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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Gedanke eines Gedankens, nicht der Hauch eines Hauches in mir, der nicht
dein wäre, die ich der Schatten deines Schattens bin, Weh mir, daß ein
unerbittliches Verhängnis sechs Tage in der Woche mich dir und mir selbst
entrückt. Jede Woche findest du mich an diesem Tage hier, bis die Sonne
des künftigen Tages uns wieder für sechs, sechs lange Tage trennt. Aber
schwöre mir erst, ein Geheimnis sei unsre Liebe; der Hauch, der einem fremden
Ohre das mindeste von ihr verrät, verlöscht uns die Kerze süßewigeu
Liebesglückes.

Ich schwur. Darauf setzten wir uns wieder an unsre Plätze; sie schenkte
ein; wir aßen, tranken und sahen uns in die seligen Angen. Auf einen Wink
von Sonne des Lebens machten die Tänzerinnen eine Pause; ihr Liebling
rührte allein die Laute, und die Schönste selbst begann ohngefähr folgendes
zu singen:

O Schmerz, sechs Tage getrennt zu sein; sechs Jahre werden sie mir
scheinen; der Tag des Wiedersehens, ach! nur ein Augenblick.

So lange du mich küssest, scheint mir die Zeit stille zu stehen; und! aber
sie scheint es nur und eilt mit verdoppelten Schritten.

So lange du mich in deinen Armen hältst, fühle ich, daß ich glücklich
bin; so wie du mich lässest, wird nur bange.

So lange dein Herz mich drückt, bin ich gesund; dann aber drückt mich
das meine, und ich kranke zum Tode.

Nur dann wär' ich gesund, hätt' ich das Gift deines Mundes, an dem
ich kranke, bestündig an meinen Lippen; nur dann wäre mir leicht, ruhte immer
die Last deines Hauptes drückend auf meinem Nacken; nur dann wär' ich frei,
lüg' ich immer in den Rvsenketten deiner pressenden Arme.

Süßes Leben, unser Glück ist die Rose, aber Schweigen heißt der Zweig,
der sie trägt.

Und wie wonnig ists zu wissen, daß wir uns lieben; zu wissen, daß nur
wir es wissen, daß wir uns lieben!

Mein Glück und dein Glück sind wie ein Antilvpenpaar gelagert. Darum
schweige, mein Leben. Sprichst du ein Wort, so schrickt es aus und flieht,
wo du es nimmer wieder siehst.

Thränen stürzen ans seinen großen Angen, wenn es dich fragt: Da wir
spielten, warst du so glücklich, warum verscheuchtest du uns?

Denk' ich, du könntest nicht schweigen, so wird mir bange; die Schatten
trüber Zukunft verschlingen mir den Tag der heitern Gegenwart.

Drum laß uns hingehn, wo nur ungesehn uns fassen und uns umfangen
halten, so lange die Nacht uns beide umfangen hält.

Den pressenden Armen glaubt die Liebe mehr als dein Munde; dem
Munde glaubt die Liebe mehr, wenn er küßt, als wenn er spricht.

Damit stand sie ans, nahm mich bei der Hand und führte mich in das


Gedanke eines Gedankens, nicht der Hauch eines Hauches in mir, der nicht
dein wäre, die ich der Schatten deines Schattens bin, Weh mir, daß ein
unerbittliches Verhängnis sechs Tage in der Woche mich dir und mir selbst
entrückt. Jede Woche findest du mich an diesem Tage hier, bis die Sonne
des künftigen Tages uns wieder für sechs, sechs lange Tage trennt. Aber
schwöre mir erst, ein Geheimnis sei unsre Liebe; der Hauch, der einem fremden
Ohre das mindeste von ihr verrät, verlöscht uns die Kerze süßewigeu
Liebesglückes.

Ich schwur. Darauf setzten wir uns wieder an unsre Plätze; sie schenkte
ein; wir aßen, tranken und sahen uns in die seligen Angen. Auf einen Wink
von Sonne des Lebens machten die Tänzerinnen eine Pause; ihr Liebling
rührte allein die Laute, und die Schönste selbst begann ohngefähr folgendes
zu singen:

O Schmerz, sechs Tage getrennt zu sein; sechs Jahre werden sie mir
scheinen; der Tag des Wiedersehens, ach! nur ein Augenblick.

So lange du mich küssest, scheint mir die Zeit stille zu stehen; und! aber
sie scheint es nur und eilt mit verdoppelten Schritten.

So lange du mich in deinen Armen hältst, fühle ich, daß ich glücklich
bin; so wie du mich lässest, wird nur bange.

So lange dein Herz mich drückt, bin ich gesund; dann aber drückt mich
das meine, und ich kranke zum Tode.

Nur dann wär' ich gesund, hätt' ich das Gift deines Mundes, an dem
ich kranke, bestündig an meinen Lippen; nur dann wäre mir leicht, ruhte immer
die Last deines Hauptes drückend auf meinem Nacken; nur dann wär' ich frei,
lüg' ich immer in den Rvsenketten deiner pressenden Arme.

Süßes Leben, unser Glück ist die Rose, aber Schweigen heißt der Zweig,
der sie trägt.

Und wie wonnig ists zu wissen, daß wir uns lieben; zu wissen, daß nur
wir es wissen, daß wir uns lieben!

Mein Glück und dein Glück sind wie ein Antilvpenpaar gelagert. Darum
schweige, mein Leben. Sprichst du ein Wort, so schrickt es aus und flieht,
wo du es nimmer wieder siehst.

Thränen stürzen ans seinen großen Angen, wenn es dich fragt: Da wir
spielten, warst du so glücklich, warum verscheuchtest du uns?

Denk' ich, du könntest nicht schweigen, so wird mir bange; die Schatten
trüber Zukunft verschlingen mir den Tag der heitern Gegenwart.

Drum laß uns hingehn, wo nur ungesehn uns fassen und uns umfangen
halten, so lange die Nacht uns beide umfangen hält.

Den pressenden Armen glaubt die Liebe mehr als dein Munde; dem
Munde glaubt die Liebe mehr, wenn er küßt, als wenn er spricht.

Damit stand sie ans, nahm mich bei der Hand und führte mich in das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/580>, abgerufen am 23.07.2024.