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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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gesetzbuch ^ 39, 1); dem inländischen Jesuiten gegenüber geht die Macht der
Polizei noch weiter: nicht bloß kann ihm der Aufenthalt an einem bestimmten
Orte versagt werden, er kann auch gezwungen werden, seinen Aufenthalt an
einem bestimmten Orte zu nehmen, einem Jesuiten, der in Köln wohnt, kann
geboten werden, seinen Wohnsitz nach Gumbinnen zu verlegen, und wenn es
der Polizei gefällt, kann sie ihn nach ein Paar Wochen von Gumbinnen in
ein Dorf an der schlesischen Grenze verweisen. Das bedeutet thatsächlich nichts
andres als die Austreibung aus dem Reichsgebiet. Ist eine solche Maßregel
gerecht, oder ist sie auch nur zweckmäßig? Bon einer wirklichen Zweckmäßig¬
keit kann, wenn die Maßregel ungerecht ist, von vornherein leine Rede sein,
denn die Ungerechtigkeit ist nie zweckmäßig. Vielmehr kann es sich nur fragen,
ob die Maßregel im Sinn ihrer Urheber ihren Zweck zu erreichen vermag,
und diese Frage ist gerade so wie die nach der Gerechtigkeit zu verneinen.

Die gewvlmliche Polizeiaufsicht setzt eine gerichtliche Verurteilung voraus,
und zwar eine Verurteilung wegen Falschmünzerei, Diebstahl, Unterschlagung,
Raub, Erpressung, Hehlerei oder gemeingefährlicher Verbrechen, wie Brand¬
stiftung, oder wegen gewerbsmäßiger Unzucht; an eine vvrgüngige Verurteilung
war auch die nach dem Sozialistengesetz zulässige Einschränkung des Aufent¬
halts geknüpft, die zudem nur in einer Versagung des Aufenthalts, nicht in
der Anweisung eines solchen bestehen konnte. Dem Jesuiten gegenüber besteht
eine solche Voraussetzung nicht: er kann ausgewiesen und eingewiesen werden
einzig und allein aus dem Grunde, weil er Jesuit ist, also nicht wegen seiner
Thaten, nicht wegen strafbarer oder anch nur gefährlicher Reden und Hand¬
lungen, sondern wegen seiner Gesinnungen. Daß dies eine schreiende Ungerechtig¬
keit ist, das kann höchstens protestantischer Fanatismus leugnen, der so wenig
schön ist wie der katholische. Der Jesuitenorden ist eine abscheuliche Institution,
aber das rechtfertigt nicht die Verfolgung der einzelnen Jesuiten, die weder
durch That, noch durch Wort das Gesetz verletzt haben. Die Ermordung
Wilhelms von Oranien, der Mordversuch auf Vismarck waren Thaten des
Jesuitenordens, wenn auch kein einziger Jesuit den Balthasar Gerard oder
den Franz Kullmann zu seiner That angestiftet hat, "ut die große Mehrzahl
aller einzelnen Jesuiten das Verbrechen verabscheut. Das rechtfertigt nicht
bloß in einem paritätischen, sondern in jedem Staate die lUiterdrückung des
Jesuitenordens, aber, ich wiederhole es, es rechtfertigt nicht die Mißhandlung
des einzelnen Jesuiten; wegen seiner jesuitischen Gesinnung allein darf man
den einen Menschen so wenig verfolgen, wie einen andern wegen seiner frei¬
maurerischen oder einen dritten wegen seiner atheistischen Ansichten. Wie
urteilen denn wir Protestanten über die Proteftantenanstreibungen in Salzburg
und Tirol? Und da wollen wir es den Katholiken verdenken, daß sie ihre
Stimme gegen die Slustreibuug einzelner ihrer Glaubensgenossen erheben?
Wollte man die Menschen wegen ihrer schlechten oder staatsgefährlichen Ge-


gesetzbuch ^ 39, 1); dem inländischen Jesuiten gegenüber geht die Macht der
Polizei noch weiter: nicht bloß kann ihm der Aufenthalt an einem bestimmten
Orte versagt werden, er kann auch gezwungen werden, seinen Aufenthalt an
einem bestimmten Orte zu nehmen, einem Jesuiten, der in Köln wohnt, kann
geboten werden, seinen Wohnsitz nach Gumbinnen zu verlegen, und wenn es
der Polizei gefällt, kann sie ihn nach ein Paar Wochen von Gumbinnen in
ein Dorf an der schlesischen Grenze verweisen. Das bedeutet thatsächlich nichts
andres als die Austreibung aus dem Reichsgebiet. Ist eine solche Maßregel
gerecht, oder ist sie auch nur zweckmäßig? Bon einer wirklichen Zweckmäßig¬
keit kann, wenn die Maßregel ungerecht ist, von vornherein leine Rede sein,
denn die Ungerechtigkeit ist nie zweckmäßig. Vielmehr kann es sich nur fragen,
ob die Maßregel im Sinn ihrer Urheber ihren Zweck zu erreichen vermag,
und diese Frage ist gerade so wie die nach der Gerechtigkeit zu verneinen.

Die gewvlmliche Polizeiaufsicht setzt eine gerichtliche Verurteilung voraus,
und zwar eine Verurteilung wegen Falschmünzerei, Diebstahl, Unterschlagung,
Raub, Erpressung, Hehlerei oder gemeingefährlicher Verbrechen, wie Brand¬
stiftung, oder wegen gewerbsmäßiger Unzucht; an eine vvrgüngige Verurteilung
war auch die nach dem Sozialistengesetz zulässige Einschränkung des Aufent¬
halts geknüpft, die zudem nur in einer Versagung des Aufenthalts, nicht in
der Anweisung eines solchen bestehen konnte. Dem Jesuiten gegenüber besteht
eine solche Voraussetzung nicht: er kann ausgewiesen und eingewiesen werden
einzig und allein aus dem Grunde, weil er Jesuit ist, also nicht wegen seiner
Thaten, nicht wegen strafbarer oder anch nur gefährlicher Reden und Hand¬
lungen, sondern wegen seiner Gesinnungen. Daß dies eine schreiende Ungerechtig¬
keit ist, das kann höchstens protestantischer Fanatismus leugnen, der so wenig
schön ist wie der katholische. Der Jesuitenorden ist eine abscheuliche Institution,
aber das rechtfertigt nicht die Verfolgung der einzelnen Jesuiten, die weder
durch That, noch durch Wort das Gesetz verletzt haben. Die Ermordung
Wilhelms von Oranien, der Mordversuch auf Vismarck waren Thaten des
Jesuitenordens, wenn auch kein einziger Jesuit den Balthasar Gerard oder
den Franz Kullmann zu seiner That angestiftet hat, »ut die große Mehrzahl
aller einzelnen Jesuiten das Verbrechen verabscheut. Das rechtfertigt nicht
bloß in einem paritätischen, sondern in jedem Staate die lUiterdrückung des
Jesuitenordens, aber, ich wiederhole es, es rechtfertigt nicht die Mißhandlung
des einzelnen Jesuiten; wegen seiner jesuitischen Gesinnung allein darf man
den einen Menschen so wenig verfolgen, wie einen andern wegen seiner frei¬
maurerischen oder einen dritten wegen seiner atheistischen Ansichten. Wie
urteilen denn wir Protestanten über die Proteftantenanstreibungen in Salzburg
und Tirol? Und da wollen wir es den Katholiken verdenken, daß sie ihre
Stimme gegen die Slustreibuug einzelner ihrer Glaubensgenossen erheben?
Wollte man die Menschen wegen ihrer schlechten oder staatsgefährlichen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/555>, abgerufen am 25.08.2024.