Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Entwurf eines Ivagnerdenknmls für Leipzig

das Werk als Kunstthat ersten Ranges darstellt, wodurch es den besten Mustern
seiner Gattung ebenbürtig wird, ist die bewunderungswürdige Führung der
Linien.

Ich kann mich meiner Aufgabe, wenigstens eine angenäherte Borstellnng
dieses Limenprachtgewebes zu geben, vielleicht am besten entledigen, wenn es
mir verstattet wird, sie rein mathematisch anzugreifen. Nennen wir die rechte
Schulter 15, die linke 1^ und ziehen wir von 1" und 1^ Gerade nach zwei rechts
und links in der Standebene gelegenen Punkten r und l, wobei die Be¬
zeichnungen rechts und links stets von dem Standbilde ans gewählt sind, so
entstehen zwei Dreiecke Ri^r und in^l, die den Fluß der Linien des Stand¬
bildes bestimmen. Die Linie dir wird gebildet durch deu Rock und dessen
vorderen Längsfalten, der zurückgeschlagen ist und auf dem rechten Bein auf¬
liegt. Die Linie I^r setzt sich ans dein linken, bis zur Mitte des Oberleibes
herabreichenden Rockkragen und dem in ganzer Ausdehnung sichtbaren rechten
Bein zusammen. Die Linien lU und werden eingeleitet von dem straff
nach dem linken Knie herübcrgestreckten rechten Arm und dem linken Oberarm,
aufgenommen und zu Ende geführt durch eine links schräg angelehnte Partitur,
die auf einer zweiten, glatt auf der Erde liegenden aufsteht.

Diesen beiden Hauptrichtungen ordnen sich noch eine Anzahl Nebenlinien
nnter. Ein Felsstück, auf dem der linke Fuß ruht, ist nach r zu abgeschrägt.
Dasselbe gilt von den Falten der linken unteren Rockecke, die das linke Knie
bedeckt und von ihm herab genau nach r hinweist. Das auf dem Knie ruhende
Buch dacht sich zu beiden Seiten nach r und I hin ab. Endlich der halb
seitlich gewandte Kopf gehört mit seiner linken Gesichtsfläche zu dem Dreieck
KZU, während die Profillinie Stirn-Nase nach r hinläuft. Der Hauptreiz
der Anlage besteht in der Art. wie die notwendige Überkrenzung der Dreiecke,
wobei die Linie ni über die Linie I^r hinweggeht, durchgeführt ist.

Zu diesem so reichhaltigen Aufbau kommt aber als neuer Reiz noch eine
Senkrechte hinzu, die sich ans dem auf der Brust herablaufenden Westensanm
und dem linken Unterschenkel zusammensetzt. Diese Senkrechte ist el" meuig
nach links gerückt, wodurch auch die beiden Dreiecke aus ihrer rein symmetrische"
Lage herausgerissen werden. Wie diese Verschiebung auf andre Weise doch
wieder ausgeglichen wird, das übersteigt ebenso, wie noch einige andre be¬
sonders fein geführte Linienzüge, die Kraft des beschreibenden Wortes. Bielleicht,
daß die bisherigen Mitteilungen wenigstens eine Ahnung davon erwecken, mit
welchem Triumphe der reinen Formengebung wir es hier zu thun haben.

Um den geschilderten Eindruck zu erhalten, muß man seineu Stand freilich
genau von vorn nehmen. Tritt man nnr um einen achtet Kreis rechts oder
links zur Seite, so schwächt sich die Wirkung bereits bedeutend ab. Die Rück¬
seite endlich ist gleich Null. Der richtige Platz zur Aufstellung des Werkes
wäre deshalb der Hintergrund einer Nische, die keine Seitenansichten er-


Der Entwurf eines Ivagnerdenknmls für Leipzig

das Werk als Kunstthat ersten Ranges darstellt, wodurch es den besten Mustern
seiner Gattung ebenbürtig wird, ist die bewunderungswürdige Führung der
Linien.

Ich kann mich meiner Aufgabe, wenigstens eine angenäherte Borstellnng
dieses Limenprachtgewebes zu geben, vielleicht am besten entledigen, wenn es
mir verstattet wird, sie rein mathematisch anzugreifen. Nennen wir die rechte
Schulter 15, die linke 1^ und ziehen wir von 1» und 1^ Gerade nach zwei rechts
und links in der Standebene gelegenen Punkten r und l, wobei die Be¬
zeichnungen rechts und links stets von dem Standbilde ans gewählt sind, so
entstehen zwei Dreiecke Ri^r und in^l, die den Fluß der Linien des Stand¬
bildes bestimmen. Die Linie dir wird gebildet durch deu Rock und dessen
vorderen Längsfalten, der zurückgeschlagen ist und auf dem rechten Bein auf¬
liegt. Die Linie I^r setzt sich ans dein linken, bis zur Mitte des Oberleibes
herabreichenden Rockkragen und dem in ganzer Ausdehnung sichtbaren rechten
Bein zusammen. Die Linien lU und werden eingeleitet von dem straff
nach dem linken Knie herübcrgestreckten rechten Arm und dem linken Oberarm,
aufgenommen und zu Ende geführt durch eine links schräg angelehnte Partitur,
die auf einer zweiten, glatt auf der Erde liegenden aufsteht.

Diesen beiden Hauptrichtungen ordnen sich noch eine Anzahl Nebenlinien
nnter. Ein Felsstück, auf dem der linke Fuß ruht, ist nach r zu abgeschrägt.
Dasselbe gilt von den Falten der linken unteren Rockecke, die das linke Knie
bedeckt und von ihm herab genau nach r hinweist. Das auf dem Knie ruhende
Buch dacht sich zu beiden Seiten nach r und I hin ab. Endlich der halb
seitlich gewandte Kopf gehört mit seiner linken Gesichtsfläche zu dem Dreieck
KZU, während die Profillinie Stirn-Nase nach r hinläuft. Der Hauptreiz
der Anlage besteht in der Art. wie die notwendige Überkrenzung der Dreiecke,
wobei die Linie ni über die Linie I^r hinweggeht, durchgeführt ist.

Zu diesem so reichhaltigen Aufbau kommt aber als neuer Reiz noch eine
Senkrechte hinzu, die sich ans dem auf der Brust herablaufenden Westensanm
und dem linken Unterschenkel zusammensetzt. Diese Senkrechte ist el» meuig
nach links gerückt, wodurch auch die beiden Dreiecke aus ihrer rein symmetrische»
Lage herausgerissen werden. Wie diese Verschiebung auf andre Weise doch
wieder ausgeglichen wird, das übersteigt ebenso, wie noch einige andre be¬
sonders fein geführte Linienzüge, die Kraft des beschreibenden Wortes. Bielleicht,
daß die bisherigen Mitteilungen wenigstens eine Ahnung davon erwecken, mit
welchem Triumphe der reinen Formengebung wir es hier zu thun haben.

Um den geschilderten Eindruck zu erhalten, muß man seineu Stand freilich
genau von vorn nehmen. Tritt man nnr um einen achtet Kreis rechts oder
links zur Seite, so schwächt sich die Wirkung bereits bedeutend ab. Die Rück¬
seite endlich ist gleich Null. Der richtige Platz zur Aufstellung des Werkes
wäre deshalb der Hintergrund einer Nische, die keine Seitenansichten er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209144"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Entwurf eines Ivagnerdenknmls für Leipzig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1645" prev="#ID_1644"> das Werk als Kunstthat ersten Ranges darstellt, wodurch es den besten Mustern<lb/>
seiner Gattung ebenbürtig wird, ist die bewunderungswürdige Führung der<lb/>
Linien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1646"> Ich kann mich meiner Aufgabe, wenigstens eine angenäherte Borstellnng<lb/>
dieses Limenprachtgewebes zu geben, vielleicht am besten entledigen, wenn es<lb/>
mir verstattet wird, sie rein mathematisch anzugreifen. Nennen wir die rechte<lb/>
Schulter 15, die linke 1^ und ziehen wir von 1» und 1^ Gerade nach zwei rechts<lb/>
und links in der Standebene gelegenen Punkten r und l, wobei die Be¬<lb/>
zeichnungen rechts und links stets von dem Standbilde ans gewählt sind, so<lb/>
entstehen zwei Dreiecke Ri^r und in^l, die den Fluß der Linien des Stand¬<lb/>
bildes bestimmen. Die Linie dir wird gebildet durch deu Rock und dessen<lb/>
vorderen Längsfalten, der zurückgeschlagen ist und auf dem rechten Bein auf¬<lb/>
liegt. Die Linie I^r setzt sich ans dein linken, bis zur Mitte des Oberleibes<lb/>
herabreichenden Rockkragen und dem in ganzer Ausdehnung sichtbaren rechten<lb/>
Bein zusammen. Die Linien lU und werden eingeleitet von dem straff<lb/>
nach dem linken Knie herübcrgestreckten rechten Arm und dem linken Oberarm,<lb/>
aufgenommen und zu Ende geführt durch eine links schräg angelehnte Partitur,<lb/>
die auf einer zweiten, glatt auf der Erde liegenden aufsteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1647"> Diesen beiden Hauptrichtungen ordnen sich noch eine Anzahl Nebenlinien<lb/>
nnter. Ein Felsstück, auf dem der linke Fuß ruht, ist nach r zu abgeschrägt.<lb/>
Dasselbe gilt von den Falten der linken unteren Rockecke, die das linke Knie<lb/>
bedeckt und von ihm herab genau nach r hinweist. Das auf dem Knie ruhende<lb/>
Buch dacht sich zu beiden Seiten nach r und I hin ab. Endlich der halb<lb/>
seitlich gewandte Kopf gehört mit seiner linken Gesichtsfläche zu dem Dreieck<lb/>
KZU, während die Profillinie Stirn-Nase nach r hinläuft. Der Hauptreiz<lb/>
der Anlage besteht in der Art. wie die notwendige Überkrenzung der Dreiecke,<lb/>
wobei die Linie ni über die Linie I^r hinweggeht, durchgeführt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1648"> Zu diesem so reichhaltigen Aufbau kommt aber als neuer Reiz noch eine<lb/>
Senkrechte hinzu, die sich ans dem auf der Brust herablaufenden Westensanm<lb/>
und dem linken Unterschenkel zusammensetzt. Diese Senkrechte ist el» meuig<lb/>
nach links gerückt, wodurch auch die beiden Dreiecke aus ihrer rein symmetrische»<lb/>
Lage herausgerissen werden. Wie diese Verschiebung auf andre Weise doch<lb/>
wieder ausgeglichen wird, das übersteigt ebenso, wie noch einige andre be¬<lb/>
sonders fein geführte Linienzüge, die Kraft des beschreibenden Wortes. Bielleicht,<lb/>
daß die bisherigen Mitteilungen wenigstens eine Ahnung davon erwecken, mit<lb/>
welchem Triumphe der reinen Formengebung wir es hier zu thun haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1649" next="#ID_1650"> Um den geschilderten Eindruck zu erhalten, muß man seineu Stand freilich<lb/>
genau von vorn nehmen. Tritt man nnr um einen achtet Kreis rechts oder<lb/>
links zur Seite, so schwächt sich die Wirkung bereits bedeutend ab. Die Rück¬<lb/>
seite endlich ist gleich Null. Der richtige Platz zur Aufstellung des Werkes<lb/>
wäre deshalb der Hintergrund einer Nische, die keine Seitenansichten er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0565] Der Entwurf eines Ivagnerdenknmls für Leipzig das Werk als Kunstthat ersten Ranges darstellt, wodurch es den besten Mustern seiner Gattung ebenbürtig wird, ist die bewunderungswürdige Führung der Linien. Ich kann mich meiner Aufgabe, wenigstens eine angenäherte Borstellnng dieses Limenprachtgewebes zu geben, vielleicht am besten entledigen, wenn es mir verstattet wird, sie rein mathematisch anzugreifen. Nennen wir die rechte Schulter 15, die linke 1^ und ziehen wir von 1» und 1^ Gerade nach zwei rechts und links in der Standebene gelegenen Punkten r und l, wobei die Be¬ zeichnungen rechts und links stets von dem Standbilde ans gewählt sind, so entstehen zwei Dreiecke Ri^r und in^l, die den Fluß der Linien des Stand¬ bildes bestimmen. Die Linie dir wird gebildet durch deu Rock und dessen vorderen Längsfalten, der zurückgeschlagen ist und auf dem rechten Bein auf¬ liegt. Die Linie I^r setzt sich ans dein linken, bis zur Mitte des Oberleibes herabreichenden Rockkragen und dem in ganzer Ausdehnung sichtbaren rechten Bein zusammen. Die Linien lU und werden eingeleitet von dem straff nach dem linken Knie herübcrgestreckten rechten Arm und dem linken Oberarm, aufgenommen und zu Ende geführt durch eine links schräg angelehnte Partitur, die auf einer zweiten, glatt auf der Erde liegenden aufsteht. Diesen beiden Hauptrichtungen ordnen sich noch eine Anzahl Nebenlinien nnter. Ein Felsstück, auf dem der linke Fuß ruht, ist nach r zu abgeschrägt. Dasselbe gilt von den Falten der linken unteren Rockecke, die das linke Knie bedeckt und von ihm herab genau nach r hinweist. Das auf dem Knie ruhende Buch dacht sich zu beiden Seiten nach r und I hin ab. Endlich der halb seitlich gewandte Kopf gehört mit seiner linken Gesichtsfläche zu dem Dreieck KZU, während die Profillinie Stirn-Nase nach r hinläuft. Der Hauptreiz der Anlage besteht in der Art. wie die notwendige Überkrenzung der Dreiecke, wobei die Linie ni über die Linie I^r hinweggeht, durchgeführt ist. Zu diesem so reichhaltigen Aufbau kommt aber als neuer Reiz noch eine Senkrechte hinzu, die sich ans dem auf der Brust herablaufenden Westensanm und dem linken Unterschenkel zusammensetzt. Diese Senkrechte ist el» meuig nach links gerückt, wodurch auch die beiden Dreiecke aus ihrer rein symmetrische» Lage herausgerissen werden. Wie diese Verschiebung auf andre Weise doch wieder ausgeglichen wird, das übersteigt ebenso, wie noch einige andre be¬ sonders fein geführte Linienzüge, die Kraft des beschreibenden Wortes. Bielleicht, daß die bisherigen Mitteilungen wenigstens eine Ahnung davon erwecken, mit welchem Triumphe der reinen Formengebung wir es hier zu thun haben. Um den geschilderten Eindruck zu erhalten, muß man seineu Stand freilich genau von vorn nehmen. Tritt man nnr um einen achtet Kreis rechts oder links zur Seite, so schwächt sich die Wirkung bereits bedeutend ab. Die Rück¬ seite endlich ist gleich Null. Der richtige Platz zur Aufstellung des Werkes wäre deshalb der Hintergrund einer Nische, die keine Seitenansichten er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/565
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/565>, abgerufen am 25.08.2024.