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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das >s"itengesetz

Krieg auch der Bürgerkrieg willkommen wäre, wenn er zur Herrschaft
der "alleinseligmachenden Kirche," zur Herrschaft Roms über Deutschland
führte.

Die ungeheure Mehrzahl der deutschen Katholiken, auch derer, die ans
den Katholikentagen mit wiederum unfehlbarer Einstimmigkeit dem ihnen vor¬
gelegten Programm der ultramontanen Führer zustimmen, ist weit entfernt,
diese Folgen zu wollen; aber gewollt ober nicht gewollt, die Folgen kommen,
wenn man die Ursache ins Leben ruft, und wenn die Folgen da sind, wenn
die Flammen der Zwietracht zwischen Protestanten und Katholiken auflodern
und die Sozialdemokraten vergnügt sich daran die Hände Wärmen, dann ist
die Reue darüber, daß man die Ursache hat ins Leben rufen helfen, zu spät.

Wenn aber einerseits jene Folgen unausbleiblich sind und anderseits
unsre katholischen Mitbürger sie doch nicht wollen, wie kommt es dann, daß
die Katholikentage Tag für Tag einstimmig die Aufhebung des Jesuitengesctzes
forder"? Es ist ja wahr -- wir können es aus eigner am Ort einer kürzlich
gehaltenen zahlreich besuchten Versammlung geschöpfter Erfahrung bestätigen -- :
die Besucher der Tage tragen keineswegs alle den Stempel hoher Einsicht in
kirchliche und politische Dinge auf der Stiru, Aber daraus erklärt sich die
Erscheinung doch nicht; deun ebenso gewiß befinden sich unter den Ver¬
sammelten stets auch viele verständige Männer -- gerade ebenso verständig,
wie die protestantischen Männer, die ans den hie und da gehaltenen pro¬
testantischen Trntzversammluugen mit gleicher Entschiedenheit die Erhaltung
des Gesetzes verlangen. Ist doch vielleicht an dem Verlangen dieser vielen
Tausende von Katholiken nach Abschaffung des Gesetzes etwas Berechtigtes?
geht uicht doch vielleicht das Verlangen der Gegner, das ganze Gesetz wie es
ist, aufrecht zu erhalten, zu weit?

Was ist der Inhalt des Gesetzes? Wir wetten: unter hundert Pro¬
testanten oder Katholiken, die Resolutionen für oder gegen das Gesetz fassen
helfen, wissen ihn nicht zehn genan anzugeben; um aber auf die zuvor gestellte
Frage antworten zu können, ist offenbar die genaue Kenntnis des Gesetzes
unentbehrlich; wir stellen darum seinen wesentlichen Inhalt unsrer Erörterung
der aufgeworfenen Frage voran. Das Gesetz bestimmt:

1. Der Jesuitenorden ist vom Gebiete des deutschen Reiches ausgeschlossen.
2. Die Errichtung von Niederlassungen des Ordens ist untersagt,
3. Ausländische Jesuiten können aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden.
4. Inländischen Jesuiten kann der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder
Orten versagt oder angewiesen werden.

Der erste Satz enthält das allgemeine Prinzip, die folgenden drei Sätze
enthalten die praktische Anwendung, der zweite auf den Orden als Ganzes,
der dritte und vierte auf die einzelnen Mitglieder des Ordens. Der dritte
Satz hätte ohne allen Schaden aus dem Gesetz wegbleiben können, denn es ist


Das >s"itengesetz

Krieg auch der Bürgerkrieg willkommen wäre, wenn er zur Herrschaft
der „alleinseligmachenden Kirche," zur Herrschaft Roms über Deutschland
führte.

Die ungeheure Mehrzahl der deutschen Katholiken, auch derer, die ans
den Katholikentagen mit wiederum unfehlbarer Einstimmigkeit dem ihnen vor¬
gelegten Programm der ultramontanen Führer zustimmen, ist weit entfernt,
diese Folgen zu wollen; aber gewollt ober nicht gewollt, die Folgen kommen,
wenn man die Ursache ins Leben ruft, und wenn die Folgen da sind, wenn
die Flammen der Zwietracht zwischen Protestanten und Katholiken auflodern
und die Sozialdemokraten vergnügt sich daran die Hände Wärmen, dann ist
die Reue darüber, daß man die Ursache hat ins Leben rufen helfen, zu spät.

Wenn aber einerseits jene Folgen unausbleiblich sind und anderseits
unsre katholischen Mitbürger sie doch nicht wollen, wie kommt es dann, daß
die Katholikentage Tag für Tag einstimmig die Aufhebung des Jesuitengesctzes
forder»? Es ist ja wahr — wir können es aus eigner am Ort einer kürzlich
gehaltenen zahlreich besuchten Versammlung geschöpfter Erfahrung bestätigen — :
die Besucher der Tage tragen keineswegs alle den Stempel hoher Einsicht in
kirchliche und politische Dinge auf der Stiru, Aber daraus erklärt sich die
Erscheinung doch nicht; deun ebenso gewiß befinden sich unter den Ver¬
sammelten stets auch viele verständige Männer — gerade ebenso verständig,
wie die protestantischen Männer, die ans den hie und da gehaltenen pro¬
testantischen Trntzversammluugen mit gleicher Entschiedenheit die Erhaltung
des Gesetzes verlangen. Ist doch vielleicht an dem Verlangen dieser vielen
Tausende von Katholiken nach Abschaffung des Gesetzes etwas Berechtigtes?
geht uicht doch vielleicht das Verlangen der Gegner, das ganze Gesetz wie es
ist, aufrecht zu erhalten, zu weit?

Was ist der Inhalt des Gesetzes? Wir wetten: unter hundert Pro¬
testanten oder Katholiken, die Resolutionen für oder gegen das Gesetz fassen
helfen, wissen ihn nicht zehn genan anzugeben; um aber auf die zuvor gestellte
Frage antworten zu können, ist offenbar die genaue Kenntnis des Gesetzes
unentbehrlich; wir stellen darum seinen wesentlichen Inhalt unsrer Erörterung
der aufgeworfenen Frage voran. Das Gesetz bestimmt:

1. Der Jesuitenorden ist vom Gebiete des deutschen Reiches ausgeschlossen.
2. Die Errichtung von Niederlassungen des Ordens ist untersagt,
3. Ausländische Jesuiten können aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden.
4. Inländischen Jesuiten kann der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder
Orten versagt oder angewiesen werden.

Der erste Satz enthält das allgemeine Prinzip, die folgenden drei Sätze
enthalten die praktische Anwendung, der zweite auf den Orden als Ganzes,
der dritte und vierte auf die einzelnen Mitglieder des Ordens. Der dritte
Satz hätte ohne allen Schaden aus dem Gesetz wegbleiben können, denn es ist


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[0551] Das >s"itengesetz Krieg auch der Bürgerkrieg willkommen wäre, wenn er zur Herrschaft der „alleinseligmachenden Kirche," zur Herrschaft Roms über Deutschland führte. Die ungeheure Mehrzahl der deutschen Katholiken, auch derer, die ans den Katholikentagen mit wiederum unfehlbarer Einstimmigkeit dem ihnen vor¬ gelegten Programm der ultramontanen Führer zustimmen, ist weit entfernt, diese Folgen zu wollen; aber gewollt ober nicht gewollt, die Folgen kommen, wenn man die Ursache ins Leben ruft, und wenn die Folgen da sind, wenn die Flammen der Zwietracht zwischen Protestanten und Katholiken auflodern und die Sozialdemokraten vergnügt sich daran die Hände Wärmen, dann ist die Reue darüber, daß man die Ursache hat ins Leben rufen helfen, zu spät. Wenn aber einerseits jene Folgen unausbleiblich sind und anderseits unsre katholischen Mitbürger sie doch nicht wollen, wie kommt es dann, daß die Katholikentage Tag für Tag einstimmig die Aufhebung des Jesuitengesctzes forder»? Es ist ja wahr — wir können es aus eigner am Ort einer kürzlich gehaltenen zahlreich besuchten Versammlung geschöpfter Erfahrung bestätigen — : die Besucher der Tage tragen keineswegs alle den Stempel hoher Einsicht in kirchliche und politische Dinge auf der Stiru, Aber daraus erklärt sich die Erscheinung doch nicht; deun ebenso gewiß befinden sich unter den Ver¬ sammelten stets auch viele verständige Männer — gerade ebenso verständig, wie die protestantischen Männer, die ans den hie und da gehaltenen pro¬ testantischen Trntzversammluugen mit gleicher Entschiedenheit die Erhaltung des Gesetzes verlangen. Ist doch vielleicht an dem Verlangen dieser vielen Tausende von Katholiken nach Abschaffung des Gesetzes etwas Berechtigtes? geht uicht doch vielleicht das Verlangen der Gegner, das ganze Gesetz wie es ist, aufrecht zu erhalten, zu weit? Was ist der Inhalt des Gesetzes? Wir wetten: unter hundert Pro¬ testanten oder Katholiken, die Resolutionen für oder gegen das Gesetz fassen helfen, wissen ihn nicht zehn genan anzugeben; um aber auf die zuvor gestellte Frage antworten zu können, ist offenbar die genaue Kenntnis des Gesetzes unentbehrlich; wir stellen darum seinen wesentlichen Inhalt unsrer Erörterung der aufgeworfenen Frage voran. Das Gesetz bestimmt: 1. Der Jesuitenorden ist vom Gebiete des deutschen Reiches ausgeschlossen. 2. Die Errichtung von Niederlassungen des Ordens ist untersagt, 3. Ausländische Jesuiten können aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden. 4. Inländischen Jesuiten kann der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden. Der erste Satz enthält das allgemeine Prinzip, die folgenden drei Sätze enthalten die praktische Anwendung, der zweite auf den Orden als Ganzes, der dritte und vierte auf die einzelnen Mitglieder des Ordens. Der dritte Satz hätte ohne allen Schaden aus dem Gesetz wegbleiben können, denn es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/551>, abgerufen am 23.07.2024.