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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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dienen mag. Nur geht es wie ein Riß durch das Werk, daß sie eben nur
äußerlich an den Sitz angelehnt ist, statt mit der Figur in irgend welche
unmittelbare Verbindung gebracht zu sein. Sie konnte weggenommen werden,
ohne die Haltung Wagners much nur um ein Haar breit zu ändern, während
doch gerade durch diese Wegnahme dem formal sehr wichtigen Dreieck I! I/I
die Spitze abgebrochen würde. Form und Inhalt sind also doch nicht so
in einander gearbeitet, wie dies bei einem guten Kunstwerke der Fall sein müßte,

Und nun der Punkt r, der zwar, umgekehrt wie bei I, nicht ohne weiteres
entfernt werden kann, weil er mit zur Gestalt Wagners selbst gehört, aber
dafür sicherlich der inhaltsloseste Punkt des ganzen Werkes ist. Denn man
höre "ud staune! dieser Punkt, zu dem der rechte Rocksaum und das rechts
seitwärts ausgestreckte Bein, die Prvfillinie des Gesichts und noch so viele
andre Falten und Furchen in gemeinsamer Anziehung hinstreben, dieser Punkt r
ist Wagners rechte Stiefelspitze! Welche Bedeutung hat wohl Wagners rechte
Stiefelspitze für sein Leben, sein Wirken, seine Kunst? Oder wen" dies gar
zu lächerlich klingt, und um dem Künstler nicht Unrecht zu thun: ivetche Be¬
deutung hat sie in diese", Standbilde? Es lassen sich sehr wohl Stellungen
denken, wo gleichsam der ganze Körper aus einem Fuße herauswächst, wie die
des Acerkur, der als Flammenträger eine bekannte Zierde unsrer Schaufenster
geworden ist, oder wie die Stellung Teils gewesen sein muß:


Jetzt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst
Hochspringend ans die Platte mich hinauf,
Und mit gewaltgein Fusistvß hinter mich
Schlendr' ich das Schifflein in den Schlund der Wasser,

So sehen wir uns denn mit Notwendigkeit vor die zweite der eingangs
gestellten beiden Fragen geführt, die Frage nach dem das ganze Werk einheitlich
bestimmenden Grundgedanken. Wird dieser el" kühner, eigenartiger, Warner
in dem innersten Nerv seines Wesens erfassender Geistesgriff sein? Wird er
alle die Einzelheiten, die ich schon genannt habe und die äußerlich ans den
erste" Anblick das Denkmal zusammensetzen, als seine notwendigen Aus¬
strahlungen erkennen lassen? Wird er sie, die uns auf eben diesen ersten Blick
hin so alltäglich, ja fast verbraucht erscheinen konnten, in einem so gänzlich
"enen Lichte zeigen, nach dem fast mehr noch dein Plastiker als dem Poeten
geltenden Worte des Horaz:


vixsri" "Ki-vKio, rollten si o"1Il<I.'>. vorkam
lisäctiävrii Mnntur" novum?

lind wird dies nicht alles in dem großartigsten, den höchsten Anforderungen
genügenden Maßstabe der Fall sein müssen, damit der Inhalt der wunderbar
reich entwickelten Form gewachsen sei und sie rechtfertige?


dienen mag. Nur geht es wie ein Riß durch das Werk, daß sie eben nur
äußerlich an den Sitz angelehnt ist, statt mit der Figur in irgend welche
unmittelbare Verbindung gebracht zu sein. Sie konnte weggenommen werden,
ohne die Haltung Wagners much nur um ein Haar breit zu ändern, während
doch gerade durch diese Wegnahme dem formal sehr wichtigen Dreieck I! I/I
die Spitze abgebrochen würde. Form und Inhalt sind also doch nicht so
in einander gearbeitet, wie dies bei einem guten Kunstwerke der Fall sein müßte,

Und nun der Punkt r, der zwar, umgekehrt wie bei I, nicht ohne weiteres
entfernt werden kann, weil er mit zur Gestalt Wagners selbst gehört, aber
dafür sicherlich der inhaltsloseste Punkt des ganzen Werkes ist. Denn man
höre »ud staune! dieser Punkt, zu dem der rechte Rocksaum und das rechts
seitwärts ausgestreckte Bein, die Prvfillinie des Gesichts und noch so viele
andre Falten und Furchen in gemeinsamer Anziehung hinstreben, dieser Punkt r
ist Wagners rechte Stiefelspitze! Welche Bedeutung hat wohl Wagners rechte
Stiefelspitze für sein Leben, sein Wirken, seine Kunst? Oder wen» dies gar
zu lächerlich klingt, und um dem Künstler nicht Unrecht zu thun: ivetche Be¬
deutung hat sie in diese», Standbilde? Es lassen sich sehr wohl Stellungen
denken, wo gleichsam der ganze Körper aus einem Fuße herauswächst, wie die
des Acerkur, der als Flammenträger eine bekannte Zierde unsrer Schaufenster
geworden ist, oder wie die Stellung Teils gewesen sein muß:


Jetzt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst
Hochspringend ans die Platte mich hinauf,
Und mit gewaltgein Fusistvß hinter mich
Schlendr' ich das Schifflein in den Schlund der Wasser,

So sehen wir uns denn mit Notwendigkeit vor die zweite der eingangs
gestellten beiden Fragen geführt, die Frage nach dem das ganze Werk einheitlich
bestimmenden Grundgedanken. Wird dieser el» kühner, eigenartiger, Warner
in dem innersten Nerv seines Wesens erfassender Geistesgriff sein? Wird er
alle die Einzelheiten, die ich schon genannt habe und die äußerlich ans den
erste» Anblick das Denkmal zusammensetzen, als seine notwendigen Aus¬
strahlungen erkennen lassen? Wird er sie, die uns auf eben diesen ersten Blick
hin so alltäglich, ja fast verbraucht erscheinen konnten, in einem so gänzlich
»enen Lichte zeigen, nach dem fast mehr noch dein Plastiker als dem Poeten
geltenden Worte des Horaz:


vixsri» »Ki-vKio, rollten si o»1Il<I.'>. vorkam
lisäctiävrii Mnntur» novum?

lind wird dies nicht alles in dem großartigsten, den höchsten Anforderungen
genügenden Maßstabe der Fall sein müssen, damit der Inhalt der wunderbar
reich entwickelten Form gewachsen sei und sie rechtfertige?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/567>, abgerufen am 25.08.2024.