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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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kämpft mit tausendjährigem Dunkel, Wir wiegen und nähren den jungen
Geist eines neuen kräftigen Lebens auf unsern thätigen Armen, der ein junger
Herkules, noch in der Wiege die Schlangen Despotie und Geisteszwnng zer¬
drücken wird. Und so schlage ich denn dich, gegenwärtigen Theodor Espe zu
solchem Ritter! Theodor, du warst bis heute Lehrling; Herr Espe, von nnn
an sind Sie Kommis!

Herr Entenfraß zitterte vor Begeisterung, als er mit der Elle meine
Schulter berührte. Es war ein feierlicher Augenblick,

Die nächsten Jahre bieten meiner Geschichte nichts, als daß ich von
Nummer Acht zu Nummer Eius emporstieg. Madame Flötenspiel konnte ihre
wachsende Neigung zu mir nicht bergen, und es war kein Zweifel, daß ich,
sowie Herr Nauplius, der bereits vor Schwindsucht in seiner eignen Haut wie
in einem Burnus einherging, das Zeitliche segnete, der Mitbesitzer ihres be¬
deutenden Vermögens werden würde. Nicht vergessen darf ich, daß ich in
dieser Zeit für acht gute Groschen zu Mittag aß, beständig das Eleganteste
auf dem Leibe trug, vier Dutzend der feinsten Hemden von schlesischer Lein¬
wand besaß, daß ich Konzerte und Theater besuchte, über alles sprechen konnte,
daß ich die Ritterpflicht nie versäumte, wenn ich mit meiner Prinzipalin und
ihren Töchtern in einem Kaffeegarten oder ans einem Balle zufällig zusammen¬
kam, sie auf das galanteste zu unterhalten. Sie waren stolz auf mich und
konnten es sein, denn Urteile, wie! Schiller führt uns aus uns heraus, Goethe
führt uns in uns hinein, was man auch umgekehrt sagen kann; Redensarten
und Ausdrücke, wie objektiv und subjektiv, absolut und relativ, Sauerstoff,
Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, die höhere Ironie und dergleichen haschten
sich auf meinen Lippen. Dabei schwärmte ich für die Menschheit wie Mar¬
quis Posa, und wo zum besten Armer, Abgebrannter und dergleichen getanzt
oder Konzert gehört wurde, da war ich nicht der letzte und schonte weder
Füße noch Ohren. Dieses Schwärmen gab nur etwas Interessantes,
schmachtendes, vornehm Abgestandenes; dazu die unendliche Bescheidenheit,
die ich immer besaß und noch besitze -- kurz: ich war der liebenswürdigste
und vollkommenste Jüngling, den das Königreich Sachsen seit Jahrhunderten
hervorgebracht hatte.

Eines Tages -- es war in der Ostermesse -- trat eine schlanke, schöne
Dame in persischer Tracht in Herrn Entenfraßens Gewölbe. Sie wandte sich
an mich; ich mußte ihr das zeigen und jenes. Sie ließ, was sie kaufen wollte,
beiseite lege" und gab es ihren Begleitern, einem schwarzen Sklaven und einer
weißen Sklavin, die es nach Hanse bringen sollten. Dann nahm sie den
Schleier ab, verbeugte sich und verließ mit ihren Domestiken das Gewölbe.
Wie vom Blitz getroffen stand ich da. Solche Schönheit hatte ich nie ge¬
sehen, nie geahnt. Mit uiegefühlter Wonne durchschauerte mich ihr Lächeln.
Ich sah die blendend weiße Stirn mit den dunkelschwarzen Bogen der Brauen,


kämpft mit tausendjährigem Dunkel, Wir wiegen und nähren den jungen
Geist eines neuen kräftigen Lebens auf unsern thätigen Armen, der ein junger
Herkules, noch in der Wiege die Schlangen Despotie und Geisteszwnng zer¬
drücken wird. Und so schlage ich denn dich, gegenwärtigen Theodor Espe zu
solchem Ritter! Theodor, du warst bis heute Lehrling; Herr Espe, von nnn
an sind Sie Kommis!

Herr Entenfraß zitterte vor Begeisterung, als er mit der Elle meine
Schulter berührte. Es war ein feierlicher Augenblick,

Die nächsten Jahre bieten meiner Geschichte nichts, als daß ich von
Nummer Acht zu Nummer Eius emporstieg. Madame Flötenspiel konnte ihre
wachsende Neigung zu mir nicht bergen, und es war kein Zweifel, daß ich,
sowie Herr Nauplius, der bereits vor Schwindsucht in seiner eignen Haut wie
in einem Burnus einherging, das Zeitliche segnete, der Mitbesitzer ihres be¬
deutenden Vermögens werden würde. Nicht vergessen darf ich, daß ich in
dieser Zeit für acht gute Groschen zu Mittag aß, beständig das Eleganteste
auf dem Leibe trug, vier Dutzend der feinsten Hemden von schlesischer Lein¬
wand besaß, daß ich Konzerte und Theater besuchte, über alles sprechen konnte,
daß ich die Ritterpflicht nie versäumte, wenn ich mit meiner Prinzipalin und
ihren Töchtern in einem Kaffeegarten oder ans einem Balle zufällig zusammen¬
kam, sie auf das galanteste zu unterhalten. Sie waren stolz auf mich und
konnten es sein, denn Urteile, wie! Schiller führt uns aus uns heraus, Goethe
führt uns in uns hinein, was man auch umgekehrt sagen kann; Redensarten
und Ausdrücke, wie objektiv und subjektiv, absolut und relativ, Sauerstoff,
Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, die höhere Ironie und dergleichen haschten
sich auf meinen Lippen. Dabei schwärmte ich für die Menschheit wie Mar¬
quis Posa, und wo zum besten Armer, Abgebrannter und dergleichen getanzt
oder Konzert gehört wurde, da war ich nicht der letzte und schonte weder
Füße noch Ohren. Dieses Schwärmen gab nur etwas Interessantes,
schmachtendes, vornehm Abgestandenes; dazu die unendliche Bescheidenheit,
die ich immer besaß und noch besitze — kurz: ich war der liebenswürdigste
und vollkommenste Jüngling, den das Königreich Sachsen seit Jahrhunderten
hervorgebracht hatte.

Eines Tages — es war in der Ostermesse — trat eine schlanke, schöne
Dame in persischer Tracht in Herrn Entenfraßens Gewölbe. Sie wandte sich
an mich; ich mußte ihr das zeigen und jenes. Sie ließ, was sie kaufen wollte,
beiseite lege» und gab es ihren Begleitern, einem schwarzen Sklaven und einer
weißen Sklavin, die es nach Hanse bringen sollten. Dann nahm sie den
Schleier ab, verbeugte sich und verließ mit ihren Domestiken das Gewölbe.
Wie vom Blitz getroffen stand ich da. Solche Schönheit hatte ich nie ge¬
sehen, nie geahnt. Mit uiegefühlter Wonne durchschauerte mich ihr Lächeln.
Ich sah die blendend weiße Stirn mit den dunkelschwarzen Bogen der Brauen,


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[0536] kämpft mit tausendjährigem Dunkel, Wir wiegen und nähren den jungen Geist eines neuen kräftigen Lebens auf unsern thätigen Armen, der ein junger Herkules, noch in der Wiege die Schlangen Despotie und Geisteszwnng zer¬ drücken wird. Und so schlage ich denn dich, gegenwärtigen Theodor Espe zu solchem Ritter! Theodor, du warst bis heute Lehrling; Herr Espe, von nnn an sind Sie Kommis! Herr Entenfraß zitterte vor Begeisterung, als er mit der Elle meine Schulter berührte. Es war ein feierlicher Augenblick, Die nächsten Jahre bieten meiner Geschichte nichts, als daß ich von Nummer Acht zu Nummer Eius emporstieg. Madame Flötenspiel konnte ihre wachsende Neigung zu mir nicht bergen, und es war kein Zweifel, daß ich, sowie Herr Nauplius, der bereits vor Schwindsucht in seiner eignen Haut wie in einem Burnus einherging, das Zeitliche segnete, der Mitbesitzer ihres be¬ deutenden Vermögens werden würde. Nicht vergessen darf ich, daß ich in dieser Zeit für acht gute Groschen zu Mittag aß, beständig das Eleganteste auf dem Leibe trug, vier Dutzend der feinsten Hemden von schlesischer Lein¬ wand besaß, daß ich Konzerte und Theater besuchte, über alles sprechen konnte, daß ich die Ritterpflicht nie versäumte, wenn ich mit meiner Prinzipalin und ihren Töchtern in einem Kaffeegarten oder ans einem Balle zufällig zusammen¬ kam, sie auf das galanteste zu unterhalten. Sie waren stolz auf mich und konnten es sein, denn Urteile, wie! Schiller führt uns aus uns heraus, Goethe führt uns in uns hinein, was man auch umgekehrt sagen kann; Redensarten und Ausdrücke, wie objektiv und subjektiv, absolut und relativ, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, die höhere Ironie und dergleichen haschten sich auf meinen Lippen. Dabei schwärmte ich für die Menschheit wie Mar¬ quis Posa, und wo zum besten Armer, Abgebrannter und dergleichen getanzt oder Konzert gehört wurde, da war ich nicht der letzte und schonte weder Füße noch Ohren. Dieses Schwärmen gab nur etwas Interessantes, schmachtendes, vornehm Abgestandenes; dazu die unendliche Bescheidenheit, die ich immer besaß und noch besitze — kurz: ich war der liebenswürdigste und vollkommenste Jüngling, den das Königreich Sachsen seit Jahrhunderten hervorgebracht hatte. Eines Tages — es war in der Ostermesse — trat eine schlanke, schöne Dame in persischer Tracht in Herrn Entenfraßens Gewölbe. Sie wandte sich an mich; ich mußte ihr das zeigen und jenes. Sie ließ, was sie kaufen wollte, beiseite lege» und gab es ihren Begleitern, einem schwarzen Sklaven und einer weißen Sklavin, die es nach Hanse bringen sollten. Dann nahm sie den Schleier ab, verbeugte sich und verließ mit ihren Domestiken das Gewölbe. Wie vom Blitz getroffen stand ich da. Solche Schönheit hatte ich nie ge¬ sehen, nie geahnt. Mit uiegefühlter Wonne durchschauerte mich ihr Lächeln. Ich sah die blendend weiße Stirn mit den dunkelschwarzen Bogen der Brauen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/536>, abgerufen am 23.07.2024.