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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Billige Wohnungen

schwachem Charaktere nur zu leicht der Versuchung unterliegen, sich dem
Wirtshanstreiben zuzuwenden, um das häusliche Elend uicht immer vor Augen
zu haben. Damit ist dann der wirtschaftliche und sittliche Ruin der gmizeu
Familie endgiltig besiegelt. Ganz andre Zustände werden sich in der Regel
da ausbilden, wo der Unbemittelte ein wenn miles bescheidenes, so doch räum¬
lich genügendes, gesundes und gemütliches Heim hat, wo er sich, von harter
Tagesarbeit zurückkehrend, mit seiner Familie behaglich fühlt, sodaß schon der
Gedanke an die Häuslichkeit die Last des Tages erleichtert. Die Liebe zur
Familie, Vertrauen und Dankbarkeit gegen öffentliche Einrichtungen, deren wohl¬
thätige Folgen zu unmittelbarem, lebhaftem Bewußtsein gelangen, werden
befestigt und damit die Grundpfeiler des Charakters: Fleiß, Sparsamkeit, Selbst-
schätzung wesentlich gekräftigt werden. Deshalb haben Staat wie Gemeinde,
abgesehen von allen sittlichen Erwägungen, ein gleich starkes Interesse daran,
dafür Sorge zu tragen, das; den ärmeren Bevvlkernngstreisen menschenwürdige
Wohnungen zu mäßigen, mit ihren Einkvmmenverhältnissen in Einklang stehen-
den Preisen beschafft werde". Dieses Interesse wird noch wesentlich gesteigert
durch einen nahe genug liegenden, aber bisher wohl kaum genug gewürdigten
Umstand, der für sich allein genügen müßte, der Frage über Beseitigung der
Wohnungsnot der unteren Klassen die allgemeinste, werkthätigste Teilnahme
zuzuwenden. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß schlechte
Wohnzustände den zerrüttendsten Einfluß ans die Gesundheit, namentlich der
Kinder äußern müssen. Liegt um der Gedanke uicht greifbar nahe, daß in
zahllosen Fällen Epidemien, die auf ihren, schämigen Vernichtnngsznge
alle, anch die wohlhabenden Klassen der Bevölkerung heimsuchen und in Mit¬
leidenschaft ziehen, ihren Ausgangspunkt in solchen elenden, entweder Krank¬
heiten unmittelbar erzeugenden oder Krankheitskeime, die an sich nicht ver¬
derblich sind, zu unheilvoller Entwicklung bringenden Wohnungen ge¬
nommen haben können?

Durchdrungen von der Wahrheit solcher Erwägungen, betrachtete es der
genannte Verein als seine nächste Aufgabe, die öffentliche Teilnahme für das
beabsichtigte Unternehmen zu gewinnen. Dies geschah mit Hilfe des in Weimar
verbreiterten Blattes, der Zeitung "Deutschland," deren Herausgeber in ent¬
gegenkommender und verständnisvoller Weise sein Blatt dem Verein zur Ver¬
fügung stellte. Es erschien eine Reihe von Aufsätze", die nach der allgemeinen
wie nach der besondern Seite die bestehenden, Abhilfe erheischenden Zustünde
eingehend besprachen und schließlich in der Mitteilung des Planes gipfelten,
mit dem mau die Beseitigung der Wohnungsnot herbeizuführen gedenke. Es
giebt ja, je nach den Umständen, verschiedne Wege, zum Ziele zu gelangen.
Da wo sich eine Verschmelzung der Interessen der Arbeitgeber und der Arbeiter
erzielen läßt, wo also namentlich eine dauernde Verbindung dieser beiden ans
Grund der Arbeitsverhältnisse ausführbar erscheint, ist es bei einiger Einsicht


Billige Wohnungen

schwachem Charaktere nur zu leicht der Versuchung unterliegen, sich dem
Wirtshanstreiben zuzuwenden, um das häusliche Elend uicht immer vor Augen
zu haben. Damit ist dann der wirtschaftliche und sittliche Ruin der gmizeu
Familie endgiltig besiegelt. Ganz andre Zustände werden sich in der Regel
da ausbilden, wo der Unbemittelte ein wenn miles bescheidenes, so doch räum¬
lich genügendes, gesundes und gemütliches Heim hat, wo er sich, von harter
Tagesarbeit zurückkehrend, mit seiner Familie behaglich fühlt, sodaß schon der
Gedanke an die Häuslichkeit die Last des Tages erleichtert. Die Liebe zur
Familie, Vertrauen und Dankbarkeit gegen öffentliche Einrichtungen, deren wohl¬
thätige Folgen zu unmittelbarem, lebhaftem Bewußtsein gelangen, werden
befestigt und damit die Grundpfeiler des Charakters: Fleiß, Sparsamkeit, Selbst-
schätzung wesentlich gekräftigt werden. Deshalb haben Staat wie Gemeinde,
abgesehen von allen sittlichen Erwägungen, ein gleich starkes Interesse daran,
dafür Sorge zu tragen, das; den ärmeren Bevvlkernngstreisen menschenwürdige
Wohnungen zu mäßigen, mit ihren Einkvmmenverhältnissen in Einklang stehen-
den Preisen beschafft werde». Dieses Interesse wird noch wesentlich gesteigert
durch einen nahe genug liegenden, aber bisher wohl kaum genug gewürdigten
Umstand, der für sich allein genügen müßte, der Frage über Beseitigung der
Wohnungsnot der unteren Klassen die allgemeinste, werkthätigste Teilnahme
zuzuwenden. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß schlechte
Wohnzustände den zerrüttendsten Einfluß ans die Gesundheit, namentlich der
Kinder äußern müssen. Liegt um der Gedanke uicht greifbar nahe, daß in
zahllosen Fällen Epidemien, die auf ihren, schämigen Vernichtnngsznge
alle, anch die wohlhabenden Klassen der Bevölkerung heimsuchen und in Mit¬
leidenschaft ziehen, ihren Ausgangspunkt in solchen elenden, entweder Krank¬
heiten unmittelbar erzeugenden oder Krankheitskeime, die an sich nicht ver¬
derblich sind, zu unheilvoller Entwicklung bringenden Wohnungen ge¬
nommen haben können?

Durchdrungen von der Wahrheit solcher Erwägungen, betrachtete es der
genannte Verein als seine nächste Aufgabe, die öffentliche Teilnahme für das
beabsichtigte Unternehmen zu gewinnen. Dies geschah mit Hilfe des in Weimar
verbreiterten Blattes, der Zeitung „Deutschland," deren Herausgeber in ent¬
gegenkommender und verständnisvoller Weise sein Blatt dem Verein zur Ver¬
fügung stellte. Es erschien eine Reihe von Aufsätze», die nach der allgemeinen
wie nach der besondern Seite die bestehenden, Abhilfe erheischenden Zustünde
eingehend besprachen und schließlich in der Mitteilung des Planes gipfelten,
mit dem mau die Beseitigung der Wohnungsnot herbeizuführen gedenke. Es
giebt ja, je nach den Umständen, verschiedne Wege, zum Ziele zu gelangen.
Da wo sich eine Verschmelzung der Interessen der Arbeitgeber und der Arbeiter
erzielen läßt, wo also namentlich eine dauernde Verbindung dieser beiden ans
Grund der Arbeitsverhältnisse ausführbar erscheint, ist es bei einiger Einsicht


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[0062] Billige Wohnungen schwachem Charaktere nur zu leicht der Versuchung unterliegen, sich dem Wirtshanstreiben zuzuwenden, um das häusliche Elend uicht immer vor Augen zu haben. Damit ist dann der wirtschaftliche und sittliche Ruin der gmizeu Familie endgiltig besiegelt. Ganz andre Zustände werden sich in der Regel da ausbilden, wo der Unbemittelte ein wenn miles bescheidenes, so doch räum¬ lich genügendes, gesundes und gemütliches Heim hat, wo er sich, von harter Tagesarbeit zurückkehrend, mit seiner Familie behaglich fühlt, sodaß schon der Gedanke an die Häuslichkeit die Last des Tages erleichtert. Die Liebe zur Familie, Vertrauen und Dankbarkeit gegen öffentliche Einrichtungen, deren wohl¬ thätige Folgen zu unmittelbarem, lebhaftem Bewußtsein gelangen, werden befestigt und damit die Grundpfeiler des Charakters: Fleiß, Sparsamkeit, Selbst- schätzung wesentlich gekräftigt werden. Deshalb haben Staat wie Gemeinde, abgesehen von allen sittlichen Erwägungen, ein gleich starkes Interesse daran, dafür Sorge zu tragen, das; den ärmeren Bevvlkernngstreisen menschenwürdige Wohnungen zu mäßigen, mit ihren Einkvmmenverhältnissen in Einklang stehen- den Preisen beschafft werde». Dieses Interesse wird noch wesentlich gesteigert durch einen nahe genug liegenden, aber bisher wohl kaum genug gewürdigten Umstand, der für sich allein genügen müßte, der Frage über Beseitigung der Wohnungsnot der unteren Klassen die allgemeinste, werkthätigste Teilnahme zuzuwenden. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß schlechte Wohnzustände den zerrüttendsten Einfluß ans die Gesundheit, namentlich der Kinder äußern müssen. Liegt um der Gedanke uicht greifbar nahe, daß in zahllosen Fällen Epidemien, die auf ihren, schämigen Vernichtnngsznge alle, anch die wohlhabenden Klassen der Bevölkerung heimsuchen und in Mit¬ leidenschaft ziehen, ihren Ausgangspunkt in solchen elenden, entweder Krank¬ heiten unmittelbar erzeugenden oder Krankheitskeime, die an sich nicht ver¬ derblich sind, zu unheilvoller Entwicklung bringenden Wohnungen ge¬ nommen haben können? Durchdrungen von der Wahrheit solcher Erwägungen, betrachtete es der genannte Verein als seine nächste Aufgabe, die öffentliche Teilnahme für das beabsichtigte Unternehmen zu gewinnen. Dies geschah mit Hilfe des in Weimar verbreiterten Blattes, der Zeitung „Deutschland," deren Herausgeber in ent¬ gegenkommender und verständnisvoller Weise sein Blatt dem Verein zur Ver¬ fügung stellte. Es erschien eine Reihe von Aufsätze», die nach der allgemeinen wie nach der besondern Seite die bestehenden, Abhilfe erheischenden Zustünde eingehend besprachen und schließlich in der Mitteilung des Planes gipfelten, mit dem mau die Beseitigung der Wohnungsnot herbeizuführen gedenke. Es giebt ja, je nach den Umständen, verschiedne Wege, zum Ziele zu gelangen. Da wo sich eine Verschmelzung der Interessen der Arbeitgeber und der Arbeiter erzielen läßt, wo also namentlich eine dauernde Verbindung dieser beiden ans Grund der Arbeitsverhältnisse ausführbar erscheint, ist es bei einiger Einsicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/62>, abgerufen am 23.07.2024.