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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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sinnnng; das unselige Wort war gesprochen -- wie ein Wahnsinniger schrie
ich ans -- wie ein vom Blitz getrvffner stürzte ich nieder.

Madame Flötenspiel kniete nieder zu mir, der sich am Boden wand wie
ein Verzweifelter. Beruhige dich doch, armer Schelm, sagte sie weinend aus
Mitleid mit mir; hast dn das Mädchen lieb und ist sie gut, so heirate sie
doch; du weißt ja, was ich besitze, ist dein. Beruhige dich doch nur. Ich
will ja weiter nichts von dir, als uur manchmal dich sehen. Beruhige dich
doch nur, armer Schelm! Beruhige dich doch nnr!

Ich hatte nnr Sinn sür meinen Schmerz. Fort rannte ich.

Den nächsten Sonnabend abends war ich unter den Buden; es zeigte sich
keine Sklavin, mich zu Sonne des Lebens zu führen. Ich lief an das Härtelsche
Palais; es war und blieb verschlossen. Ich mietete ein Zimmer in der Nähe.
Ich wurde ein Ritter Tvggenlmrg. Herrn Entenfraß, Madame Flötenspiel
hatte ich vergessen; Tag und Nacht stand ich lauschend an meinem Fenster
oder rannte wie wahnsinnig nnr das Palais herum. Vergebens; es öffnete
sich nur nie wieder. Und nnn frage ich euch, hatte ich weniger Grund als
ihr, nnter die Litteraten zu gehen?

So beschloß der dritte Litteratns mit einem tiefen Seufzer seine Er¬
zählung.

Fortsetzung
der Liebesgrschichte: Zu stille Liebe

Während der letzten Worte des dritten Litteraten war ein Gast herein¬
getreten, den ich um diese Zeit hier uicht erwartete. Es war Herr Jammer¬
degen; mit ihm kam eine bleiche, kranke Mannsgestalt. Beim Anblick deo
Bleichen fuhr mirs wie ein Schwert durch meine Seele. Diesem also konnte
Fides mich aufopfern? Und warum? Weil er unglücklicher schien als ich?
So war es nur das Erbarmen eines Engels gewesen, was ich für Liebe hielt,
lind dies Erbarmen wandte sich von mir, da es einen Bedürftigern fand.
Gott im Himmel weiß es, daß mich uicht reizt, was tausend andre verführen
kann, Geld, Ruhm, Wollust, Macht; was ich schon als Kind ersehnt, was
noch heute mein heißer, alleinziger Wunsch auf dieser Erde ist, ein Herz, un¬
bedingt nur hingegeben, wie ich ihm, das also hatte ich verloren oder -- nie
besessen. Freilich hatte ich ja nie ein Wort davon zu ihr gesprochen. Hatten
Nur denn aber nicht ans jenes Kindes Lippen den Verlobungskuß geküßt?
Hatte mein Auge nicht durch das Auge des Kindes, nicht mein Mund durch
den Mund des Kindes um sie geworben, ihr Auge, ihr Mund ans demselben
Wege mir das beseligende Ja gesandt?

Herr Jammerdegen nahm neben nur Platz, sein Begleiter mir gegenüber.
Die drei Litteraten sprachen von den Hoffnungen, die durch jene Gerüchte in
ihnen erweckt waren, andre sprachen andres; ich fuhr fort in meinem Selbst¬
gespräch. Herr Jammerdegen, der bis jetzt nach seiner Weise auf dem untersten


sinnnng; das unselige Wort war gesprochen — wie ein Wahnsinniger schrie
ich ans — wie ein vom Blitz getrvffner stürzte ich nieder.

Madame Flötenspiel kniete nieder zu mir, der sich am Boden wand wie
ein Verzweifelter. Beruhige dich doch, armer Schelm, sagte sie weinend aus
Mitleid mit mir; hast dn das Mädchen lieb und ist sie gut, so heirate sie
doch; du weißt ja, was ich besitze, ist dein. Beruhige dich doch nur. Ich
will ja weiter nichts von dir, als uur manchmal dich sehen. Beruhige dich
doch nur, armer Schelm! Beruhige dich doch nnr!

Ich hatte nnr Sinn sür meinen Schmerz. Fort rannte ich.

Den nächsten Sonnabend abends war ich unter den Buden; es zeigte sich
keine Sklavin, mich zu Sonne des Lebens zu führen. Ich lief an das Härtelsche
Palais; es war und blieb verschlossen. Ich mietete ein Zimmer in der Nähe.
Ich wurde ein Ritter Tvggenlmrg. Herrn Entenfraß, Madame Flötenspiel
hatte ich vergessen; Tag und Nacht stand ich lauschend an meinem Fenster
oder rannte wie wahnsinnig nnr das Palais herum. Vergebens; es öffnete
sich nur nie wieder. Und nnn frage ich euch, hatte ich weniger Grund als
ihr, nnter die Litteraten zu gehen?

So beschloß der dritte Litteratns mit einem tiefen Seufzer seine Er¬
zählung.

Fortsetzung
der Liebesgrschichte: Zu stille Liebe

Während der letzten Worte des dritten Litteraten war ein Gast herein¬
getreten, den ich um diese Zeit hier uicht erwartete. Es war Herr Jammer¬
degen; mit ihm kam eine bleiche, kranke Mannsgestalt. Beim Anblick deo
Bleichen fuhr mirs wie ein Schwert durch meine Seele. Diesem also konnte
Fides mich aufopfern? Und warum? Weil er unglücklicher schien als ich?
So war es nur das Erbarmen eines Engels gewesen, was ich für Liebe hielt,
lind dies Erbarmen wandte sich von mir, da es einen Bedürftigern fand.
Gott im Himmel weiß es, daß mich uicht reizt, was tausend andre verführen
kann, Geld, Ruhm, Wollust, Macht; was ich schon als Kind ersehnt, was
noch heute mein heißer, alleinziger Wunsch auf dieser Erde ist, ein Herz, un¬
bedingt nur hingegeben, wie ich ihm, das also hatte ich verloren oder — nie
besessen. Freilich hatte ich ja nie ein Wort davon zu ihr gesprochen. Hatten
Nur denn aber nicht ans jenes Kindes Lippen den Verlobungskuß geküßt?
Hatte mein Auge nicht durch das Auge des Kindes, nicht mein Mund durch
den Mund des Kindes um sie geworben, ihr Auge, ihr Mund ans demselben
Wege mir das beseligende Ja gesandt?

Herr Jammerdegen nahm neben nur Platz, sein Begleiter mir gegenüber.
Die drei Litteraten sprachen von den Hoffnungen, die durch jene Gerüchte in
ihnen erweckt waren, andre sprachen andres; ich fuhr fort in meinem Selbst¬
gespräch. Herr Jammerdegen, der bis jetzt nach seiner Weise auf dem untersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/583>, abgerufen am 23.07.2024.