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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

und rief: Hier hab ichs. Ist das Gedicht gesiegelt, daß er es für einen Brief
halten muß, so wirds Herrn Heidermann eine doppelt angenehme Überraschung
verursachen. Während Herr Bellin die Siegelung vornahm, verbat mir Dame
Heidermann bei Strafe sofortiger Entlassung mit Schimpf, Herrn Heidermann
etwas davon zu sagen, daß Herr Bellin in seiner Abwesenheit hier gewesen
sei, Siegellack mit gesucht und das Gedicht gesiegelt habe, weil ihm sonst, wie
sie sagte, die Freude der Überraschung verdorben werden würde. Herr Bellin
empfahl sich und ging.

Der merkwürdige Tag brach an, der der Welt den Heidermauu gegeben,
aber so heiter, als Herr Heidermann selbst als Sonne des Hauses im Osten
seines Schlafzimmers aufging. Der stolze Blick seiner Augen war gemildert
durch eine sanfte Rührung. So begegnete er mir, festlich in seine Kommunal-
gardistenuniform gekröpft, auf seinem ersten Wege zum Wohnzimmer. Um
einen Zentner fühlte ich mein Herz leichter, als er mir im Vorbeischreiten
lächelnd mit dem Finger gedroht hatte. Im Wohnzimmer, wohin ich ihm
folgte, weil ich Zeuge der Überraschung sein wollte, die hier vorgehn sollte,
kam ihm Dame Heidermann mit ausgebreiteten Armen entgegen. Das Dienst¬
mädchen mußte das Pfand der ehelichen Liebe herbeibringen, bei dessen Er¬
blicken eine neue graziöse Umarmung erfolgte, wobei Dame Heidermann über
die Schulter des Herrn Gemahls einen Feuerblick nach Herrn Bellin hinüber¬
warf, der gegenüber in seinem Fenster sichtbar war, und Herr Heidermann mit
der Hand des rechten Armes, den er in gefälliger Rundung um den Nacken
seiner Frau gelegt hatte, dem Dienstmädchen die pralle Wange kneipte. Dazu
seufzten beide vor Wonne und Rührung dermaßen, daß erst der Zuschneider
und dann die übrigen Gesellen, die der großen Szene zuschauten, in ein lautes
Weinen ausbrachen, in das aus Sympathie einzustimmen ich als eine weiche
Seele mich nicht enthalten konnte. Madame Heidermann führte den König des
Festes zu dem Tische, auf dem die Geschenke ausgebreitet lagen, uuter ihnen
das versiegelte Gedicht. Dies ergriff er, warf einen Blick auf seine Gattin,
dann zum Himmel. Er erbrachs, entfaltete es, las laut einige Verse und
schrie auf, indem sein Haar sich sträubte: Entsetzliches Weib, thust du
mir das?

Wie er so, wie Karl Moor auf der Bühne, mit dem Oberleibe zurück¬
gebogen die geballten Fäuste weit vor sich hinstreckte, ließ sich fast zugleich
ein unauslöschliches Lachen und ein schmerzliches Weinen vernehmen. Das
Lachen kam von Herrn Bellins Fenster, das Weinen von Madame Heidermann,
die mit Schmerz und Zorn erkannte, daß Herr Bellin ein Unwürdiger sei und
ihr Herz schändlich betrogen habe. Wie ich später erfuhr, hatte Bellin Herrn
Sterzing, den er gut kannte, gebeten, eins von seinen schönen Schneiderliedern
sauber abgeschrieben bereit zu halten, weil eine sehr gebildete Dame, die dem
Volkshumor sehr zugethan wäre, es abholen lassen würde. Eine tolle Laune


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

und rief: Hier hab ichs. Ist das Gedicht gesiegelt, daß er es für einen Brief
halten muß, so wirds Herrn Heidermann eine doppelt angenehme Überraschung
verursachen. Während Herr Bellin die Siegelung vornahm, verbat mir Dame
Heidermann bei Strafe sofortiger Entlassung mit Schimpf, Herrn Heidermann
etwas davon zu sagen, daß Herr Bellin in seiner Abwesenheit hier gewesen
sei, Siegellack mit gesucht und das Gedicht gesiegelt habe, weil ihm sonst, wie
sie sagte, die Freude der Überraschung verdorben werden würde. Herr Bellin
empfahl sich und ging.

Der merkwürdige Tag brach an, der der Welt den Heidermauu gegeben,
aber so heiter, als Herr Heidermann selbst als Sonne des Hauses im Osten
seines Schlafzimmers aufging. Der stolze Blick seiner Augen war gemildert
durch eine sanfte Rührung. So begegnete er mir, festlich in seine Kommunal-
gardistenuniform gekröpft, auf seinem ersten Wege zum Wohnzimmer. Um
einen Zentner fühlte ich mein Herz leichter, als er mir im Vorbeischreiten
lächelnd mit dem Finger gedroht hatte. Im Wohnzimmer, wohin ich ihm
folgte, weil ich Zeuge der Überraschung sein wollte, die hier vorgehn sollte,
kam ihm Dame Heidermann mit ausgebreiteten Armen entgegen. Das Dienst¬
mädchen mußte das Pfand der ehelichen Liebe herbeibringen, bei dessen Er¬
blicken eine neue graziöse Umarmung erfolgte, wobei Dame Heidermann über
die Schulter des Herrn Gemahls einen Feuerblick nach Herrn Bellin hinüber¬
warf, der gegenüber in seinem Fenster sichtbar war, und Herr Heidermann mit
der Hand des rechten Armes, den er in gefälliger Rundung um den Nacken
seiner Frau gelegt hatte, dem Dienstmädchen die pralle Wange kneipte. Dazu
seufzten beide vor Wonne und Rührung dermaßen, daß erst der Zuschneider
und dann die übrigen Gesellen, die der großen Szene zuschauten, in ein lautes
Weinen ausbrachen, in das aus Sympathie einzustimmen ich als eine weiche
Seele mich nicht enthalten konnte. Madame Heidermann führte den König des
Festes zu dem Tische, auf dem die Geschenke ausgebreitet lagen, uuter ihnen
das versiegelte Gedicht. Dies ergriff er, warf einen Blick auf seine Gattin,
dann zum Himmel. Er erbrachs, entfaltete es, las laut einige Verse und
schrie auf, indem sein Haar sich sträubte: Entsetzliches Weib, thust du
mir das?

Wie er so, wie Karl Moor auf der Bühne, mit dem Oberleibe zurück¬
gebogen die geballten Fäuste weit vor sich hinstreckte, ließ sich fast zugleich
ein unauslöschliches Lachen und ein schmerzliches Weinen vernehmen. Das
Lachen kam von Herrn Bellins Fenster, das Weinen von Madame Heidermann,
die mit Schmerz und Zorn erkannte, daß Herr Bellin ein Unwürdiger sei und
ihr Herz schändlich betrogen habe. Wie ich später erfuhr, hatte Bellin Herrn
Sterzing, den er gut kannte, gebeten, eins von seinen schönen Schneiderliedern
sauber abgeschrieben bereit zu halten, weil eine sehr gebildete Dame, die dem
Volkshumor sehr zugethan wäre, es abholen lassen würde. Eine tolle Laune


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/490>, abgerufen am 23.07.2024.