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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Das öffentliche Unterstütznngswesen in <Llsaß-Lothringen

muß man nun anerkennen, daß die Gemeinden für diese ihre moralische Ver¬
bindlichkeit Gefühl und Verständnis zeigen. Oft aber, und namentlich in den
kleinern und ärmern Ortschaften, verhält sich die zur Bewilligung der Mittel
zuständige Behörde, der Gemeinderat, freilich meistens aus Mangel an Geld,
allen derartigen Ansinnen gegenüber, die von der Kreisanfsichtsbehörde, dem
Kreisdirektor, an sie gerichtet werden, durchaus ablehnend. In diesem Fall
oder wenn die Gemeinde nur einen Teil der notwendigen Unterstützung zu
gewähren imstande ist, treten aushilfsweise die nächstübergeordneten Körper¬
schaften ein, und dies sind, da die Kantone und Kreise keine juristischen Per¬
sönlichkeiten sind, über selbständige Fonds also nicht verfügen, die Bezirke und
der Staat. Zu dem Zwecke werden alljährlich im Landeshaushalt und in den
drei Bezirkshaushalten des Unterelsaß, des Oberelsaß und von Lothringen
gewisse für die offene Armenpflege bestimmte Mittel ausgeworfen, die dann in
doppelter Weise verwendet werden. Ein Teil wird unter die Kreise verteilt
und zur Verfügung der Kreisdircktoren gestellt, wahrend sich einen andern Teil
das Ministerium oder der Bezirksprüsident vorbehält, um im Falle einer be¬
sondern Notlage mit außerordentlichen Mitteln eingreifen zu können. Während
nun noch bis vor ganz kurzer Zeit die den Kreisdirektoren zur Verfügung
gestellten Mittel verschwindend gering und nur dazu bestimmt waren, im Falle
einer augenblicklichen Not und bei nur vorübergehendem Bedürfnisse mit einer
kleinen Unterstützung einzutreten, ist darin jetzt insofern eine Änderung ein¬
getreten, als ihnen nun ein großer Teil der dafür vorgesehenen Fonds zur
Gewährung von Unterstützungen bis zu einer bestimmten Höhe überwiesen
worden ist. Damit ist der erste wichtige Schritt dazu gethan, die Kreis¬
direktoren zu den eigentlichen Trägern der offenen Armenpflege, soweit sie nicht
von den Gemeinden geübt wird, zu erheben. Es ist zu erwarten, daß diese
Entwicklung ihren weitern Fortgang nehmen wird, und zwar in dem Sinne,
daß die Bezirkspräsidenten von diesem Teile des Untcrstützungswesens, bei dem
der Grundsatz des Lif als,t, oni vno eist besonders bedeutungsvoll ist, voll¬
ständig entlastet werden. Herbeiführen ließe sich dieser Zustand dadurch, daß
die im Bezirkshanshalte für die offene Armenpflege vorgesehenen Mittel sämt¬
lich den Kreisdirektoren zur Verfügung gestellt würden. Dn diese mit der
Bevölkerung in fortwährender Verbindung stehen, wird es ihnen leichter möglich,
die wirklich Hilfsbedürftigen von den bloß Arbeitsscheuen zu unterscheiden und
die gewohnheitsmäßigen Bettler durch richtige Behandlung zur Arbeit zurück¬
zuführen. Indem sie sich den Grundsatz des englischen freilich in weit gro߬
artigerem Maßstabe gehaltenen out cloor rslisk aneignen, und von dem Stand¬
punkt ausgehen, daß nicht sowohl humanitäre als öffentliche Rücksichten die
Unterstützung bestimmen, und indem sie entsprechend den für die Armenrätc
gegebenen Vorschriften die Armenfürsorge möglichst auf Gewährung von
Naturalien beschränken, kommen sie in die Lage, da, wo zwar Hilfsbedürftig-


Das öffentliche Unterstütznngswesen in <Llsaß-Lothringen

muß man nun anerkennen, daß die Gemeinden für diese ihre moralische Ver¬
bindlichkeit Gefühl und Verständnis zeigen. Oft aber, und namentlich in den
kleinern und ärmern Ortschaften, verhält sich die zur Bewilligung der Mittel
zuständige Behörde, der Gemeinderat, freilich meistens aus Mangel an Geld,
allen derartigen Ansinnen gegenüber, die von der Kreisanfsichtsbehörde, dem
Kreisdirektor, an sie gerichtet werden, durchaus ablehnend. In diesem Fall
oder wenn die Gemeinde nur einen Teil der notwendigen Unterstützung zu
gewähren imstande ist, treten aushilfsweise die nächstübergeordneten Körper¬
schaften ein, und dies sind, da die Kantone und Kreise keine juristischen Per¬
sönlichkeiten sind, über selbständige Fonds also nicht verfügen, die Bezirke und
der Staat. Zu dem Zwecke werden alljährlich im Landeshaushalt und in den
drei Bezirkshaushalten des Unterelsaß, des Oberelsaß und von Lothringen
gewisse für die offene Armenpflege bestimmte Mittel ausgeworfen, die dann in
doppelter Weise verwendet werden. Ein Teil wird unter die Kreise verteilt
und zur Verfügung der Kreisdircktoren gestellt, wahrend sich einen andern Teil
das Ministerium oder der Bezirksprüsident vorbehält, um im Falle einer be¬
sondern Notlage mit außerordentlichen Mitteln eingreifen zu können. Während
nun noch bis vor ganz kurzer Zeit die den Kreisdirektoren zur Verfügung
gestellten Mittel verschwindend gering und nur dazu bestimmt waren, im Falle
einer augenblicklichen Not und bei nur vorübergehendem Bedürfnisse mit einer
kleinen Unterstützung einzutreten, ist darin jetzt insofern eine Änderung ein¬
getreten, als ihnen nun ein großer Teil der dafür vorgesehenen Fonds zur
Gewährung von Unterstützungen bis zu einer bestimmten Höhe überwiesen
worden ist. Damit ist der erste wichtige Schritt dazu gethan, die Kreis¬
direktoren zu den eigentlichen Trägern der offenen Armenpflege, soweit sie nicht
von den Gemeinden geübt wird, zu erheben. Es ist zu erwarten, daß diese
Entwicklung ihren weitern Fortgang nehmen wird, und zwar in dem Sinne,
daß die Bezirkspräsidenten von diesem Teile des Untcrstützungswesens, bei dem
der Grundsatz des Lif als,t, oni vno eist besonders bedeutungsvoll ist, voll¬
ständig entlastet werden. Herbeiführen ließe sich dieser Zustand dadurch, daß
die im Bezirkshanshalte für die offene Armenpflege vorgesehenen Mittel sämt¬
lich den Kreisdirektoren zur Verfügung gestellt würden. Dn diese mit der
Bevölkerung in fortwährender Verbindung stehen, wird es ihnen leichter möglich,
die wirklich Hilfsbedürftigen von den bloß Arbeitsscheuen zu unterscheiden und
die gewohnheitsmäßigen Bettler durch richtige Behandlung zur Arbeit zurück¬
zuführen. Indem sie sich den Grundsatz des englischen freilich in weit gro߬
artigerem Maßstabe gehaltenen out cloor rslisk aneignen, und von dem Stand¬
punkt ausgehen, daß nicht sowohl humanitäre als öffentliche Rücksichten die
Unterstützung bestimmen, und indem sie entsprechend den für die Armenrätc
gegebenen Vorschriften die Armenfürsorge möglichst auf Gewährung von
Naturalien beschränken, kommen sie in die Lage, da, wo zwar Hilfsbedürftig-


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[0516] Das öffentliche Unterstütznngswesen in <Llsaß-Lothringen muß man nun anerkennen, daß die Gemeinden für diese ihre moralische Ver¬ bindlichkeit Gefühl und Verständnis zeigen. Oft aber, und namentlich in den kleinern und ärmern Ortschaften, verhält sich die zur Bewilligung der Mittel zuständige Behörde, der Gemeinderat, freilich meistens aus Mangel an Geld, allen derartigen Ansinnen gegenüber, die von der Kreisanfsichtsbehörde, dem Kreisdirektor, an sie gerichtet werden, durchaus ablehnend. In diesem Fall oder wenn die Gemeinde nur einen Teil der notwendigen Unterstützung zu gewähren imstande ist, treten aushilfsweise die nächstübergeordneten Körper¬ schaften ein, und dies sind, da die Kantone und Kreise keine juristischen Per¬ sönlichkeiten sind, über selbständige Fonds also nicht verfügen, die Bezirke und der Staat. Zu dem Zwecke werden alljährlich im Landeshaushalt und in den drei Bezirkshaushalten des Unterelsaß, des Oberelsaß und von Lothringen gewisse für die offene Armenpflege bestimmte Mittel ausgeworfen, die dann in doppelter Weise verwendet werden. Ein Teil wird unter die Kreise verteilt und zur Verfügung der Kreisdircktoren gestellt, wahrend sich einen andern Teil das Ministerium oder der Bezirksprüsident vorbehält, um im Falle einer be¬ sondern Notlage mit außerordentlichen Mitteln eingreifen zu können. Während nun noch bis vor ganz kurzer Zeit die den Kreisdirektoren zur Verfügung gestellten Mittel verschwindend gering und nur dazu bestimmt waren, im Falle einer augenblicklichen Not und bei nur vorübergehendem Bedürfnisse mit einer kleinen Unterstützung einzutreten, ist darin jetzt insofern eine Änderung ein¬ getreten, als ihnen nun ein großer Teil der dafür vorgesehenen Fonds zur Gewährung von Unterstützungen bis zu einer bestimmten Höhe überwiesen worden ist. Damit ist der erste wichtige Schritt dazu gethan, die Kreis¬ direktoren zu den eigentlichen Trägern der offenen Armenpflege, soweit sie nicht von den Gemeinden geübt wird, zu erheben. Es ist zu erwarten, daß diese Entwicklung ihren weitern Fortgang nehmen wird, und zwar in dem Sinne, daß die Bezirkspräsidenten von diesem Teile des Untcrstützungswesens, bei dem der Grundsatz des Lif als,t, oni vno eist besonders bedeutungsvoll ist, voll¬ ständig entlastet werden. Herbeiführen ließe sich dieser Zustand dadurch, daß die im Bezirkshanshalte für die offene Armenpflege vorgesehenen Mittel sämt¬ lich den Kreisdirektoren zur Verfügung gestellt würden. Dn diese mit der Bevölkerung in fortwährender Verbindung stehen, wird es ihnen leichter möglich, die wirklich Hilfsbedürftigen von den bloß Arbeitsscheuen zu unterscheiden und die gewohnheitsmäßigen Bettler durch richtige Behandlung zur Arbeit zurück¬ zuführen. Indem sie sich den Grundsatz des englischen freilich in weit gro߬ artigerem Maßstabe gehaltenen out cloor rslisk aneignen, und von dem Stand¬ punkt ausgehen, daß nicht sowohl humanitäre als öffentliche Rücksichten die Unterstützung bestimmen, und indem sie entsprechend den für die Armenrätc gegebenen Vorschriften die Armenfürsorge möglichst auf Gewährung von Naturalien beschränken, kommen sie in die Lage, da, wo zwar Hilfsbedürftig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/516>, abgerufen am 23.07.2024.