhannisbcrger und seiner Musik, Er hatte neue Noten mit nach Hanse ge¬
bracht, einen ganzen Arm voll, um sich hindnrchznwürgcn. Und nun mußte
das dazwischen kommen und seine Freude stören. Es war der Narr - - mir
der verwünschte Narr —, der die Schuld daran trug. Er hatte zu Herrn
Tobiasseu gesagt: Geh aus, gleichviel wohin, dn kannst vorgeben, du wärest
eingeladen, lauf durch die Straßen, geh in eine Restauration und iß einen
Bissen. Was schadet dir das? Und dann kannst dn ihnen die Wohnung über¬
lassei?, Spielsachen für die Kinder laufen, Zeug zu einem Kleide für das Mädchen
kaufen und etwas für die Frau. Du kannst dich außerhalb des Hauses aufhalten,
sodaß es wieder ist, als hätten sie ihr kleines Heim für sich allein, und als ob
alles wie früher wäre und kein Eindringling zu finden. Das könntest du thun.

In dieser Weise war es fortgegangen, bis Herr Tvbiasfen mit seinein
„Aha, ja" begann; er sagte es ärgerlich, denn er fühlte schon in den Gliedern,
daß, wie sehr er auch dagegen ankämpfie, doch der Narr ihn schließlich ge¬
fangen nehmen würde. Aha, ja, ich werde alles hingeben müssen, aha, ja . . .
Er war so erbittert, daß es in ihm kochte. Und was würde das Ende vom
Liede sein? Man würde merken, daß er ein Dummkopf sei. Man würde
alles annehmen; im Anfang mit überraschten Mienen, dankbar lächelnd; dann
würde es nach und nach zu einer angenehmen Gewohnheit werden, zu einem
gleichgiltigen Sichgefalleulasfeu; schließlich würde es zu wachsenden Forde-
rungen kommen. Und dann war man glücklich uuter dem Pantoffel, dem
Pantoffel der Wirtin. In Lund hatte ihn die Haushälterin geschwungen.
Der Skeptiker verzog das Gesicht, als hätte er Wermut getrunken.

Nein! Was ging es ihn an, wie ihr Weihnachtsabend verlaufen würde?
Konnte er allen Menschen helfen?

Er wollte sich seine Dummheiten aus dem Sinn schlagen. Er wollte
ausgehen und zu Mittag essen. Was war denn so ein Weihnachtsabend?
War es etwas, womit er zu thun hatte? Heiliger Abend? Nur für Kinder!


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[0622] Herrn Tobiassens Weihnachtsabend in diesen nackten Arm zwicken mußte, wie sie längs des Körpers hinkriechen mußte, unter den dünnen Kleidern die Haut gefrieren machen, wie sie sich in jede Pure schleichen mußte, sich schleichen dnrch Mark und Bein, sich schleichen bis hinab ans Herz — diese bittere Kälte, die selbst dnrch seinen dicken Winterrock drang. Es war, um wahnsinnig zu werden, zu fühlen, wie sie fror, und niemand schien dies weiter zu bemerken als er! Alle konnten es mit an¬ sehen, nur er — nur er nicht! War das nicht zum närrisch werden? Was ging es ihn an, daß sie fror? Er hatte es sich hundertmal vorgesagt, und doch kam er sich wie ein verworfnes Wesen vor, bloß weil er wagte, Geld zu besitzen, während die Not an seiner Thür vorüberging. Welche Qual mußte im Reichtum liegen, wenn man sie schon bei einer armseligen Leibrente so lebhaft fühlen konnte! Er hatte seinen Abend so angenehm feiern wollen, allein, mit einer Flasche Ivhannisbcrger und seiner Musik, Er hatte neue Noten mit nach Hanse ge¬ bracht, einen ganzen Arm voll, um sich hindnrchznwürgcn. Und nun mußte das dazwischen kommen und seine Freude stören. Es war der Narr - - mir der verwünschte Narr —, der die Schuld daran trug. Er hatte zu Herrn Tobiasseu gesagt: Geh aus, gleichviel wohin, dn kannst vorgeben, du wärest eingeladen, lauf durch die Straßen, geh in eine Restauration und iß einen Bissen. Was schadet dir das? Und dann kannst dn ihnen die Wohnung über¬ lassei?, Spielsachen für die Kinder laufen, Zeug zu einem Kleide für das Mädchen kaufen und etwas für die Frau. Du kannst dich außerhalb des Hauses aufhalten, sodaß es wieder ist, als hätten sie ihr kleines Heim für sich allein, und als ob alles wie früher wäre und kein Eindringling zu finden. Das könntest du thun. In dieser Weise war es fortgegangen, bis Herr Tvbiasfen mit seinein „Aha, ja" begann; er sagte es ärgerlich, denn er fühlte schon in den Gliedern, daß, wie sehr er auch dagegen ankämpfie, doch der Narr ihn schließlich ge¬ fangen nehmen würde. Aha, ja, ich werde alles hingeben müssen, aha, ja . . . Er war so erbittert, daß es in ihm kochte. Und was würde das Ende vom Liede sein? Man würde merken, daß er ein Dummkopf sei. Man würde alles annehmen; im Anfang mit überraschten Mienen, dankbar lächelnd; dann würde es nach und nach zu einer angenehmen Gewohnheit werden, zu einem gleichgiltigen Sichgefalleulasfeu; schließlich würde es zu wachsenden Forde- rungen kommen. Und dann war man glücklich uuter dem Pantoffel, dem Pantoffel der Wirtin. In Lund hatte ihn die Haushälterin geschwungen. Der Skeptiker verzog das Gesicht, als hätte er Wermut getrunken. Nein! Was ging es ihn an, wie ihr Weihnachtsabend verlaufen würde? Konnte er allen Menschen helfen? Er wollte sich seine Dummheiten aus dem Sinn schlagen. Er wollte ausgehen und zu Mittag essen. Was war denn so ein Weihnachtsabend? War es etwas, womit er zu thun hatte? Heiliger Abend? Nur für Kinder!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/622>, abgerufen am 23.07.2024.