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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Ivunots System der Philosophie

des denkenden Subjekts von den Objekten werden nun auseinandergesetzt, und
damit wird zu erweisen gesucht, daß jene Aufhebung der Wirklichkeit, die das
Denken zu stände bringt, nirgends ursprünglich ist. Nicht objektive Realität
zu schaffen denn ans nichts wird nichts --, sondern objektive Realität zu
bewahren, ist allein lösbare Aufgabe der Erkenntniswissenschaft, deren Aus¬
gangspunkt und Stufen zunächst einer kurzen historischen Kritik unterworfen
werden, und deren einzelne Felder: Wahrnehmungserkenntnis, Verstandeser-
kenntnis, Bcrnunftserkenntnis dann einer sorgfältigen, glücklich gegliederten
lind lebendig veranschaulichten Prüfung unterzogen werden.

Den Kreis der Wahrnehmnngserkemitnis eröffnen Raum und Zeit als
,.formale Bestandteile" der Wahrnehmung (eine nicht unglückliche Versinnlichung
dieser schwierigen Vorbedingungen der Wahrnehmungslehre), daran werden die
allgemeinen Bedingungen der Entstehung formaler Begriffe (unabhängige
Variation der materiellen und formalen Wahrnehmnngsbestandteile und Kon¬
stanz der letztern) und die Entwicklung der Grundbegriffe der Mathematik, als
der Wissenschaft der Größen, geknüpft. Merkwürdig ist hierbei die zutreffende
Betrachtung, die gelegentlich der Zahl als desjenigen mathematischen Begriffes,
der ans intensive Größe anwendbar ist, über die eigentliche Bedeutung der
psychophysischen Methode (die sogenannte ,,psychische Elle") angestellt wird. Die
Beziehungen zwischen Raum und Zensoren führe" ans qualitative Veränderung
"ut Bewegung, diese uns die Sonderung des ursprünglich ungetrennten Wahr¬
nehmungsinhaltes in verschiedne zeitlich-räumliche Objekte, jene ans die Selbst¬
unterscheidung des Subjekts von deu Objekten. Daß durch die Wahrnehmungs¬
formen eine objektive Erkenntnis (sei sie nnn unmittelbar, anschaulich, oder
mittelbar, begrifflich) gesichert sei, ist Ziel und Ergebnis dieser ganzen Aus¬
führungen.

DaS Gebiet der Verstandeserkenntnis hebt von der Scheidung innerer
und äußerer Erfahrung an, mittels der Sonderung des Gefühls, von dem
Vorstellungsarten der Wahrnehmung. Die Denkgesetze, als Anschannngs- und
Begriffsgesetze, vermitteln die Gliederung und Einteilung des Auschauuugs-
und Begriffsganzen, wirksam unterstützt durch die Bordelle der symbolischen
Darstellungen der Begriffe in deu Worten der Sprache, sowie in den Zahlensym¬
bolen, den Größen- und Operativnssymbvlen der Mathematik. Die Unmittelbarkeit
und infolge dessen die llnerläßlichkeit der Hypvthesenbildung bei allen Gegen¬
ständen äußerer Erfahrung wird in einen notwendigen und charakteristischen
Gegensatz gebracht gegen die Bedeutung der Hypothese im Gebiet innerer Er¬
fahrung, wo sie sich höchstens ans die allgemeinen Voraussetzungen, nicht aber
ans den uns im Innersten ungehörigen thatsächliche" Inhalt erstrecken kann.
Eine Probe tara"f ist der vielfache Erfolg der physikalische" Hypothese" im
Gegensatz z" den, der psychologischen. Einer bodenlosen Hypothesenbildnng
überhaupt zu steuern, werden aus der Grundlage der Denkgesetze die Grund-


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des denkenden Subjekts von den Objekten werden nun auseinandergesetzt, und
damit wird zu erweisen gesucht, daß jene Aufhebung der Wirklichkeit, die das
Denken zu stände bringt, nirgends ursprünglich ist. Nicht objektive Realität
zu schaffen denn ans nichts wird nichts —, sondern objektive Realität zu
bewahren, ist allein lösbare Aufgabe der Erkenntniswissenschaft, deren Aus¬
gangspunkt und Stufen zunächst einer kurzen historischen Kritik unterworfen
werden, und deren einzelne Felder: Wahrnehmungserkenntnis, Verstandeser-
kenntnis, Bcrnunftserkenntnis dann einer sorgfältigen, glücklich gegliederten
lind lebendig veranschaulichten Prüfung unterzogen werden.

Den Kreis der Wahrnehmnngserkemitnis eröffnen Raum und Zeit als
,.formale Bestandteile" der Wahrnehmung (eine nicht unglückliche Versinnlichung
dieser schwierigen Vorbedingungen der Wahrnehmungslehre), daran werden die
allgemeinen Bedingungen der Entstehung formaler Begriffe (unabhängige
Variation der materiellen und formalen Wahrnehmnngsbestandteile und Kon¬
stanz der letztern) und die Entwicklung der Grundbegriffe der Mathematik, als
der Wissenschaft der Größen, geknüpft. Merkwürdig ist hierbei die zutreffende
Betrachtung, die gelegentlich der Zahl als desjenigen mathematischen Begriffes,
der ans intensive Größe anwendbar ist, über die eigentliche Bedeutung der
psychophysischen Methode (die sogenannte ,,psychische Elle") angestellt wird. Die
Beziehungen zwischen Raum und Zensoren führe» ans qualitative Veränderung
»ut Bewegung, diese uns die Sonderung des ursprünglich ungetrennten Wahr¬
nehmungsinhaltes in verschiedne zeitlich-räumliche Objekte, jene ans die Selbst¬
unterscheidung des Subjekts von deu Objekten. Daß durch die Wahrnehmungs¬
formen eine objektive Erkenntnis (sei sie nnn unmittelbar, anschaulich, oder
mittelbar, begrifflich) gesichert sei, ist Ziel und Ergebnis dieser ganzen Aus¬
führungen.

DaS Gebiet der Verstandeserkenntnis hebt von der Scheidung innerer
und äußerer Erfahrung an, mittels der Sonderung des Gefühls, von dem
Vorstellungsarten der Wahrnehmung. Die Denkgesetze, als Anschannngs- und
Begriffsgesetze, vermitteln die Gliederung und Einteilung des Auschauuugs-
und Begriffsganzen, wirksam unterstützt durch die Bordelle der symbolischen
Darstellungen der Begriffe in deu Worten der Sprache, sowie in den Zahlensym¬
bolen, den Größen- und Operativnssymbvlen der Mathematik. Die Unmittelbarkeit
und infolge dessen die llnerläßlichkeit der Hypvthesenbildung bei allen Gegen¬
ständen äußerer Erfahrung wird in einen notwendigen und charakteristischen
Gegensatz gebracht gegen die Bedeutung der Hypothese im Gebiet innerer Er¬
fahrung, wo sie sich höchstens ans die allgemeinen Voraussetzungen, nicht aber
ans den uns im Innersten ungehörigen thatsächliche» Inhalt erstrecken kann.
Eine Probe tara»f ist der vielfache Erfolg der physikalische» Hypothese» im
Gegensatz z» den, der psychologischen. Einer bodenlosen Hypothesenbildnng
überhaupt zu steuern, werden aus der Grundlage der Denkgesetze die Grund-


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[0605] Ivunots System der Philosophie des denkenden Subjekts von den Objekten werden nun auseinandergesetzt, und damit wird zu erweisen gesucht, daß jene Aufhebung der Wirklichkeit, die das Denken zu stände bringt, nirgends ursprünglich ist. Nicht objektive Realität zu schaffen denn ans nichts wird nichts —, sondern objektive Realität zu bewahren, ist allein lösbare Aufgabe der Erkenntniswissenschaft, deren Aus¬ gangspunkt und Stufen zunächst einer kurzen historischen Kritik unterworfen werden, und deren einzelne Felder: Wahrnehmungserkenntnis, Verstandeser- kenntnis, Bcrnunftserkenntnis dann einer sorgfältigen, glücklich gegliederten lind lebendig veranschaulichten Prüfung unterzogen werden. Den Kreis der Wahrnehmnngserkemitnis eröffnen Raum und Zeit als ,.formale Bestandteile" der Wahrnehmung (eine nicht unglückliche Versinnlichung dieser schwierigen Vorbedingungen der Wahrnehmungslehre), daran werden die allgemeinen Bedingungen der Entstehung formaler Begriffe (unabhängige Variation der materiellen und formalen Wahrnehmnngsbestandteile und Kon¬ stanz der letztern) und die Entwicklung der Grundbegriffe der Mathematik, als der Wissenschaft der Größen, geknüpft. Merkwürdig ist hierbei die zutreffende Betrachtung, die gelegentlich der Zahl als desjenigen mathematischen Begriffes, der ans intensive Größe anwendbar ist, über die eigentliche Bedeutung der psychophysischen Methode (die sogenannte ,,psychische Elle") angestellt wird. Die Beziehungen zwischen Raum und Zensoren führe» ans qualitative Veränderung »ut Bewegung, diese uns die Sonderung des ursprünglich ungetrennten Wahr¬ nehmungsinhaltes in verschiedne zeitlich-räumliche Objekte, jene ans die Selbst¬ unterscheidung des Subjekts von deu Objekten. Daß durch die Wahrnehmungs¬ formen eine objektive Erkenntnis (sei sie nnn unmittelbar, anschaulich, oder mittelbar, begrifflich) gesichert sei, ist Ziel und Ergebnis dieser ganzen Aus¬ führungen. DaS Gebiet der Verstandeserkenntnis hebt von der Scheidung innerer und äußerer Erfahrung an, mittels der Sonderung des Gefühls, von dem Vorstellungsarten der Wahrnehmung. Die Denkgesetze, als Anschannngs- und Begriffsgesetze, vermitteln die Gliederung und Einteilung des Auschauuugs- und Begriffsganzen, wirksam unterstützt durch die Bordelle der symbolischen Darstellungen der Begriffe in deu Worten der Sprache, sowie in den Zahlensym¬ bolen, den Größen- und Operativnssymbvlen der Mathematik. Die Unmittelbarkeit und infolge dessen die llnerläßlichkeit der Hypvthesenbildung bei allen Gegen¬ ständen äußerer Erfahrung wird in einen notwendigen und charakteristischen Gegensatz gebracht gegen die Bedeutung der Hypothese im Gebiet innerer Er¬ fahrung, wo sie sich höchstens ans die allgemeinen Voraussetzungen, nicht aber ans den uns im Innersten ungehörigen thatsächliche» Inhalt erstrecken kann. Eine Probe tara»f ist der vielfache Erfolg der physikalische» Hypothese» im Gegensatz z» den, der psychologischen. Einer bodenlosen Hypothesenbildnng überhaupt zu steuern, werden aus der Grundlage der Denkgesetze die Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/605>, abgerufen am 25.08.2024.