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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

zwei Flügelthüren auf, und wir traten in eine" Saal von unzähligen Säulen
gestützt, die hohen Palmbäumen glichen. Die Kuppel schien aus einem einzigen
Smaragd geschnitten, und seine Farbe war dieselbe, wie die des Himmels,
der durch die großen offnen Fenster von allen Seiten sichtbar war. Mitten
in dein Saale drängte ein großer Springbrunnen seine Wassersäule sast bis zur
Decke der Kuppel empor; seine Wogen, in tausend blinkende Sterne zerbrochen,
weckte", in das Silberbccken zurückfallend, die süßesten Chmbeltöne. Ich stand
"ut wagte kaum z" atmen. Nun nahte von außen Musik, eine andre Thüre
sprang auf, und herein traten in schöner Ordnung zwanzig schwarze Verschnittene
mit gezückten Säbeln, prächtig in goldbrokatene Gewänder gekleidet. Darauf
folgten ebenso viel der schönsten Sklavinnen mit Saitenspielen, die sie auf die
lieblichste Weise rührten, lind nnn kam Sonne des Lebens selbst in ihrer
Wunderschvnheit. Noch einmal zwanzig Frauen, ans Hoboen blasend und
sanfte" Flöten, beschlossen den Zug. Die schwarze Dienerschaft reihte sich
hinter dem Tische, an den Sonne des Lebens sich setzte, nachdem sie mich auf
das anmutigste willkommen geheißen und eingeladen hatte, mich zu ihr zu
setzen. Die Sklavinnen umgaben "us, bald in de" lieblichste" Tanzen ihre
Reihe" verschlingend, bald in die ergötzendsten Gruppen geordnet. Sonne des
Lebens schnitt derweile den saftigsten Apfel in der Mitte dnrch und gab die
eine Hälfte mir, dann schenkte sie selbst de" kühlen Wein in eine Schale,
neigte sich vor mir und trank. Nun reichte sie die Schale mir, indem sie mit
der süßesten Stimme sang, wobei die Sklavin, die mich hierher geführt hatte,
sie mit der Lante begleitete.

Sonne, dies war der Sinn der Verse, die sie sang, Sonne des Lebens
nennen sie mich; aber du bist die Sonne und ich das Leben, das ohne die
Sonne sterben muß. Bin ich Sonne des Lebeus, so mußt dn Leben der
Sonne heißen.

Ich trank, indem ich mich gegen sie verneigt hatte, und sang zu den
Tönen, die die Sklavin ans der Laute anschlug: Dn bist die Sonne, ich will
der Mond sein, der dich liebt und dir ewig folgt.

Bist du der Mond, entgegnete Sonne des Lebens, bist dn der Mond, so
nimmt von nun die Sonne ihr Licht vom Monde, nicht mehr der Mond sein
Licht von der Sonne; denn ohne dich bin ich dunkel, "ut meine Strahlen ver¬
löschen in den Thränen der Sehnsucht, die ich um dich weine.

Schon beim Beginnen dieses Verses waren Thränen ans ihren Augen ge¬
stürzt; nnn erhob sie sich und eilte wie anßer sich ans mich zu; indem sie
ihre Arme um mich schlang, ward sie ohnmächtig. Kaum daß ich sie nicht
fallen ließ und selbst hinsank; so bebten alle meine Lebensgeister vor der Über¬
macht dieser Seligkeit.

Als sie wieder zu sich kam, sprach sie: Süßes Leben, das ich endlich in
den Armen halte, so bin ich nun dein, mit allem, was mein ist; nicht der


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

zwei Flügelthüren auf, und wir traten in eine» Saal von unzähligen Säulen
gestützt, die hohen Palmbäumen glichen. Die Kuppel schien aus einem einzigen
Smaragd geschnitten, und seine Farbe war dieselbe, wie die des Himmels,
der durch die großen offnen Fenster von allen Seiten sichtbar war. Mitten
in dein Saale drängte ein großer Springbrunnen seine Wassersäule sast bis zur
Decke der Kuppel empor; seine Wogen, in tausend blinkende Sterne zerbrochen,
weckte», in das Silberbccken zurückfallend, die süßesten Chmbeltöne. Ich stand
»ut wagte kaum z» atmen. Nun nahte von außen Musik, eine andre Thüre
sprang auf, und herein traten in schöner Ordnung zwanzig schwarze Verschnittene
mit gezückten Säbeln, prächtig in goldbrokatene Gewänder gekleidet. Darauf
folgten ebenso viel der schönsten Sklavinnen mit Saitenspielen, die sie auf die
lieblichste Weise rührten, lind nnn kam Sonne des Lebens selbst in ihrer
Wunderschvnheit. Noch einmal zwanzig Frauen, ans Hoboen blasend und
sanfte» Flöten, beschlossen den Zug. Die schwarze Dienerschaft reihte sich
hinter dem Tische, an den Sonne des Lebens sich setzte, nachdem sie mich auf
das anmutigste willkommen geheißen und eingeladen hatte, mich zu ihr zu
setzen. Die Sklavinnen umgaben »us, bald in de» lieblichste» Tanzen ihre
Reihe» verschlingend, bald in die ergötzendsten Gruppen geordnet. Sonne des
Lebens schnitt derweile den saftigsten Apfel in der Mitte dnrch und gab die
eine Hälfte mir, dann schenkte sie selbst de» kühlen Wein in eine Schale,
neigte sich vor mir und trank. Nun reichte sie die Schale mir, indem sie mit
der süßesten Stimme sang, wobei die Sklavin, die mich hierher geführt hatte,
sie mit der Lante begleitete.

Sonne, dies war der Sinn der Verse, die sie sang, Sonne des Lebens
nennen sie mich; aber du bist die Sonne und ich das Leben, das ohne die
Sonne sterben muß. Bin ich Sonne des Lebeus, so mußt dn Leben der
Sonne heißen.

Ich trank, indem ich mich gegen sie verneigt hatte, und sang zu den
Tönen, die die Sklavin ans der Laute anschlug: Dn bist die Sonne, ich will
der Mond sein, der dich liebt und dir ewig folgt.

Bist du der Mond, entgegnete Sonne des Lebens, bist dn der Mond, so
nimmt von nun die Sonne ihr Licht vom Monde, nicht mehr der Mond sein
Licht von der Sonne; denn ohne dich bin ich dunkel, »ut meine Strahlen ver¬
löschen in den Thränen der Sehnsucht, die ich um dich weine.

Schon beim Beginnen dieses Verses waren Thränen ans ihren Augen ge¬
stürzt; nnn erhob sie sich und eilte wie anßer sich ans mich zu; indem sie
ihre Arme um mich schlang, ward sie ohnmächtig. Kaum daß ich sie nicht
fallen ließ und selbst hinsank; so bebten alle meine Lebensgeister vor der Über¬
macht dieser Seligkeit.

Als sie wieder zu sich kam, sprach sie: Süßes Leben, das ich endlich in
den Armen halte, so bin ich nun dein, mit allem, was mein ist; nicht der


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[0579] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen zwei Flügelthüren auf, und wir traten in eine» Saal von unzähligen Säulen gestützt, die hohen Palmbäumen glichen. Die Kuppel schien aus einem einzigen Smaragd geschnitten, und seine Farbe war dieselbe, wie die des Himmels, der durch die großen offnen Fenster von allen Seiten sichtbar war. Mitten in dein Saale drängte ein großer Springbrunnen seine Wassersäule sast bis zur Decke der Kuppel empor; seine Wogen, in tausend blinkende Sterne zerbrochen, weckte», in das Silberbccken zurückfallend, die süßesten Chmbeltöne. Ich stand »ut wagte kaum z» atmen. Nun nahte von außen Musik, eine andre Thüre sprang auf, und herein traten in schöner Ordnung zwanzig schwarze Verschnittene mit gezückten Säbeln, prächtig in goldbrokatene Gewänder gekleidet. Darauf folgten ebenso viel der schönsten Sklavinnen mit Saitenspielen, die sie auf die lieblichste Weise rührten, lind nnn kam Sonne des Lebens selbst in ihrer Wunderschvnheit. Noch einmal zwanzig Frauen, ans Hoboen blasend und sanfte» Flöten, beschlossen den Zug. Die schwarze Dienerschaft reihte sich hinter dem Tische, an den Sonne des Lebens sich setzte, nachdem sie mich auf das anmutigste willkommen geheißen und eingeladen hatte, mich zu ihr zu setzen. Die Sklavinnen umgaben »us, bald in de» lieblichste» Tanzen ihre Reihe» verschlingend, bald in die ergötzendsten Gruppen geordnet. Sonne des Lebens schnitt derweile den saftigsten Apfel in der Mitte dnrch und gab die eine Hälfte mir, dann schenkte sie selbst de» kühlen Wein in eine Schale, neigte sich vor mir und trank. Nun reichte sie die Schale mir, indem sie mit der süßesten Stimme sang, wobei die Sklavin, die mich hierher geführt hatte, sie mit der Lante begleitete. Sonne, dies war der Sinn der Verse, die sie sang, Sonne des Lebens nennen sie mich; aber du bist die Sonne und ich das Leben, das ohne die Sonne sterben muß. Bin ich Sonne des Lebeus, so mußt dn Leben der Sonne heißen. Ich trank, indem ich mich gegen sie verneigt hatte, und sang zu den Tönen, die die Sklavin ans der Laute anschlug: Dn bist die Sonne, ich will der Mond sein, der dich liebt und dir ewig folgt. Bist du der Mond, entgegnete Sonne des Lebens, bist dn der Mond, so nimmt von nun die Sonne ihr Licht vom Monde, nicht mehr der Mond sein Licht von der Sonne; denn ohne dich bin ich dunkel, »ut meine Strahlen ver¬ löschen in den Thränen der Sehnsucht, die ich um dich weine. Schon beim Beginnen dieses Verses waren Thränen ans ihren Augen ge¬ stürzt; nnn erhob sie sich und eilte wie anßer sich ans mich zu; indem sie ihre Arme um mich schlang, ward sie ohnmächtig. Kaum daß ich sie nicht fallen ließ und selbst hinsank; so bebten alle meine Lebensgeister vor der Über¬ macht dieser Seligkeit. Als sie wieder zu sich kam, sprach sie: Süßes Leben, das ich endlich in den Armen halte, so bin ich nun dein, mit allem, was mein ist; nicht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/579>, abgerufen am 23.07.2024.