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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Ob sich dann wichtige Linien aus ganz verschiedenartigen Teilen zusammen¬
setzten, wie L1 und 1,1 aus den Armen und den Kanten des links angelehnten
Buches, 1r aus dem Bein und dem Rockkragen, oder ob die Stiefelspitze an
einen Hauptpunkt des Bildes zu liegen kam, oder ein andrer mehr oder
auch noch weniger wichtiger Teil von Wagners Persönlichkeit, das alles
konnte einem nach solchen Grundsätzen schaffenden Künstler freilich gleich-
giltig sein.

Er wird es uns aber dann nicht übel nehmen können, daß auch uns sein
Werk gleichgiltig ist; ja daß wir es für den; beabsichtigten Zweck zurückweisen.
Eine so wahllose, lediglich dem Zufall verdankte Ansammlung von Gewöhnlich¬
keiten und Zusammenstoppelung von Widersprüchen, der nur die darüber aus¬
gebreitete leere Form ein glänzendes Scheinleben verleiht, wird schwerlich
irgendwo in Deutschland als passendes Denkmal Richard Wagners gelten dürfen,
am wenigsten in Leipzig. Man mag darüber streiten, ob die Zeit eines Denk¬
mals für Wagner überhaupt schon gekommen sei; man mag selbst meinen, daß
er gar keins verdiene: darin, glaube ich, könnten sich doch alle Parteien einigen,
daß Wagner, salls er in seiner Vaterstadt eins erhalten soll, darauf ernst ge¬
nommen werden muß. Ein Denkmal, das dies nicht thäte, ließe die nicht ernst
nehmen, die ihm ein solches setzten.

Schließlich kann ich für meine Auffassung des Entwurfes noch einen
Zeugen anführen, den man nicht vermuten wird: das Leipziger Denkinals-
komitee selbst. In mehreren Erlassen im Leipziger Tageblatt hat es sich über
den von ihm gewählten Künstler und sein Werk ausgesprochen. Mitten unter
Versicherungen der Vortrefflichkeit beider begegnet die Erklärung, daß sich bei
der Ausführung des Entwurfes "noch verschiedne Änderungen ergeben," daß
"die Ausführung noch sehr vieles in den Details ändern wird." Sind es
nun wirklich nur von selbst sich verstehende Gleichgiltigkeiten, über die die Be¬
schauer des Entwurfes zu beruhigen das Komitee sich so angelegentlich bemüht?
Schwerlich. Was heißen aber dann diese Vorausentschuldigungen anders, als:
das Komitee baut vor? Was anders, als: es war über deu ihm gelieferten
Entwurf selbst bereits so weit bedenklich, daß es für eine etwa später er¬
folgende Be- und Verurteilung desselben in jenen Andentungen Deckung
suchte; es war sich aber über die betreffenden Mängel noch nicht so weit
klar, um zu sehen, daß hier schon alles verdorben und nichts mehr zu ver¬
bessern war?

Ermannen wir uns denn zu dein Geständnisse, das uus nach alle diesem
einzig übrig bleibt. Wie Wagners Hans Sachs in ähnlichem Falle bemerkt,
hatte Schayer einmal eine "schwache Stunde," da -- empfing er das Leip¬
ziger Komitee und "ließ mit sich reden." Die Frucht dieser unglücklichen
Stunde war der gegenwärtige Entwurf. Ich habe mich, wie ich glaube, redlich
bemüht, ihm seine guten Seiten abzugewinnen, und möchte um dieser willen


Ob sich dann wichtige Linien aus ganz verschiedenartigen Teilen zusammen¬
setzten, wie L1 und 1,1 aus den Armen und den Kanten des links angelehnten
Buches, 1r aus dem Bein und dem Rockkragen, oder ob die Stiefelspitze an
einen Hauptpunkt des Bildes zu liegen kam, oder ein andrer mehr oder
auch noch weniger wichtiger Teil von Wagners Persönlichkeit, das alles
konnte einem nach solchen Grundsätzen schaffenden Künstler freilich gleich-
giltig sein.

Er wird es uns aber dann nicht übel nehmen können, daß auch uns sein
Werk gleichgiltig ist; ja daß wir es für den; beabsichtigten Zweck zurückweisen.
Eine so wahllose, lediglich dem Zufall verdankte Ansammlung von Gewöhnlich¬
keiten und Zusammenstoppelung von Widersprüchen, der nur die darüber aus¬
gebreitete leere Form ein glänzendes Scheinleben verleiht, wird schwerlich
irgendwo in Deutschland als passendes Denkmal Richard Wagners gelten dürfen,
am wenigsten in Leipzig. Man mag darüber streiten, ob die Zeit eines Denk¬
mals für Wagner überhaupt schon gekommen sei; man mag selbst meinen, daß
er gar keins verdiene: darin, glaube ich, könnten sich doch alle Parteien einigen,
daß Wagner, salls er in seiner Vaterstadt eins erhalten soll, darauf ernst ge¬
nommen werden muß. Ein Denkmal, das dies nicht thäte, ließe die nicht ernst
nehmen, die ihm ein solches setzten.

Schließlich kann ich für meine Auffassung des Entwurfes noch einen
Zeugen anführen, den man nicht vermuten wird: das Leipziger Denkinals-
komitee selbst. In mehreren Erlassen im Leipziger Tageblatt hat es sich über
den von ihm gewählten Künstler und sein Werk ausgesprochen. Mitten unter
Versicherungen der Vortrefflichkeit beider begegnet die Erklärung, daß sich bei
der Ausführung des Entwurfes „noch verschiedne Änderungen ergeben," daß
„die Ausführung noch sehr vieles in den Details ändern wird." Sind es
nun wirklich nur von selbst sich verstehende Gleichgiltigkeiten, über die die Be¬
schauer des Entwurfes zu beruhigen das Komitee sich so angelegentlich bemüht?
Schwerlich. Was heißen aber dann diese Vorausentschuldigungen anders, als:
das Komitee baut vor? Was anders, als: es war über deu ihm gelieferten
Entwurf selbst bereits so weit bedenklich, daß es für eine etwa später er¬
folgende Be- und Verurteilung desselben in jenen Andentungen Deckung
suchte; es war sich aber über die betreffenden Mängel noch nicht so weit
klar, um zu sehen, daß hier schon alles verdorben und nichts mehr zu ver¬
bessern war?

Ermannen wir uns denn zu dein Geständnisse, das uus nach alle diesem
einzig übrig bleibt. Wie Wagners Hans Sachs in ähnlichem Falle bemerkt,
hatte Schayer einmal eine „schwache Stunde," da — empfing er das Leip¬
ziger Komitee und „ließ mit sich reden." Die Frucht dieser unglücklichen
Stunde war der gegenwärtige Entwurf. Ich habe mich, wie ich glaube, redlich
bemüht, ihm seine guten Seiten abzugewinnen, und möchte um dieser willen


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[0575] Ob sich dann wichtige Linien aus ganz verschiedenartigen Teilen zusammen¬ setzten, wie L1 und 1,1 aus den Armen und den Kanten des links angelehnten Buches, 1r aus dem Bein und dem Rockkragen, oder ob die Stiefelspitze an einen Hauptpunkt des Bildes zu liegen kam, oder ein andrer mehr oder auch noch weniger wichtiger Teil von Wagners Persönlichkeit, das alles konnte einem nach solchen Grundsätzen schaffenden Künstler freilich gleich- giltig sein. Er wird es uns aber dann nicht übel nehmen können, daß auch uns sein Werk gleichgiltig ist; ja daß wir es für den; beabsichtigten Zweck zurückweisen. Eine so wahllose, lediglich dem Zufall verdankte Ansammlung von Gewöhnlich¬ keiten und Zusammenstoppelung von Widersprüchen, der nur die darüber aus¬ gebreitete leere Form ein glänzendes Scheinleben verleiht, wird schwerlich irgendwo in Deutschland als passendes Denkmal Richard Wagners gelten dürfen, am wenigsten in Leipzig. Man mag darüber streiten, ob die Zeit eines Denk¬ mals für Wagner überhaupt schon gekommen sei; man mag selbst meinen, daß er gar keins verdiene: darin, glaube ich, könnten sich doch alle Parteien einigen, daß Wagner, salls er in seiner Vaterstadt eins erhalten soll, darauf ernst ge¬ nommen werden muß. Ein Denkmal, das dies nicht thäte, ließe die nicht ernst nehmen, die ihm ein solches setzten. Schließlich kann ich für meine Auffassung des Entwurfes noch einen Zeugen anführen, den man nicht vermuten wird: das Leipziger Denkinals- komitee selbst. In mehreren Erlassen im Leipziger Tageblatt hat es sich über den von ihm gewählten Künstler und sein Werk ausgesprochen. Mitten unter Versicherungen der Vortrefflichkeit beider begegnet die Erklärung, daß sich bei der Ausführung des Entwurfes „noch verschiedne Änderungen ergeben," daß „die Ausführung noch sehr vieles in den Details ändern wird." Sind es nun wirklich nur von selbst sich verstehende Gleichgiltigkeiten, über die die Be¬ schauer des Entwurfes zu beruhigen das Komitee sich so angelegentlich bemüht? Schwerlich. Was heißen aber dann diese Vorausentschuldigungen anders, als: das Komitee baut vor? Was anders, als: es war über deu ihm gelieferten Entwurf selbst bereits so weit bedenklich, daß es für eine etwa später er¬ folgende Be- und Verurteilung desselben in jenen Andentungen Deckung suchte; es war sich aber über die betreffenden Mängel noch nicht so weit klar, um zu sehen, daß hier schon alles verdorben und nichts mehr zu ver¬ bessern war? Ermannen wir uns denn zu dein Geständnisse, das uus nach alle diesem einzig übrig bleibt. Wie Wagners Hans Sachs in ähnlichem Falle bemerkt, hatte Schayer einmal eine „schwache Stunde," da — empfing er das Leip¬ ziger Komitee und „ließ mit sich reden." Die Frucht dieser unglücklichen Stunde war der gegenwärtige Entwurf. Ich habe mich, wie ich glaube, redlich bemüht, ihm seine guten Seiten abzugewinnen, und möchte um dieser willen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/575>, abgerufen am 25.08.2024.