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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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gar, wo es sich um Richard Wagner handelt, den ohne Aufsehen, Lärm und
Streit auch nur zu nennen kaum möglich erscheint. Doppelte Vorsicht und
doppelte Prüfung ist hier im Vorteil aller Parteien. Leider ist das in Aus¬
sicht stehende Kunstwerk ein solches, daß vor allem Wagnerianer wünschen
müssen, mit seiner Ausführung verschont zu bleiben.

Dem Verfertiger des Entwurfes, Professor Fritz Schayer in Berlin, geht
sein Name voran. Und wirklich, wenn man das Modell, das gegenwärtig im
Museum in Leipzig öffentlich aufgestellt ist, nur erst erblickt, wird man auch
schon durch einen kühnen Handstreich gefangen genommen, den der Künstler
aus die Beschauer gewagt hat. Mit dein Rechte des freien Schaffens gegen¬
über der starren Regel hat er die Vorschrift von Wagners Leibphilosopheu
Schopenhauer (Gwinner, Schopenhauers Leben, zweite Auflage 1878, S. 440)
durchbrochen, daß Dichtern und Denkern die Büste gebühre, und hat darüber
die Sicherheit und die sonstigen Vorteile darangegeben, die mit einer solchen
Lösung der gestellten Aufgabe verbunden gewesen wären. Schayer hat dies
gewagt, obwohl es als eine Unmöglichkeit erscheinen konnte, einen Mann mit
verhältnismäßig viel zu kurzen Beinen und viel zu großem .Kopfe, wie sie
Wagner hatte, in voller Gestalt aufs Postament zu heben. Allein der be¬
kannte Kunstgriff, derartige Persönlichkeiten sitzend darzustellen, half selbst noch
über die ganz uudeukmalsmäßige Verhältnislosigkeit im Körperbau eines
Richard Wagner hinweg. Ein weites Obergewand, der sattsam bekannte
heilige Mnrtiusmantel der modernen Plastik, den sie mit nimmer endender
Selbstbemitleiduug sich stets von neuem zuwirft, diente dazu, die Ecken und
Lücken in dem Bilde eiues sitzenden Mannes in heutiger Kleidung auszufüllen.
Sage ich noch, daß Wagner auf dem linken Knie ein geöffnetes Buch, eine
Partitur, hält, in der die etwas zurückgezogene Linke blättert, während die
mit dem Taktstock bewehrte, straff vorgeschobene Rechte fest auf das Buch
aufgesetzt ist, daß das rechte Bein in lebhafter Bewegung sich rechts seitwärts
ausstreckt, als ob Wngner sich eben erheben wollte, und daß endlich der Kops,
mit kraftvollem Ausdruck ebenfalls nach rechts gewandt ist, als ob von dort¬
her ein Angriff käme oder dorthin zu richten wäre, so habe ich dein Leser
wenigstens die ersten allgemeinen Züge des neuen Kunstereignisses überliefert.

Man sieht, das sind alles sehr einfache Dinge, wie sie jedem für ein
solches Denkmal einfallen. Soll also das Werk irgend welchen künstlerische"
Wert haben, so wird er in dem sie einheitlich zusammenfassenden Grundge¬
danken sowie in der Ausführung liegen müssen. Zunächst zieht die Ausführung
unsre Aufmerksamkeit auf sich.

Nur mit aufrichtigem Bedauern sehe ich mich jetzt der Notwendigkeit
gegenüber, mit unvermögenden, schattenhaften Worten eine Leistung Schcipers
wiederzugeben, für deren Mitteilung und Würdigung kaum eine gute Zeichnung,
sondern nur der Anblick des Urbildes selber ausreichen würde. Wodurch sich


gar, wo es sich um Richard Wagner handelt, den ohne Aufsehen, Lärm und
Streit auch nur zu nennen kaum möglich erscheint. Doppelte Vorsicht und
doppelte Prüfung ist hier im Vorteil aller Parteien. Leider ist das in Aus¬
sicht stehende Kunstwerk ein solches, daß vor allem Wagnerianer wünschen
müssen, mit seiner Ausführung verschont zu bleiben.

Dem Verfertiger des Entwurfes, Professor Fritz Schayer in Berlin, geht
sein Name voran. Und wirklich, wenn man das Modell, das gegenwärtig im
Museum in Leipzig öffentlich aufgestellt ist, nur erst erblickt, wird man auch
schon durch einen kühnen Handstreich gefangen genommen, den der Künstler
aus die Beschauer gewagt hat. Mit dein Rechte des freien Schaffens gegen¬
über der starren Regel hat er die Vorschrift von Wagners Leibphilosopheu
Schopenhauer (Gwinner, Schopenhauers Leben, zweite Auflage 1878, S. 440)
durchbrochen, daß Dichtern und Denkern die Büste gebühre, und hat darüber
die Sicherheit und die sonstigen Vorteile darangegeben, die mit einer solchen
Lösung der gestellten Aufgabe verbunden gewesen wären. Schayer hat dies
gewagt, obwohl es als eine Unmöglichkeit erscheinen konnte, einen Mann mit
verhältnismäßig viel zu kurzen Beinen und viel zu großem .Kopfe, wie sie
Wagner hatte, in voller Gestalt aufs Postament zu heben. Allein der be¬
kannte Kunstgriff, derartige Persönlichkeiten sitzend darzustellen, half selbst noch
über die ganz uudeukmalsmäßige Verhältnislosigkeit im Körperbau eines
Richard Wagner hinweg. Ein weites Obergewand, der sattsam bekannte
heilige Mnrtiusmantel der modernen Plastik, den sie mit nimmer endender
Selbstbemitleiduug sich stets von neuem zuwirft, diente dazu, die Ecken und
Lücken in dem Bilde eiues sitzenden Mannes in heutiger Kleidung auszufüllen.
Sage ich noch, daß Wagner auf dem linken Knie ein geöffnetes Buch, eine
Partitur, hält, in der die etwas zurückgezogene Linke blättert, während die
mit dem Taktstock bewehrte, straff vorgeschobene Rechte fest auf das Buch
aufgesetzt ist, daß das rechte Bein in lebhafter Bewegung sich rechts seitwärts
ausstreckt, als ob Wngner sich eben erheben wollte, und daß endlich der Kops,
mit kraftvollem Ausdruck ebenfalls nach rechts gewandt ist, als ob von dort¬
her ein Angriff käme oder dorthin zu richten wäre, so habe ich dein Leser
wenigstens die ersten allgemeinen Züge des neuen Kunstereignisses überliefert.

Man sieht, das sind alles sehr einfache Dinge, wie sie jedem für ein
solches Denkmal einfallen. Soll also das Werk irgend welchen künstlerische»
Wert haben, so wird er in dem sie einheitlich zusammenfassenden Grundge¬
danken sowie in der Ausführung liegen müssen. Zunächst zieht die Ausführung
unsre Aufmerksamkeit auf sich.

Nur mit aufrichtigem Bedauern sehe ich mich jetzt der Notwendigkeit
gegenüber, mit unvermögenden, schattenhaften Worten eine Leistung Schcipers
wiederzugeben, für deren Mitteilung und Würdigung kaum eine gute Zeichnung,
sondern nur der Anblick des Urbildes selber ausreichen würde. Wodurch sich


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[0564] gar, wo es sich um Richard Wagner handelt, den ohne Aufsehen, Lärm und Streit auch nur zu nennen kaum möglich erscheint. Doppelte Vorsicht und doppelte Prüfung ist hier im Vorteil aller Parteien. Leider ist das in Aus¬ sicht stehende Kunstwerk ein solches, daß vor allem Wagnerianer wünschen müssen, mit seiner Ausführung verschont zu bleiben. Dem Verfertiger des Entwurfes, Professor Fritz Schayer in Berlin, geht sein Name voran. Und wirklich, wenn man das Modell, das gegenwärtig im Museum in Leipzig öffentlich aufgestellt ist, nur erst erblickt, wird man auch schon durch einen kühnen Handstreich gefangen genommen, den der Künstler aus die Beschauer gewagt hat. Mit dein Rechte des freien Schaffens gegen¬ über der starren Regel hat er die Vorschrift von Wagners Leibphilosopheu Schopenhauer (Gwinner, Schopenhauers Leben, zweite Auflage 1878, S. 440) durchbrochen, daß Dichtern und Denkern die Büste gebühre, und hat darüber die Sicherheit und die sonstigen Vorteile darangegeben, die mit einer solchen Lösung der gestellten Aufgabe verbunden gewesen wären. Schayer hat dies gewagt, obwohl es als eine Unmöglichkeit erscheinen konnte, einen Mann mit verhältnismäßig viel zu kurzen Beinen und viel zu großem .Kopfe, wie sie Wagner hatte, in voller Gestalt aufs Postament zu heben. Allein der be¬ kannte Kunstgriff, derartige Persönlichkeiten sitzend darzustellen, half selbst noch über die ganz uudeukmalsmäßige Verhältnislosigkeit im Körperbau eines Richard Wagner hinweg. Ein weites Obergewand, der sattsam bekannte heilige Mnrtiusmantel der modernen Plastik, den sie mit nimmer endender Selbstbemitleiduug sich stets von neuem zuwirft, diente dazu, die Ecken und Lücken in dem Bilde eiues sitzenden Mannes in heutiger Kleidung auszufüllen. Sage ich noch, daß Wagner auf dem linken Knie ein geöffnetes Buch, eine Partitur, hält, in der die etwas zurückgezogene Linke blättert, während die mit dem Taktstock bewehrte, straff vorgeschobene Rechte fest auf das Buch aufgesetzt ist, daß das rechte Bein in lebhafter Bewegung sich rechts seitwärts ausstreckt, als ob Wngner sich eben erheben wollte, und daß endlich der Kops, mit kraftvollem Ausdruck ebenfalls nach rechts gewandt ist, als ob von dort¬ her ein Angriff käme oder dorthin zu richten wäre, so habe ich dein Leser wenigstens die ersten allgemeinen Züge des neuen Kunstereignisses überliefert. Man sieht, das sind alles sehr einfache Dinge, wie sie jedem für ein solches Denkmal einfallen. Soll also das Werk irgend welchen künstlerische» Wert haben, so wird er in dem sie einheitlich zusammenfassenden Grundge¬ danken sowie in der Ausführung liegen müssen. Zunächst zieht die Ausführung unsre Aufmerksamkeit auf sich. Nur mit aufrichtigem Bedauern sehe ich mich jetzt der Notwendigkeit gegenüber, mit unvermögenden, schattenhaften Worten eine Leistung Schcipers wiederzugeben, für deren Mitteilung und Würdigung kaum eine gute Zeichnung, sondern nur der Anblick des Urbildes selber ausreichen würde. Wodurch sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/564>, abgerufen am 23.07.2024.