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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das öffentliche Unterstiitznngswesen in Glsaß-Lothringen

verhältnismüßig selten vorkommt, so würde die angedeutete Ungleichheit in der
Behandlung der einzelnen Kranken im vollen Umfange bestehen bleiben, wenn
hier nicht die Bezirke mit ihren bedeutenden Mitteln helfend eingriffen.

Von der gesetzlich vorgesehenen Befugnis, denjenigen Gemeinde", deren
Einkünfte unzulänglich sind, in bestimmtem Umfange Unterstützung zu gewähren,
machen die Bezirke einen weitgehenden Gebrauch. Die Gemeinden, die ihre
Armen in das Krankenhaus des Kantons schicken wollen, erhalten hierfür, wenn
sie nicht die genügende Leistungsfähigkeit besitzen, eine ihren Bedürfnissen ent¬
sprechende Beihilfe des Bezirkes. Doch beschränkt sich die Krankenfürsorge des
Bezirks nicht ans diese Leistungen. Im Unterelsaß und in Lothringen bestehen
zwei große Bezirkskrankenanstalten zu Bischweiler und zu Gorze, die unter¬
schiedslos alle armen Kranken, Altersschwäche, Idioten, Krüppel, Blödsinnige,
Epileptische, Blinde, Taubstumme und ähnliche aus dem Bezirk aufnehmen
unter der Bedingung, daß die Gemeinde, wo der Aufzunehmende seinen Unter¬
stützungswohnsitz hat, einen sich stets nach den Vermögensverhältnissen der
Gemeinde richtenden Beitrag zu den Pflegekosten leistet. Diese Bedingung ist
hauptsächlich dazu gestellt, um die Gemeindeorgaue, die über die persönlichen
Verhältnisse der Armen die beste Auskunft geben können, zu einer gewissen¬
haften und vorsichtigen Prüfung derselben zu zwingen. Sobald ein Gemein¬
wesen in seinen eignen Süntel greifen soll, werden seine Vertreter stets darauf
bedacht sein, genau festzustellen, ob sich der angeblich Arme wirklich in hilfs¬
bedürftiger Lage befindet, und ob keine ernährnngspflichtigen Verwandten vor¬
handen sind, deren Eingreifen das Eintreten der öffentlichen Fürsorge über¬
flüssig machen würde. Nur in den seltensten Fällen und bei völliger
Leistuugsunfnhigkeit der Gemeinde wird ihr der Beitrag erlassen oder auf ein
ganz geringes Maß beschränkt.

Ferner gewähren die Bezirke Zuschüsse um Wohlthätigteitsnustnlten für
die Kranken, die sie ihnen zuweisen. Am bedeutsamsten ist da ihre Fürsorge
für ganz bestimmte Klassen von Leidenden und insbesondre für solche Personen,
die eines Sinnesorganes beraubt sind. Blindenanstalten, wie die in Jllzach
bei Mülhausen, Taubstummenanstalten, wie die für Katholiken in Metz und
Ruprechtsau, für Protestanten in Straßburg, werden mit großen Zuschüssen
für die Aufnahme armer Personen bedacht. Hilfsbedürftige, in der geistigen
Entwicklung zurückgebliebene Personen werden auf Bezirkskosten in Blöden-,
Idioten- und Kretinenanstalten untergebracht, und so tritt die Bezirksfürsvrge
überall da ein, wo Erwerbsunfähigkeit und Armut die Aufnahme in eine
Anstalt erforderlich machen. Auf diesem Gek iete macht sich übrigens auch
mehrfach die Bethätigung des Staates geltend. Zur Gewährung von zwanzig
Freistellen in der Blindenanstalt zu Jllzach sind im Landeshanshaltsetat für
1890/91 8000 Mark, zur Gewährung von Freistellen in Pflegeanstalten für
Taubstumme, Blinde, Geisteskranke, für Kranke und Gebrechliche 11 5.00 Mark,


Das öffentliche Unterstiitznngswesen in Glsaß-Lothringen

verhältnismüßig selten vorkommt, so würde die angedeutete Ungleichheit in der
Behandlung der einzelnen Kranken im vollen Umfange bestehen bleiben, wenn
hier nicht die Bezirke mit ihren bedeutenden Mitteln helfend eingriffen.

Von der gesetzlich vorgesehenen Befugnis, denjenigen Gemeinde», deren
Einkünfte unzulänglich sind, in bestimmtem Umfange Unterstützung zu gewähren,
machen die Bezirke einen weitgehenden Gebrauch. Die Gemeinden, die ihre
Armen in das Krankenhaus des Kantons schicken wollen, erhalten hierfür, wenn
sie nicht die genügende Leistungsfähigkeit besitzen, eine ihren Bedürfnissen ent¬
sprechende Beihilfe des Bezirkes. Doch beschränkt sich die Krankenfürsorge des
Bezirks nicht ans diese Leistungen. Im Unterelsaß und in Lothringen bestehen
zwei große Bezirkskrankenanstalten zu Bischweiler und zu Gorze, die unter¬
schiedslos alle armen Kranken, Altersschwäche, Idioten, Krüppel, Blödsinnige,
Epileptische, Blinde, Taubstumme und ähnliche aus dem Bezirk aufnehmen
unter der Bedingung, daß die Gemeinde, wo der Aufzunehmende seinen Unter¬
stützungswohnsitz hat, einen sich stets nach den Vermögensverhältnissen der
Gemeinde richtenden Beitrag zu den Pflegekosten leistet. Diese Bedingung ist
hauptsächlich dazu gestellt, um die Gemeindeorgaue, die über die persönlichen
Verhältnisse der Armen die beste Auskunft geben können, zu einer gewissen¬
haften und vorsichtigen Prüfung derselben zu zwingen. Sobald ein Gemein¬
wesen in seinen eignen Süntel greifen soll, werden seine Vertreter stets darauf
bedacht sein, genau festzustellen, ob sich der angeblich Arme wirklich in hilfs¬
bedürftiger Lage befindet, und ob keine ernährnngspflichtigen Verwandten vor¬
handen sind, deren Eingreifen das Eintreten der öffentlichen Fürsorge über¬
flüssig machen würde. Nur in den seltensten Fällen und bei völliger
Leistuugsunfnhigkeit der Gemeinde wird ihr der Beitrag erlassen oder auf ein
ganz geringes Maß beschränkt.

Ferner gewähren die Bezirke Zuschüsse um Wohlthätigteitsnustnlten für
die Kranken, die sie ihnen zuweisen. Am bedeutsamsten ist da ihre Fürsorge
für ganz bestimmte Klassen von Leidenden und insbesondre für solche Personen,
die eines Sinnesorganes beraubt sind. Blindenanstalten, wie die in Jllzach
bei Mülhausen, Taubstummenanstalten, wie die für Katholiken in Metz und
Ruprechtsau, für Protestanten in Straßburg, werden mit großen Zuschüssen
für die Aufnahme armer Personen bedacht. Hilfsbedürftige, in der geistigen
Entwicklung zurückgebliebene Personen werden auf Bezirkskosten in Blöden-,
Idioten- und Kretinenanstalten untergebracht, und so tritt die Bezirksfürsvrge
überall da ein, wo Erwerbsunfähigkeit und Armut die Aufnahme in eine
Anstalt erforderlich machen. Auf diesem Gek iete macht sich übrigens auch
mehrfach die Bethätigung des Staates geltend. Zur Gewährung von zwanzig
Freistellen in der Blindenanstalt zu Jllzach sind im Landeshanshaltsetat für
1890/91 8000 Mark, zur Gewährung von Freistellen in Pflegeanstalten für
Taubstumme, Blinde, Geisteskranke, für Kranke und Gebrechliche 11 5.00 Mark,


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[0519] Das öffentliche Unterstiitznngswesen in Glsaß-Lothringen verhältnismüßig selten vorkommt, so würde die angedeutete Ungleichheit in der Behandlung der einzelnen Kranken im vollen Umfange bestehen bleiben, wenn hier nicht die Bezirke mit ihren bedeutenden Mitteln helfend eingriffen. Von der gesetzlich vorgesehenen Befugnis, denjenigen Gemeinde», deren Einkünfte unzulänglich sind, in bestimmtem Umfange Unterstützung zu gewähren, machen die Bezirke einen weitgehenden Gebrauch. Die Gemeinden, die ihre Armen in das Krankenhaus des Kantons schicken wollen, erhalten hierfür, wenn sie nicht die genügende Leistungsfähigkeit besitzen, eine ihren Bedürfnissen ent¬ sprechende Beihilfe des Bezirkes. Doch beschränkt sich die Krankenfürsorge des Bezirks nicht ans diese Leistungen. Im Unterelsaß und in Lothringen bestehen zwei große Bezirkskrankenanstalten zu Bischweiler und zu Gorze, die unter¬ schiedslos alle armen Kranken, Altersschwäche, Idioten, Krüppel, Blödsinnige, Epileptische, Blinde, Taubstumme und ähnliche aus dem Bezirk aufnehmen unter der Bedingung, daß die Gemeinde, wo der Aufzunehmende seinen Unter¬ stützungswohnsitz hat, einen sich stets nach den Vermögensverhältnissen der Gemeinde richtenden Beitrag zu den Pflegekosten leistet. Diese Bedingung ist hauptsächlich dazu gestellt, um die Gemeindeorgaue, die über die persönlichen Verhältnisse der Armen die beste Auskunft geben können, zu einer gewissen¬ haften und vorsichtigen Prüfung derselben zu zwingen. Sobald ein Gemein¬ wesen in seinen eignen Süntel greifen soll, werden seine Vertreter stets darauf bedacht sein, genau festzustellen, ob sich der angeblich Arme wirklich in hilfs¬ bedürftiger Lage befindet, und ob keine ernährnngspflichtigen Verwandten vor¬ handen sind, deren Eingreifen das Eintreten der öffentlichen Fürsorge über¬ flüssig machen würde. Nur in den seltensten Fällen und bei völliger Leistuugsunfnhigkeit der Gemeinde wird ihr der Beitrag erlassen oder auf ein ganz geringes Maß beschränkt. Ferner gewähren die Bezirke Zuschüsse um Wohlthätigteitsnustnlten für die Kranken, die sie ihnen zuweisen. Am bedeutsamsten ist da ihre Fürsorge für ganz bestimmte Klassen von Leidenden und insbesondre für solche Personen, die eines Sinnesorganes beraubt sind. Blindenanstalten, wie die in Jllzach bei Mülhausen, Taubstummenanstalten, wie die für Katholiken in Metz und Ruprechtsau, für Protestanten in Straßburg, werden mit großen Zuschüssen für die Aufnahme armer Personen bedacht. Hilfsbedürftige, in der geistigen Entwicklung zurückgebliebene Personen werden auf Bezirkskosten in Blöden-, Idioten- und Kretinenanstalten untergebracht, und so tritt die Bezirksfürsvrge überall da ein, wo Erwerbsunfähigkeit und Armut die Aufnahme in eine Anstalt erforderlich machen. Auf diesem Gek iete macht sich übrigens auch mehrfach die Bethätigung des Staates geltend. Zur Gewährung von zwanzig Freistellen in der Blindenanstalt zu Jllzach sind im Landeshanshaltsetat für 1890/91 8000 Mark, zur Gewährung von Freistellen in Pflegeanstalten für Taubstumme, Blinde, Geisteskranke, für Kranke und Gebrechliche 11 5.00 Mark,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/519>, abgerufen am 23.07.2024.