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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf eines Ivagnerdeukmcils für Leipzig

laube. Mir eine "ach drei Seiten hin freie Ansstellnlig, wie sie dem Denkmal
zugedacht zu sein scheint, bedeutet das freilich einen Achter; zum Glück einen,
den wir uns wenig zu nütze zu machen gesonnen sind.

Vor allem fesselt uns das Werk gleichsam von selbst in der richtigen
Stellung. So groß ist die Fülle der Beziehungen, die von allen Seiten her
nach den bedeutungsvollen Punkten zusammenlaufen, und wenn nur selbst
diese erschöpft haben sollten, so reichhaltig ist nochmals die Gliederung der
ordnende" Hauptlinien, das; wir uns in sie geradezu verlieren können. Auch
hat der Künstler selbst "och dafür gesorgt, daß wir möglichst spät erwachen. Er
hat den Sockel, der doch auch noch mit zum Denkmal gehört, zwar in sehr guten,
aber äußerst einfachen Verhältnissen gehalten. Als Schmuck trägt er vorn mir den
Namen "Richard Wagner" und an der rechten und linken Schmalseite, also von vorn
uur wenig sichtbar, einen Lorbeer- und einen Eichenkranz. Einmal folgt freilich
jedem Rausche die Ernüchterung, selbst dem der Linieusymphvuie, die der Plastiker
hier vor uns aufführt. Denn mitten in diesen" Schwelgen in den Linien stellt
sich ein gewisses Gefühl der Leere ein. Wir kommen aus der geometrischen
Auffassung, mit der wir so bequem in die künstlerischen Geheimnisse des Bild¬
wertes einzudringen vermochten, merkwürdigerweise much gar nicht wieder heraus.
Sie sührt uns zu nichts. Es ist und bleibt ein rein arabeskenhafter Kunst¬
genuß, über dem nur uns schließlich ertappen, der wenig von der wichtigen
Rolle enthält, die die Linienführung i" der bildenden Kunst in Wahrheit
spielen soll und die besonders ans berühmten Gemälden allgemeiner bekannt
ist. So steht in Makarts Einzugslüld Karl der Fünfte im Mittelpunkte der
diagonaler Anordnung; in der Krenzesnbnahme von Rubens gehen die sich
kreuzenden Linien durch den Ehristnskörper hindurch. Ich erinnere noch an
die Haltung der Figuren auf der Stuhlinadonna, an die Gruppeneinteilnng
ans dem Abendmahlsbilde des Leonardo n. s. w. Überall hat die Linieufül,-
rung die Aufgabe, einen einzelnen inhaltlich bedeutungsvollen Teil des Bild-
wertes anschaulich herauszuheben, oder die innern Beziehungen mehrerer
wichtigen Teile auch dem Auge bemerklich zu machen. Wenden wir diese Be¬
obachtung auf unser Standbild an, indem Nur nach dem Inhalte fragen, dem
ein so bewunderungswürdiges Linieuspiel als Fassung dient, so wird mit
dieser Frage der Zauber, in dem uns Schayer gefangen hielt, allerdings ge¬
brochen.

Am meisten müßte dieser Inhalt wohl in den zwei Punkten r und >
hervortreten, nach dem das ganze Liniengewebe wie nach seinen beiden Brenn¬
punkten hinstrebt, ähnlich wie in den erstgenannten beiden Gemälden, oder
auch wie in zahlreichen Christkindbildern alle Linien auf dieses als den ideellen
Mittel- und Schwerpunkt des Ganzen hinweisen. Was erblicken wir nun in
diesem so hochwichtigen r und I V In 1, wie schon bemerkt, eine Partitur,
die immerhin als bedeutungsvolle Verkörperung des Wagnerschen Schaffens


Der Entwurf eines Ivagnerdeukmcils für Leipzig

laube. Mir eine »ach drei Seiten hin freie Ansstellnlig, wie sie dem Denkmal
zugedacht zu sein scheint, bedeutet das freilich einen Achter; zum Glück einen,
den wir uns wenig zu nütze zu machen gesonnen sind.

Vor allem fesselt uns das Werk gleichsam von selbst in der richtigen
Stellung. So groß ist die Fülle der Beziehungen, die von allen Seiten her
nach den bedeutungsvollen Punkten zusammenlaufen, und wenn nur selbst
diese erschöpft haben sollten, so reichhaltig ist nochmals die Gliederung der
ordnende» Hauptlinien, das; wir uns in sie geradezu verlieren können. Auch
hat der Künstler selbst »och dafür gesorgt, daß wir möglichst spät erwachen. Er
hat den Sockel, der doch auch noch mit zum Denkmal gehört, zwar in sehr guten,
aber äußerst einfachen Verhältnissen gehalten. Als Schmuck trägt er vorn mir den
Namen „Richard Wagner" und an der rechten und linken Schmalseite, also von vorn
uur wenig sichtbar, einen Lorbeer- und einen Eichenkranz. Einmal folgt freilich
jedem Rausche die Ernüchterung, selbst dem der Linieusymphvuie, die der Plastiker
hier vor uns aufführt. Denn mitten in diesen» Schwelgen in den Linien stellt
sich ein gewisses Gefühl der Leere ein. Wir kommen aus der geometrischen
Auffassung, mit der wir so bequem in die künstlerischen Geheimnisse des Bild¬
wertes einzudringen vermochten, merkwürdigerweise much gar nicht wieder heraus.
Sie sührt uns zu nichts. Es ist und bleibt ein rein arabeskenhafter Kunst¬
genuß, über dem nur uns schließlich ertappen, der wenig von der wichtigen
Rolle enthält, die die Linienführung i» der bildenden Kunst in Wahrheit
spielen soll und die besonders ans berühmten Gemälden allgemeiner bekannt
ist. So steht in Makarts Einzugslüld Karl der Fünfte im Mittelpunkte der
diagonaler Anordnung; in der Krenzesnbnahme von Rubens gehen die sich
kreuzenden Linien durch den Ehristnskörper hindurch. Ich erinnere noch an
die Haltung der Figuren auf der Stuhlinadonna, an die Gruppeneinteilnng
ans dem Abendmahlsbilde des Leonardo n. s. w. Überall hat die Linieufül,-
rung die Aufgabe, einen einzelnen inhaltlich bedeutungsvollen Teil des Bild-
wertes anschaulich herauszuheben, oder die innern Beziehungen mehrerer
wichtigen Teile auch dem Auge bemerklich zu machen. Wenden wir diese Be¬
obachtung auf unser Standbild an, indem Nur nach dem Inhalte fragen, dem
ein so bewunderungswürdiges Linieuspiel als Fassung dient, so wird mit
dieser Frage der Zauber, in dem uns Schayer gefangen hielt, allerdings ge¬
brochen.

Am meisten müßte dieser Inhalt wohl in den zwei Punkten r und >
hervortreten, nach dem das ganze Liniengewebe wie nach seinen beiden Brenn¬
punkten hinstrebt, ähnlich wie in den erstgenannten beiden Gemälden, oder
auch wie in zahlreichen Christkindbildern alle Linien auf dieses als den ideellen
Mittel- und Schwerpunkt des Ganzen hinweisen. Was erblicken wir nun in
diesem so hochwichtigen r und I V In 1, wie schon bemerkt, eine Partitur,
die immerhin als bedeutungsvolle Verkörperung des Wagnerschen Schaffens


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[0566] Der Entwurf eines Ivagnerdeukmcils für Leipzig laube. Mir eine »ach drei Seiten hin freie Ansstellnlig, wie sie dem Denkmal zugedacht zu sein scheint, bedeutet das freilich einen Achter; zum Glück einen, den wir uns wenig zu nütze zu machen gesonnen sind. Vor allem fesselt uns das Werk gleichsam von selbst in der richtigen Stellung. So groß ist die Fülle der Beziehungen, die von allen Seiten her nach den bedeutungsvollen Punkten zusammenlaufen, und wenn nur selbst diese erschöpft haben sollten, so reichhaltig ist nochmals die Gliederung der ordnende» Hauptlinien, das; wir uns in sie geradezu verlieren können. Auch hat der Künstler selbst »och dafür gesorgt, daß wir möglichst spät erwachen. Er hat den Sockel, der doch auch noch mit zum Denkmal gehört, zwar in sehr guten, aber äußerst einfachen Verhältnissen gehalten. Als Schmuck trägt er vorn mir den Namen „Richard Wagner" und an der rechten und linken Schmalseite, also von vorn uur wenig sichtbar, einen Lorbeer- und einen Eichenkranz. Einmal folgt freilich jedem Rausche die Ernüchterung, selbst dem der Linieusymphvuie, die der Plastiker hier vor uns aufführt. Denn mitten in diesen» Schwelgen in den Linien stellt sich ein gewisses Gefühl der Leere ein. Wir kommen aus der geometrischen Auffassung, mit der wir so bequem in die künstlerischen Geheimnisse des Bild¬ wertes einzudringen vermochten, merkwürdigerweise much gar nicht wieder heraus. Sie sührt uns zu nichts. Es ist und bleibt ein rein arabeskenhafter Kunst¬ genuß, über dem nur uns schließlich ertappen, der wenig von der wichtigen Rolle enthält, die die Linienführung i» der bildenden Kunst in Wahrheit spielen soll und die besonders ans berühmten Gemälden allgemeiner bekannt ist. So steht in Makarts Einzugslüld Karl der Fünfte im Mittelpunkte der diagonaler Anordnung; in der Krenzesnbnahme von Rubens gehen die sich kreuzenden Linien durch den Ehristnskörper hindurch. Ich erinnere noch an die Haltung der Figuren auf der Stuhlinadonna, an die Gruppeneinteilnng ans dem Abendmahlsbilde des Leonardo n. s. w. Überall hat die Linieufül,- rung die Aufgabe, einen einzelnen inhaltlich bedeutungsvollen Teil des Bild- wertes anschaulich herauszuheben, oder die innern Beziehungen mehrerer wichtigen Teile auch dem Auge bemerklich zu machen. Wenden wir diese Be¬ obachtung auf unser Standbild an, indem Nur nach dem Inhalte fragen, dem ein so bewunderungswürdiges Linieuspiel als Fassung dient, so wird mit dieser Frage der Zauber, in dem uns Schayer gefangen hielt, allerdings ge¬ brochen. Am meisten müßte dieser Inhalt wohl in den zwei Punkten r und > hervortreten, nach dem das ganze Liniengewebe wie nach seinen beiden Brenn¬ punkten hinstrebt, ähnlich wie in den erstgenannten beiden Gemälden, oder auch wie in zahlreichen Christkindbildern alle Linien auf dieses als den ideellen Mittel- und Schwerpunkt des Ganzen hinweisen. Was erblicken wir nun in diesem so hochwichtigen r und I V In 1, wie schon bemerkt, eine Partitur, die immerhin als bedeutungsvolle Verkörperung des Wagnerschen Schaffens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/566>, abgerufen am 25.08.2024.