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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf dos preußischen Oolksschulgesctzos

Schulmeister als Dorfbeamten ansehe" -- waS er ja auch thatsächlich wird.
Der Schulvorstand erhält Kenntnis von dem Verhalten des Lehrers, das
bedeutet in der Wirklichkeit, die Bauern erhalten das Recht, zwar nicht den
Lehrer zu strafen, aber zu schimpfen und als einen abhängigen Mann anzu¬
sehen und zu behandeln. Und wenn der Schnlvvrstand mit die Erlaubnis
zur Übernahme von Nebenämtern z" geben hat, so bedeutet daS in Wirklich¬
keit: der Schnlvorstand gestattet jede Nebenbeschäftigung unter der Voraus¬
setzung, daß der Lehrer Dorfschreiberei besorgt. Gegenwärtig sind die
Regierungen mit gutem Recht bemüht, den Lehrern die Dorfschreiberei zu ent¬
winden, denn sie werden dadurch in ihrer persönlichen und amtlichen Stellung
geschädigt; nach dem neuen Entwürfe wird den bisherigen Bemühungen schon
dadurch entgegengearbeitet, daß der Lehrer den Wünschen des Schulzen und
der Gemeinde keinen Widerstand entgegensetzen kann.

Die Lehrer und Lehrerinnen werden von der Schulaufsichtsbehörde an¬
gestellt. Alle bisherigen Rechte zur Ernennung und Anstellung werden auf¬
gehoben. Also das Patronat der Städte und einzelnen Personen, die den
großen Opfern für die Schule gegenüber wenigstens das Recht der Berufung
der Lehrer hatten, fällt weg. Die Regierung besetzt "nach Anhörung" der
betreffenden Gemeindevertretung. Dem Gemeindevorstande steht das Recht zu,
der Aufsichtsbehörde "Vorschläge" zu machen. Der Gemeindevorstand ist ver¬
pflichtet, vorher den Schnlvorstand zu "hören" und dessen gutachtliche Äuße¬
rung seinein Vorschlage beizufügen. Diese Vorschläge sind von der Behörde
zu "berücksichtigen." Fällt die Entscheidung der Behörde anders aus, so sind
Gründe anzugeben. Das heißt: der Schulvorstaud empfiehlt A, der Gemeinde¬
vorstand schlägt B vor, und die Regierung ernennt C (natürlich nnter Angabe
"erheblicher" Gründe, die ja nicht schwer zu haben sind). Wir würden nichts
dawider haben, wenn das Gesetz reine Bahn machte und einfach bestimmte:
Der Staat besoldet die Lehrer und stellt sie an! Wozu aber solche Para¬
graphen, für die die Bezeichnung Kautschuk noch viel zu wenig ist. Man soll
nicht die Miene des Wohlthäters macheu nud taube Nüsse verschenken. Soll
es eine autokratische Regierung geben, dann fort mit jeuer Scheinverwaltnng
lind jenen Körperschaften, die doch nur Hampelmänner sind; soll es aber eine
Selbstverwaltuttg in Schulsachen geben, so müssen auch Rechte und Pflichten
klar umschrieben sein.

In einem Punkte nimmt es der Entwurf mit der Selbständigkeit der
Gemeinden ernst, in Geldsachen. Er bringt sogar den Gemeinden ein Maß
von Vertrauen entgegen, das wir nicht teilen können.

Das Diensteinkommcn des Lehrers besteht aus einem festen Anteile, der
nach den örtlichen Verhältnissen bestimmt wird, und in Altersznlagen, wozu
noch ans dem Lande die freie Dienstwohnung kommt. Der^Grundgehalt wird
von der Aufsichtsbehörde noch Anhörung des Gemeindevorstandes festgesetzt.


Der Entwurf dos preußischen Oolksschulgesctzos

Schulmeister als Dorfbeamten ansehe» — waS er ja auch thatsächlich wird.
Der Schulvorstand erhält Kenntnis von dem Verhalten des Lehrers, das
bedeutet in der Wirklichkeit, die Bauern erhalten das Recht, zwar nicht den
Lehrer zu strafen, aber zu schimpfen und als einen abhängigen Mann anzu¬
sehen und zu behandeln. Und wenn der Schnlvvrstand mit die Erlaubnis
zur Übernahme von Nebenämtern z» geben hat, so bedeutet daS in Wirklich¬
keit: der Schnlvorstand gestattet jede Nebenbeschäftigung unter der Voraus¬
setzung, daß der Lehrer Dorfschreiberei besorgt. Gegenwärtig sind die
Regierungen mit gutem Recht bemüht, den Lehrern die Dorfschreiberei zu ent¬
winden, denn sie werden dadurch in ihrer persönlichen und amtlichen Stellung
geschädigt; nach dem neuen Entwürfe wird den bisherigen Bemühungen schon
dadurch entgegengearbeitet, daß der Lehrer den Wünschen des Schulzen und
der Gemeinde keinen Widerstand entgegensetzen kann.

Die Lehrer und Lehrerinnen werden von der Schulaufsichtsbehörde an¬
gestellt. Alle bisherigen Rechte zur Ernennung und Anstellung werden auf¬
gehoben. Also das Patronat der Städte und einzelnen Personen, die den
großen Opfern für die Schule gegenüber wenigstens das Recht der Berufung
der Lehrer hatten, fällt weg. Die Regierung besetzt „nach Anhörung" der
betreffenden Gemeindevertretung. Dem Gemeindevorstande steht das Recht zu,
der Aufsichtsbehörde „Vorschläge" zu machen. Der Gemeindevorstand ist ver¬
pflichtet, vorher den Schnlvorstand zu „hören" und dessen gutachtliche Äuße¬
rung seinein Vorschlage beizufügen. Diese Vorschläge sind von der Behörde
zu „berücksichtigen." Fällt die Entscheidung der Behörde anders aus, so sind
Gründe anzugeben. Das heißt: der Schulvorstaud empfiehlt A, der Gemeinde¬
vorstand schlägt B vor, und die Regierung ernennt C (natürlich nnter Angabe
„erheblicher" Gründe, die ja nicht schwer zu haben sind). Wir würden nichts
dawider haben, wenn das Gesetz reine Bahn machte und einfach bestimmte:
Der Staat besoldet die Lehrer und stellt sie an! Wozu aber solche Para¬
graphen, für die die Bezeichnung Kautschuk noch viel zu wenig ist. Man soll
nicht die Miene des Wohlthäters macheu nud taube Nüsse verschenken. Soll
es eine autokratische Regierung geben, dann fort mit jeuer Scheinverwaltnng
lind jenen Körperschaften, die doch nur Hampelmänner sind; soll es aber eine
Selbstverwaltuttg in Schulsachen geben, so müssen auch Rechte und Pflichten
klar umschrieben sein.

In einem Punkte nimmt es der Entwurf mit der Selbständigkeit der
Gemeinden ernst, in Geldsachen. Er bringt sogar den Gemeinden ein Maß
von Vertrauen entgegen, das wir nicht teilen können.

Das Diensteinkommcn des Lehrers besteht aus einem festen Anteile, der
nach den örtlichen Verhältnissen bestimmt wird, und in Altersznlagen, wozu
noch ans dem Lande die freie Dienstwohnung kommt. Der^Grundgehalt wird
von der Aufsichtsbehörde noch Anhörung des Gemeindevorstandes festgesetzt.


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[0597] Der Entwurf dos preußischen Oolksschulgesctzos Schulmeister als Dorfbeamten ansehe» — waS er ja auch thatsächlich wird. Der Schulvorstand erhält Kenntnis von dem Verhalten des Lehrers, das bedeutet in der Wirklichkeit, die Bauern erhalten das Recht, zwar nicht den Lehrer zu strafen, aber zu schimpfen und als einen abhängigen Mann anzu¬ sehen und zu behandeln. Und wenn der Schnlvvrstand mit die Erlaubnis zur Übernahme von Nebenämtern z» geben hat, so bedeutet daS in Wirklich¬ keit: der Schnlvorstand gestattet jede Nebenbeschäftigung unter der Voraus¬ setzung, daß der Lehrer Dorfschreiberei besorgt. Gegenwärtig sind die Regierungen mit gutem Recht bemüht, den Lehrern die Dorfschreiberei zu ent¬ winden, denn sie werden dadurch in ihrer persönlichen und amtlichen Stellung geschädigt; nach dem neuen Entwürfe wird den bisherigen Bemühungen schon dadurch entgegengearbeitet, daß der Lehrer den Wünschen des Schulzen und der Gemeinde keinen Widerstand entgegensetzen kann. Die Lehrer und Lehrerinnen werden von der Schulaufsichtsbehörde an¬ gestellt. Alle bisherigen Rechte zur Ernennung und Anstellung werden auf¬ gehoben. Also das Patronat der Städte und einzelnen Personen, die den großen Opfern für die Schule gegenüber wenigstens das Recht der Berufung der Lehrer hatten, fällt weg. Die Regierung besetzt „nach Anhörung" der betreffenden Gemeindevertretung. Dem Gemeindevorstande steht das Recht zu, der Aufsichtsbehörde „Vorschläge" zu machen. Der Gemeindevorstand ist ver¬ pflichtet, vorher den Schnlvorstand zu „hören" und dessen gutachtliche Äuße¬ rung seinein Vorschlage beizufügen. Diese Vorschläge sind von der Behörde zu „berücksichtigen." Fällt die Entscheidung der Behörde anders aus, so sind Gründe anzugeben. Das heißt: der Schulvorstaud empfiehlt A, der Gemeinde¬ vorstand schlägt B vor, und die Regierung ernennt C (natürlich nnter Angabe „erheblicher" Gründe, die ja nicht schwer zu haben sind). Wir würden nichts dawider haben, wenn das Gesetz reine Bahn machte und einfach bestimmte: Der Staat besoldet die Lehrer und stellt sie an! Wozu aber solche Para¬ graphen, für die die Bezeichnung Kautschuk noch viel zu wenig ist. Man soll nicht die Miene des Wohlthäters macheu nud taube Nüsse verschenken. Soll es eine autokratische Regierung geben, dann fort mit jeuer Scheinverwaltnng lind jenen Körperschaften, die doch nur Hampelmänner sind; soll es aber eine Selbstverwaltuttg in Schulsachen geben, so müssen auch Rechte und Pflichten klar umschrieben sein. In einem Punkte nimmt es der Entwurf mit der Selbständigkeit der Gemeinden ernst, in Geldsachen. Er bringt sogar den Gemeinden ein Maß von Vertrauen entgegen, das wir nicht teilen können. Das Diensteinkommcn des Lehrers besteht aus einem festen Anteile, der nach den örtlichen Verhältnissen bestimmt wird, und in Altersznlagen, wozu noch ans dem Lande die freie Dienstwohnung kommt. Der^Grundgehalt wird von der Aufsichtsbehörde noch Anhörung des Gemeindevorstandes festgesetzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/597>, abgerufen am 23.07.2024.