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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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schönste Schlafzimmer, das man sich denken kann. So sehr wir eilten, so lange
währte es, bis wir es erreichten, weil wir uns bei jedem Schritte küssen
mußten. Das Lager war weich, Wolken von Wohlgerüchen umschwommen es;
von ferne klang das Saitenspiel der Sklavinnen und süße Wettgesänge, da¬
zwischen säuselte das Klingen der Wassertropfen auf dem silbernen Becken
vom Saale her.

Mein Glück war zu groß, als daß es Hütte dauern können. Und von
seinem höchsten Gipfel mußte ich fallen hinab in die Tiefe des Harms. An
demselben Tage, an dessen Morgen die teuerste Hand das Dekret des Sultaus
mir übergab, mittelst dessen ich zum Paschn von drei Rvßschwcisen ernannt
war, an demselben Tage verlor ich Geberin und Gabe. Ach! sie ahnte es
wohl! Ehe ich von ihr ging, umfing sie mich so innig, als wollte sie mich
erdrücken, und biß mir das Stück aus der Oberlippe, weswegen ich den Schncmz-
bart tragen muß.

Noch desselben Tages führte mich mein Weg an dem Hause des Herrn
Nauplius vorbei. Ich sah mehrere schwarzgekleidete Männer ins Haus treten;
die Erinnerung an die süßeste Nacht, denn jede letzte war die süßeste, beschäftigte
mich so, daß mir nicht einfiel, der Todesfall, den die Anwesenheit dieser
Schwarzgekleideten verkündete, könnte die Familie betroffen haben, der ich so
viel Dank schuldete. Daran wurde ich erst erinnert, da Madame Flötenspiel
am Fenster erschien. So wie sie mich sah, öffnete sie das Fenster und sagte-
Ich sehe wohl, daß Sie wenig Zeit mehr für mich haben; bedenken Sie aber,
wie sehr ich jetzt eines Freundes bedarf, so schenken Sie mir doch vielleicht
den kurzen Augenblick, um den ich Sie bitte.

Sie sprach diese Worte mit dem Ausdruck unverkennbaren Schmerzes; ich
sah nun erst, wie unrecht es war, wie undankbar, eine solche Wohlthäterin so
ganz zu vernachlässigen, wie ich mir vorwerfen mußte, gegen Madame Flöten¬
spiel gethan zu haben. Und mit dem festen Vorsätze, was ich versäumt hatte,
nachzuholen, insoweit es geschehen könne, ohne Sonne des Lebens Rechte uns
mich zu kränken, ging ich hinein.

Madame Flötenspiel führte mich schweigend an die Leiche des Herrn
Nauplius und ebenso wieder zurück. Er war mir ein Vater, sagte sie, und
ihre verweinten Augen straften diese Worte nicht Lügen. Dennoch gilt, fuhr
sie fort, mein Kummer nicht ihm allein; die Hälfte meines Kummers gehört
einer Hoffnung an, die ich zugleich mit meinem Gatten begraben muß!

So sprach Madame Flötenspiel, und ihre krampfhaft aufzuckende Brust
wiederholte das Gesprochne. Was sollte ich entgegnen? Ich verstand nur
zu gut, was sie meinte. Und hätte ichs bei jener Äußerung nicht verstanden,
so mußte das, was folgte, mir das Verständnis eröffnen. Sie sah mich einige
Augenblicke ernsthaft um, dann, wie sie sah, daß sie mich traurig gemacht hatte,
mühte sie sich, in das launige Wesen zu fallen, das sie so gut kleidete. Sag


schönste Schlafzimmer, das man sich denken kann. So sehr wir eilten, so lange
währte es, bis wir es erreichten, weil wir uns bei jedem Schritte küssen
mußten. Das Lager war weich, Wolken von Wohlgerüchen umschwommen es;
von ferne klang das Saitenspiel der Sklavinnen und süße Wettgesänge, da¬
zwischen säuselte das Klingen der Wassertropfen auf dem silbernen Becken
vom Saale her.

Mein Glück war zu groß, als daß es Hütte dauern können. Und von
seinem höchsten Gipfel mußte ich fallen hinab in die Tiefe des Harms. An
demselben Tage, an dessen Morgen die teuerste Hand das Dekret des Sultaus
mir übergab, mittelst dessen ich zum Paschn von drei Rvßschwcisen ernannt
war, an demselben Tage verlor ich Geberin und Gabe. Ach! sie ahnte es
wohl! Ehe ich von ihr ging, umfing sie mich so innig, als wollte sie mich
erdrücken, und biß mir das Stück aus der Oberlippe, weswegen ich den Schncmz-
bart tragen muß.

Noch desselben Tages führte mich mein Weg an dem Hause des Herrn
Nauplius vorbei. Ich sah mehrere schwarzgekleidete Männer ins Haus treten;
die Erinnerung an die süßeste Nacht, denn jede letzte war die süßeste, beschäftigte
mich so, daß mir nicht einfiel, der Todesfall, den die Anwesenheit dieser
Schwarzgekleideten verkündete, könnte die Familie betroffen haben, der ich so
viel Dank schuldete. Daran wurde ich erst erinnert, da Madame Flötenspiel
am Fenster erschien. So wie sie mich sah, öffnete sie das Fenster und sagte-
Ich sehe wohl, daß Sie wenig Zeit mehr für mich haben; bedenken Sie aber,
wie sehr ich jetzt eines Freundes bedarf, so schenken Sie mir doch vielleicht
den kurzen Augenblick, um den ich Sie bitte.

Sie sprach diese Worte mit dem Ausdruck unverkennbaren Schmerzes; ich
sah nun erst, wie unrecht es war, wie undankbar, eine solche Wohlthäterin so
ganz zu vernachlässigen, wie ich mir vorwerfen mußte, gegen Madame Flöten¬
spiel gethan zu haben. Und mit dem festen Vorsätze, was ich versäumt hatte,
nachzuholen, insoweit es geschehen könne, ohne Sonne des Lebens Rechte uns
mich zu kränken, ging ich hinein.

Madame Flötenspiel führte mich schweigend an die Leiche des Herrn
Nauplius und ebenso wieder zurück. Er war mir ein Vater, sagte sie, und
ihre verweinten Augen straften diese Worte nicht Lügen. Dennoch gilt, fuhr
sie fort, mein Kummer nicht ihm allein; die Hälfte meines Kummers gehört
einer Hoffnung an, die ich zugleich mit meinem Gatten begraben muß!

So sprach Madame Flötenspiel, und ihre krampfhaft aufzuckende Brust
wiederholte das Gesprochne. Was sollte ich entgegnen? Ich verstand nur
zu gut, was sie meinte. Und hätte ichs bei jener Äußerung nicht verstanden,
so mußte das, was folgte, mir das Verständnis eröffnen. Sie sah mich einige
Augenblicke ernsthaft um, dann, wie sie sah, daß sie mich traurig gemacht hatte,
mühte sie sich, in das launige Wesen zu fallen, das sie so gut kleidete. Sag


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[0581] schönste Schlafzimmer, das man sich denken kann. So sehr wir eilten, so lange währte es, bis wir es erreichten, weil wir uns bei jedem Schritte küssen mußten. Das Lager war weich, Wolken von Wohlgerüchen umschwommen es; von ferne klang das Saitenspiel der Sklavinnen und süße Wettgesänge, da¬ zwischen säuselte das Klingen der Wassertropfen auf dem silbernen Becken vom Saale her. Mein Glück war zu groß, als daß es Hütte dauern können. Und von seinem höchsten Gipfel mußte ich fallen hinab in die Tiefe des Harms. An demselben Tage, an dessen Morgen die teuerste Hand das Dekret des Sultaus mir übergab, mittelst dessen ich zum Paschn von drei Rvßschwcisen ernannt war, an demselben Tage verlor ich Geberin und Gabe. Ach! sie ahnte es wohl! Ehe ich von ihr ging, umfing sie mich so innig, als wollte sie mich erdrücken, und biß mir das Stück aus der Oberlippe, weswegen ich den Schncmz- bart tragen muß. Noch desselben Tages führte mich mein Weg an dem Hause des Herrn Nauplius vorbei. Ich sah mehrere schwarzgekleidete Männer ins Haus treten; die Erinnerung an die süßeste Nacht, denn jede letzte war die süßeste, beschäftigte mich so, daß mir nicht einfiel, der Todesfall, den die Anwesenheit dieser Schwarzgekleideten verkündete, könnte die Familie betroffen haben, der ich so viel Dank schuldete. Daran wurde ich erst erinnert, da Madame Flötenspiel am Fenster erschien. So wie sie mich sah, öffnete sie das Fenster und sagte- Ich sehe wohl, daß Sie wenig Zeit mehr für mich haben; bedenken Sie aber, wie sehr ich jetzt eines Freundes bedarf, so schenken Sie mir doch vielleicht den kurzen Augenblick, um den ich Sie bitte. Sie sprach diese Worte mit dem Ausdruck unverkennbaren Schmerzes; ich sah nun erst, wie unrecht es war, wie undankbar, eine solche Wohlthäterin so ganz zu vernachlässigen, wie ich mir vorwerfen mußte, gegen Madame Flöten¬ spiel gethan zu haben. Und mit dem festen Vorsätze, was ich versäumt hatte, nachzuholen, insoweit es geschehen könne, ohne Sonne des Lebens Rechte uns mich zu kränken, ging ich hinein. Madame Flötenspiel führte mich schweigend an die Leiche des Herrn Nauplius und ebenso wieder zurück. Er war mir ein Vater, sagte sie, und ihre verweinten Augen straften diese Worte nicht Lügen. Dennoch gilt, fuhr sie fort, mein Kummer nicht ihm allein; die Hälfte meines Kummers gehört einer Hoffnung an, die ich zugleich mit meinem Gatten begraben muß! So sprach Madame Flötenspiel, und ihre krampfhaft aufzuckende Brust wiederholte das Gesprochne. Was sollte ich entgegnen? Ich verstand nur zu gut, was sie meinte. Und hätte ichs bei jener Äußerung nicht verstanden, so mußte das, was folgte, mir das Verständnis eröffnen. Sie sah mich einige Augenblicke ernsthaft um, dann, wie sie sah, daß sie mich traurig gemacht hatte, mühte sie sich, in das launige Wesen zu fallen, das sie so gut kleidete. Sag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/581>, abgerufen am 23.07.2024.