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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

"ach ihrer gutmütigen, lebhaften Art über die Ursache meines schmerzlichen
Gebehrdens ausgefragt hatte, wobei sie an meinem blonden Kraushaar zupfte
und mit der flachen Hand mir auf die Backen schlug, indem sie bald über
mein Elend zu Thrüneu gerührt war, bald über meine naiven Ausdrücke sich
tot lachen wollte, sagte sie: Laß gut sein, Krausköpfchen, und weine mir nicht
deine muntern, blauen Augen krank; ich will für dich sorgen, und wirst du
so, wie dein Aussehen verspricht, wer weiß, was dann geschehen kann. In
zwölf Jahren ändert sich gar manches.

Sie nahm mich mit sich nach Hause. Herr Nauplius, denn so hieß ihr
damaliger Gatte, wohl dreimal so alt als sie, schien nicht sehr zufrieden mit
diesem Zuwachs der Familie; aber sie verstand ihn so für mich zu gewinnen,
daß er allmählich eine wirkliche Zuneigung zu mir zu fassen schien. So schlecht
es mir sonst gegangen war, so gut ging es mir jetzt. Die besten Bissen
wußte Madame Flötenspiel -- lassen Sie mich meine Wohlthäterin bei ihrem
jetzigen Namen nennen -- mir zuzuwenden. Und ebenso mütterlich sorgte sie
für mein geistiges Teil. Ich lernte lesen, schreiben, rechnen, französisch,
englisch, und lernte umso fleißiger, je mehr ich merkte, welch Vergnügen ich
meiner Wohlthäterin dadurch bereitete. Als ich mein fünfzehntes Jahr zurück¬
gelegt hatte, gab mich Madame Flötenspiel bei Herrn Entcnfraß, einem Kauf¬
herrn in der Petersstraße, in die Lehre. Ich kann den wundersamen Eindruck,
den mein Herr Prinzipal, als ich ihn zum erstenmale sah, auf mich machte,
nicht vergessen. Acht Kommis besorgten den Verkauf. Herr Entenfraß, ein
ziemlich untersetzter, jedoch ungemein beweglicher Mann, schien zwecklos da¬
zwischen in dem Gewölbe umherzusteigen. Mit einer gewissen fast ängstlichen
Unruhe, die sich in beständigem Achselzucken aussprach, schob er den grünen Angen-
schirm, den er immer trug, bald auf diese, bald auf jene Seite. Dabei rief er von
Zeit zu Zeit mit gellender Stimme: Nummer Eins de el em, Nummer Zwei
de el em und gestikulirte auf das seltsamste mit dem rechten Arm, dessen Hand
mit einer Elle bewaffnet war. Die Bedeutung dieses Treibens blieb mir, so
lange ich Lehrling war, ein Rätsel. An dem Tage, mit dem meine Lehrzeit
ablief, rief der jüngste Kommis mich in das Kondor, wo ich Herrn Entenfraß
samt seinen übrigen Leuten in einer magischen Dämmerung antraf. Es war
eines Sonntags unter der Kirche. Die Fensterladen waren geschlossen, und
daS mystische Helldunkel rührte von der einsiedlerischen Flamme einer Kontvr-
lampe her. Herr Entenfraß begrüßte mich, indem er die Elle, die er in der
rechten Hand als Kommandostab zu führen gewohnt war, vor mir senkte, eine
Ehrenbezeugung, die mir bis dahin noch nie zuteil geworden war. Rings
um Herrn Entenfraß standen die acht Kommis in feierlichem Schweigen, die
Markthelfer hinter ihnen.

Da Herr Fischer, so begann Herr Entenfraß zu reden, unsre bisherige
Nummer Eins verläßt, wird Herr Schmidt, unsre seitherige Nummer Zwei in


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

»ach ihrer gutmütigen, lebhaften Art über die Ursache meines schmerzlichen
Gebehrdens ausgefragt hatte, wobei sie an meinem blonden Kraushaar zupfte
und mit der flachen Hand mir auf die Backen schlug, indem sie bald über
mein Elend zu Thrüneu gerührt war, bald über meine naiven Ausdrücke sich
tot lachen wollte, sagte sie: Laß gut sein, Krausköpfchen, und weine mir nicht
deine muntern, blauen Augen krank; ich will für dich sorgen, und wirst du
so, wie dein Aussehen verspricht, wer weiß, was dann geschehen kann. In
zwölf Jahren ändert sich gar manches.

Sie nahm mich mit sich nach Hause. Herr Nauplius, denn so hieß ihr
damaliger Gatte, wohl dreimal so alt als sie, schien nicht sehr zufrieden mit
diesem Zuwachs der Familie; aber sie verstand ihn so für mich zu gewinnen,
daß er allmählich eine wirkliche Zuneigung zu mir zu fassen schien. So schlecht
es mir sonst gegangen war, so gut ging es mir jetzt. Die besten Bissen
wußte Madame Flötenspiel — lassen Sie mich meine Wohlthäterin bei ihrem
jetzigen Namen nennen — mir zuzuwenden. Und ebenso mütterlich sorgte sie
für mein geistiges Teil. Ich lernte lesen, schreiben, rechnen, französisch,
englisch, und lernte umso fleißiger, je mehr ich merkte, welch Vergnügen ich
meiner Wohlthäterin dadurch bereitete. Als ich mein fünfzehntes Jahr zurück¬
gelegt hatte, gab mich Madame Flötenspiel bei Herrn Entcnfraß, einem Kauf¬
herrn in der Petersstraße, in die Lehre. Ich kann den wundersamen Eindruck,
den mein Herr Prinzipal, als ich ihn zum erstenmale sah, auf mich machte,
nicht vergessen. Acht Kommis besorgten den Verkauf. Herr Entenfraß, ein
ziemlich untersetzter, jedoch ungemein beweglicher Mann, schien zwecklos da¬
zwischen in dem Gewölbe umherzusteigen. Mit einer gewissen fast ängstlichen
Unruhe, die sich in beständigem Achselzucken aussprach, schob er den grünen Angen-
schirm, den er immer trug, bald auf diese, bald auf jene Seite. Dabei rief er von
Zeit zu Zeit mit gellender Stimme: Nummer Eins de el em, Nummer Zwei
de el em und gestikulirte auf das seltsamste mit dem rechten Arm, dessen Hand
mit einer Elle bewaffnet war. Die Bedeutung dieses Treibens blieb mir, so
lange ich Lehrling war, ein Rätsel. An dem Tage, mit dem meine Lehrzeit
ablief, rief der jüngste Kommis mich in das Kondor, wo ich Herrn Entenfraß
samt seinen übrigen Leuten in einer magischen Dämmerung antraf. Es war
eines Sonntags unter der Kirche. Die Fensterladen waren geschlossen, und
daS mystische Helldunkel rührte von der einsiedlerischen Flamme einer Kontvr-
lampe her. Herr Entenfraß begrüßte mich, indem er die Elle, die er in der
rechten Hand als Kommandostab zu führen gewohnt war, vor mir senkte, eine
Ehrenbezeugung, die mir bis dahin noch nie zuteil geworden war. Rings
um Herrn Entenfraß standen die acht Kommis in feierlichem Schweigen, die
Markthelfer hinter ihnen.

Da Herr Fischer, so begann Herr Entenfraß zu reden, unsre bisherige
Nummer Eins verläßt, wird Herr Schmidt, unsre seitherige Nummer Zwei in


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[0534] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen »ach ihrer gutmütigen, lebhaften Art über die Ursache meines schmerzlichen Gebehrdens ausgefragt hatte, wobei sie an meinem blonden Kraushaar zupfte und mit der flachen Hand mir auf die Backen schlug, indem sie bald über mein Elend zu Thrüneu gerührt war, bald über meine naiven Ausdrücke sich tot lachen wollte, sagte sie: Laß gut sein, Krausköpfchen, und weine mir nicht deine muntern, blauen Augen krank; ich will für dich sorgen, und wirst du so, wie dein Aussehen verspricht, wer weiß, was dann geschehen kann. In zwölf Jahren ändert sich gar manches. Sie nahm mich mit sich nach Hause. Herr Nauplius, denn so hieß ihr damaliger Gatte, wohl dreimal so alt als sie, schien nicht sehr zufrieden mit diesem Zuwachs der Familie; aber sie verstand ihn so für mich zu gewinnen, daß er allmählich eine wirkliche Zuneigung zu mir zu fassen schien. So schlecht es mir sonst gegangen war, so gut ging es mir jetzt. Die besten Bissen wußte Madame Flötenspiel — lassen Sie mich meine Wohlthäterin bei ihrem jetzigen Namen nennen — mir zuzuwenden. Und ebenso mütterlich sorgte sie für mein geistiges Teil. Ich lernte lesen, schreiben, rechnen, französisch, englisch, und lernte umso fleißiger, je mehr ich merkte, welch Vergnügen ich meiner Wohlthäterin dadurch bereitete. Als ich mein fünfzehntes Jahr zurück¬ gelegt hatte, gab mich Madame Flötenspiel bei Herrn Entcnfraß, einem Kauf¬ herrn in der Petersstraße, in die Lehre. Ich kann den wundersamen Eindruck, den mein Herr Prinzipal, als ich ihn zum erstenmale sah, auf mich machte, nicht vergessen. Acht Kommis besorgten den Verkauf. Herr Entenfraß, ein ziemlich untersetzter, jedoch ungemein beweglicher Mann, schien zwecklos da¬ zwischen in dem Gewölbe umherzusteigen. Mit einer gewissen fast ängstlichen Unruhe, die sich in beständigem Achselzucken aussprach, schob er den grünen Angen- schirm, den er immer trug, bald auf diese, bald auf jene Seite. Dabei rief er von Zeit zu Zeit mit gellender Stimme: Nummer Eins de el em, Nummer Zwei de el em und gestikulirte auf das seltsamste mit dem rechten Arm, dessen Hand mit einer Elle bewaffnet war. Die Bedeutung dieses Treibens blieb mir, so lange ich Lehrling war, ein Rätsel. An dem Tage, mit dem meine Lehrzeit ablief, rief der jüngste Kommis mich in das Kondor, wo ich Herrn Entenfraß samt seinen übrigen Leuten in einer magischen Dämmerung antraf. Es war eines Sonntags unter der Kirche. Die Fensterladen waren geschlossen, und daS mystische Helldunkel rührte von der einsiedlerischen Flamme einer Kontvr- lampe her. Herr Entenfraß begrüßte mich, indem er die Elle, die er in der rechten Hand als Kommandostab zu führen gewohnt war, vor mir senkte, eine Ehrenbezeugung, die mir bis dahin noch nie zuteil geworden war. Rings um Herrn Entenfraß standen die acht Kommis in feierlichem Schweigen, die Markthelfer hinter ihnen. Da Herr Fischer, so begann Herr Entenfraß zu reden, unsre bisherige Nummer Eins verläßt, wird Herr Schmidt, unsre seitherige Nummer Zwei in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/534>, abgerufen am 28.09.2024.