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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf eines Wagnerdenkmcils für Leipzig

möchten wir dem Künstler vor dem Hexensabbath seiner Widersprüche zurufen.
Hätte er uns gar nichts gesagt, so konnten wir uns zu Ehren der deutsche"
Kunst wenigstens einbilden, die abgrundtiefe Weisheit seines Grundgedankens
gnr nicht begriffen zu haben.

Zweiter Widerspruch- Aber in welcher Stellung befindet sich die Partitur
auf Wagners linken Oberschenkel? Das Knie liegt bedeutend tiefer, als die
Ansatzstelle des Beines am Körper, sodaß das schwere Buch sofort herab¬
rutschen müßte, wenn es nicht gehalten würde. Dies besorgt die auf das Buch
gepreßte rechte Faust; die linke Hand ist im Begriff umzublättern. Und nun
begegnen wir einer wahrhaft genialen Idee des Künstlers! Schayer hat seinem
Wagner im Gedanken offenbar noch einen dritten Arm gegeben, der den
Taktstvck schwingt und aus der aus dem Knie liegenden Partitur die Aufführung
leitet, von der die Erklärung an das Komitee spricht. Wie schade, daß er diesen
ganz einzigen Gedanken angesichts der sehr untergeordneten Thatsache, daß der
lebendige Wagner nur zwei Arme hatte, wieder hat fallen lassen! Wie würde
unser gutes Leipzig zum Wallfahrtsort der Wagnerfexe aller Zonen geworden
sein, um Schapers berühmten dreiarmigen Wagner anzustaunen, um ihn als
die geistvollste Verkörperung von Wagners überquellender Schöpferkraft zu be¬
wundern. Wie ein indischer Gott! würden andachtsvoll die Verehrer und
Verehrerinnen einander zugeraunt haben, die beinahe einmal etwas Genaueres
über Indien und Wagners Hochschätzung desselben gehört hätten. Und das
schöne Geld, das sie in Leipzig sitzen gelassen hätten! Wie würde das dessen
Wagnerverehrung zu statten gekommen sein, mit der es, wie manche behaupten,
noch gar nicht recht fort will. Leider ist von diesem nach allen Seiten so vor¬
trefflichen Gedanken nichts übrig geblieben als der Taktstock. Da die Linke,
wie schon bemerkt, ein für allemal mit dem Umblättern beschäftigt ist, so hält
nunmehr die Rechte zugleich das Buch und das Würdezeichen des Tönebe¬
herrschers. Daraus entsteht aber der neue Widerspruch, daß, wenn Wagner
den Arm zum Dirigiren erheben will, ihm das Buch herunterrutscht, und
wenn ers festhalten will, er nicht dirigiren kann.

Dritter Widerspruch. Aber das Standbild soll nach der Erklärung seines
Urhebers auch Wagners "konzentrirte Energie und Lebendigkeit" zum Ausdruck
bringen. Beginnen wir mit der erstgenannten Eigenschaft, die offenbar in dem
straff gestreckten rechten Arm mit der geballten, auf der Partitur sich schwer
auflegenden Faust zur Darstellung kommt. Es ist die berühmte Geberde Luthers
auf dem Wormser Denkmal, die uns sein weltgeschichtliches "Hier stehe ich,
ich kann nicht anders" versinnlicht. Und auf ähnliche Weise hätte also Schayer
Wagner als unsern musikalisch-dramatischen Luther gekennzeichnet? Zwar ist,
was wir vor uns sehen, nichts andres, als ein gelegentlicher Vorgang, daß
Wagner beim Einstudiren eines seiner Werke irgend eine schwierige Stelle, deren
Streichung man bereits von ihm verlangte, nachdrücklich verteidigt. Aber


Der Entwurf eines Wagnerdenkmcils für Leipzig

möchten wir dem Künstler vor dem Hexensabbath seiner Widersprüche zurufen.
Hätte er uns gar nichts gesagt, so konnten wir uns zu Ehren der deutsche»
Kunst wenigstens einbilden, die abgrundtiefe Weisheit seines Grundgedankens
gnr nicht begriffen zu haben.

Zweiter Widerspruch- Aber in welcher Stellung befindet sich die Partitur
auf Wagners linken Oberschenkel? Das Knie liegt bedeutend tiefer, als die
Ansatzstelle des Beines am Körper, sodaß das schwere Buch sofort herab¬
rutschen müßte, wenn es nicht gehalten würde. Dies besorgt die auf das Buch
gepreßte rechte Faust; die linke Hand ist im Begriff umzublättern. Und nun
begegnen wir einer wahrhaft genialen Idee des Künstlers! Schayer hat seinem
Wagner im Gedanken offenbar noch einen dritten Arm gegeben, der den
Taktstvck schwingt und aus der aus dem Knie liegenden Partitur die Aufführung
leitet, von der die Erklärung an das Komitee spricht. Wie schade, daß er diesen
ganz einzigen Gedanken angesichts der sehr untergeordneten Thatsache, daß der
lebendige Wagner nur zwei Arme hatte, wieder hat fallen lassen! Wie würde
unser gutes Leipzig zum Wallfahrtsort der Wagnerfexe aller Zonen geworden
sein, um Schapers berühmten dreiarmigen Wagner anzustaunen, um ihn als
die geistvollste Verkörperung von Wagners überquellender Schöpferkraft zu be¬
wundern. Wie ein indischer Gott! würden andachtsvoll die Verehrer und
Verehrerinnen einander zugeraunt haben, die beinahe einmal etwas Genaueres
über Indien und Wagners Hochschätzung desselben gehört hätten. Und das
schöne Geld, das sie in Leipzig sitzen gelassen hätten! Wie würde das dessen
Wagnerverehrung zu statten gekommen sein, mit der es, wie manche behaupten,
noch gar nicht recht fort will. Leider ist von diesem nach allen Seiten so vor¬
trefflichen Gedanken nichts übrig geblieben als der Taktstock. Da die Linke,
wie schon bemerkt, ein für allemal mit dem Umblättern beschäftigt ist, so hält
nunmehr die Rechte zugleich das Buch und das Würdezeichen des Tönebe¬
herrschers. Daraus entsteht aber der neue Widerspruch, daß, wenn Wagner
den Arm zum Dirigiren erheben will, ihm das Buch herunterrutscht, und
wenn ers festhalten will, er nicht dirigiren kann.

Dritter Widerspruch. Aber das Standbild soll nach der Erklärung seines
Urhebers auch Wagners „konzentrirte Energie und Lebendigkeit" zum Ausdruck
bringen. Beginnen wir mit der erstgenannten Eigenschaft, die offenbar in dem
straff gestreckten rechten Arm mit der geballten, auf der Partitur sich schwer
auflegenden Faust zur Darstellung kommt. Es ist die berühmte Geberde Luthers
auf dem Wormser Denkmal, die uns sein weltgeschichtliches „Hier stehe ich,
ich kann nicht anders" versinnlicht. Und auf ähnliche Weise hätte also Schayer
Wagner als unsern musikalisch-dramatischen Luther gekennzeichnet? Zwar ist,
was wir vor uns sehen, nichts andres, als ein gelegentlicher Vorgang, daß
Wagner beim Einstudiren eines seiner Werke irgend eine schwierige Stelle, deren
Streichung man bereits von ihm verlangte, nachdrücklich verteidigt. Aber


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[0570] Der Entwurf eines Wagnerdenkmcils für Leipzig möchten wir dem Künstler vor dem Hexensabbath seiner Widersprüche zurufen. Hätte er uns gar nichts gesagt, so konnten wir uns zu Ehren der deutsche» Kunst wenigstens einbilden, die abgrundtiefe Weisheit seines Grundgedankens gnr nicht begriffen zu haben. Zweiter Widerspruch- Aber in welcher Stellung befindet sich die Partitur auf Wagners linken Oberschenkel? Das Knie liegt bedeutend tiefer, als die Ansatzstelle des Beines am Körper, sodaß das schwere Buch sofort herab¬ rutschen müßte, wenn es nicht gehalten würde. Dies besorgt die auf das Buch gepreßte rechte Faust; die linke Hand ist im Begriff umzublättern. Und nun begegnen wir einer wahrhaft genialen Idee des Künstlers! Schayer hat seinem Wagner im Gedanken offenbar noch einen dritten Arm gegeben, der den Taktstvck schwingt und aus der aus dem Knie liegenden Partitur die Aufführung leitet, von der die Erklärung an das Komitee spricht. Wie schade, daß er diesen ganz einzigen Gedanken angesichts der sehr untergeordneten Thatsache, daß der lebendige Wagner nur zwei Arme hatte, wieder hat fallen lassen! Wie würde unser gutes Leipzig zum Wallfahrtsort der Wagnerfexe aller Zonen geworden sein, um Schapers berühmten dreiarmigen Wagner anzustaunen, um ihn als die geistvollste Verkörperung von Wagners überquellender Schöpferkraft zu be¬ wundern. Wie ein indischer Gott! würden andachtsvoll die Verehrer und Verehrerinnen einander zugeraunt haben, die beinahe einmal etwas Genaueres über Indien und Wagners Hochschätzung desselben gehört hätten. Und das schöne Geld, das sie in Leipzig sitzen gelassen hätten! Wie würde das dessen Wagnerverehrung zu statten gekommen sein, mit der es, wie manche behaupten, noch gar nicht recht fort will. Leider ist von diesem nach allen Seiten so vor¬ trefflichen Gedanken nichts übrig geblieben als der Taktstock. Da die Linke, wie schon bemerkt, ein für allemal mit dem Umblättern beschäftigt ist, so hält nunmehr die Rechte zugleich das Buch und das Würdezeichen des Tönebe¬ herrschers. Daraus entsteht aber der neue Widerspruch, daß, wenn Wagner den Arm zum Dirigiren erheben will, ihm das Buch herunterrutscht, und wenn ers festhalten will, er nicht dirigiren kann. Dritter Widerspruch. Aber das Standbild soll nach der Erklärung seines Urhebers auch Wagners „konzentrirte Energie und Lebendigkeit" zum Ausdruck bringen. Beginnen wir mit der erstgenannten Eigenschaft, die offenbar in dem straff gestreckten rechten Arm mit der geballten, auf der Partitur sich schwer auflegenden Faust zur Darstellung kommt. Es ist die berühmte Geberde Luthers auf dem Wormser Denkmal, die uns sein weltgeschichtliches „Hier stehe ich, ich kann nicht anders" versinnlicht. Und auf ähnliche Weise hätte also Schayer Wagner als unsern musikalisch-dramatischen Luther gekennzeichnet? Zwar ist, was wir vor uns sehen, nichts andres, als ein gelegentlicher Vorgang, daß Wagner beim Einstudiren eines seiner Werke irgend eine schwierige Stelle, deren Streichung man bereits von ihm verlangte, nachdrücklich verteidigt. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/570>, abgerufen am 25.08.2024.