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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Gefährlich ist dieser Mann offenbar nicht, denn wer sich an dergleichen
berauschen kann, dem ist überhaupt nicht mehr zu helfen. Aber er ist möglicher¬
weise ein ganz harmloser Mensch, der sich nur wichtig machen will. Auf diese
Vermutung bringt das Beispiel einer Dame. Eine Dichterin namens Maria
Janitschek hat die Entdeckung gemacht, daß eine Frau, die ihren Man be¬
trügt, allerdings nicht schon handelt, eine Witwe jedoch, die wieder heiratet,
ein unsühnbares Verbrechen begeht. Überspannt ist für jemand, der solchen
Unsinn ausbrütet, ein zu milder Ausdruck, sollte man meinen. Nun erzählt
aber ein begeisterter Kritiker, die Dichterin sei eine brave, anspruchslose Gattin
und Hansfrau. Sonach müssen wir sie wohl zu den Frauen zählen, die, so¬
bald sie am Schreibtische Platz nehmen, unerhörte Gedanken glauben Produziren
zu müssen, und mit aller Mühe Dinge ausklügeln, die ihrer Natur ganz
fremd sind. Sie mag, wenn der Ausdruck erlaubt ist, eine Svnntagspessimistiu
sein.*) Frauen, denen das Glück, Mutter zu werden, versagt ist, und denen
es deshalb an nützlicher Beschäftigung fehlt, verfallen ja mitunter ans die
wunderlichste!! Exzentrizitäten. Und ähnlich mag es sich mit manchem ihrer
Brüder und Schwestern in -- ja, in Apoll darf man da nicht sagen, vielleicht
in Nietzsche? -- verhalten. Sie regen sich ans, drapiren sich vor dem Spiegel,
spielen mit dem Feuer; die Knaben, die "Räuber" spielen, haben ja auch nicht
die Absicht, in die böhmischen Wälder zu gehen, und würden, einem Polizei¬
mann begegnend, ihre hölzernen Dolche schleunigst verstecken.

Mangel an nützlicher Beschäftigung werden wir wohl bei vielen unver¬
standenen Frauen und unverstandenen Jünglingen (denn auch diese Spezies
gedeiht aufs üppigste in der "Moderne") als Entschuldigung gelten lassen
müssen. schmeichelhaft ist es zwar nicht, wenn man einer Dame nachsagt,
sie renommire, aber einige würden, sollte ihnen gegenüber dies nicht gestattet
sein, entschieden schlimmer wegkommen. So z. B. eine, die sich rühmt, durch
die Frage uach Christus einen Hirtenjungen in Verlegenheit gebracht zu haben,
und dann in mitleidigem Ton eine alte Frau erwähnt, die sich das Wort von
den Mühseligen und Beladenen ans ihre Art auslegte. Hoffentlich kommt die
junge Zweiflerin recht bald in die Lage, wie Gretchen, schaffen zu müssen früh



Bekannt ist eine untre Spielart von Pessimisten, die ähnlich gewissen Pietisten unter
stetem Seufzen über die Unvollkommenheit des irdischen Jammerthals die dort reifenden
Früchte behaglich schmausen.

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Gefährlich ist dieser Mann offenbar nicht, denn wer sich an dergleichen
berauschen kann, dem ist überhaupt nicht mehr zu helfen. Aber er ist möglicher¬
weise ein ganz harmloser Mensch, der sich nur wichtig machen will. Auf diese
Vermutung bringt das Beispiel einer Dame. Eine Dichterin namens Maria
Janitschek hat die Entdeckung gemacht, daß eine Frau, die ihren Man be¬
trügt, allerdings nicht schon handelt, eine Witwe jedoch, die wieder heiratet,
ein unsühnbares Verbrechen begeht. Überspannt ist für jemand, der solchen
Unsinn ausbrütet, ein zu milder Ausdruck, sollte man meinen. Nun erzählt
aber ein begeisterter Kritiker, die Dichterin sei eine brave, anspruchslose Gattin
und Hansfrau. Sonach müssen wir sie wohl zu den Frauen zählen, die, so¬
bald sie am Schreibtische Platz nehmen, unerhörte Gedanken glauben Produziren
zu müssen, und mit aller Mühe Dinge ausklügeln, die ihrer Natur ganz
fremd sind. Sie mag, wenn der Ausdruck erlaubt ist, eine Svnntagspessimistiu
sein.*) Frauen, denen das Glück, Mutter zu werden, versagt ist, und denen
es deshalb an nützlicher Beschäftigung fehlt, verfallen ja mitunter ans die
wunderlichste!! Exzentrizitäten. Und ähnlich mag es sich mit manchem ihrer
Brüder und Schwestern in — ja, in Apoll darf man da nicht sagen, vielleicht
in Nietzsche? — verhalten. Sie regen sich ans, drapiren sich vor dem Spiegel,
spielen mit dem Feuer; die Knaben, die „Räuber" spielen, haben ja auch nicht
die Absicht, in die böhmischen Wälder zu gehen, und würden, einem Polizei¬
mann begegnend, ihre hölzernen Dolche schleunigst verstecken.

Mangel an nützlicher Beschäftigung werden wir wohl bei vielen unver¬
standenen Frauen und unverstandenen Jünglingen (denn auch diese Spezies
gedeiht aufs üppigste in der „Moderne") als Entschuldigung gelten lassen
müssen. schmeichelhaft ist es zwar nicht, wenn man einer Dame nachsagt,
sie renommire, aber einige würden, sollte ihnen gegenüber dies nicht gestattet
sein, entschieden schlimmer wegkommen. So z. B. eine, die sich rühmt, durch
die Frage uach Christus einen Hirtenjungen in Verlegenheit gebracht zu haben,
und dann in mitleidigem Ton eine alte Frau erwähnt, die sich das Wort von
den Mühseligen und Beladenen ans ihre Art auslegte. Hoffentlich kommt die
junge Zweiflerin recht bald in die Lage, wie Gretchen, schaffen zu müssen früh



Bekannt ist eine untre Spielart von Pessimisten, die ähnlich gewissen Pietisten unter
stetem Seufzen über die Unvollkommenheit des irdischen Jammerthals die dort reifenden
Früchte behaglich schmausen.
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[0487] Oder: Gefährlich ist dieser Mann offenbar nicht, denn wer sich an dergleichen berauschen kann, dem ist überhaupt nicht mehr zu helfen. Aber er ist möglicher¬ weise ein ganz harmloser Mensch, der sich nur wichtig machen will. Auf diese Vermutung bringt das Beispiel einer Dame. Eine Dichterin namens Maria Janitschek hat die Entdeckung gemacht, daß eine Frau, die ihren Man be¬ trügt, allerdings nicht schon handelt, eine Witwe jedoch, die wieder heiratet, ein unsühnbares Verbrechen begeht. Überspannt ist für jemand, der solchen Unsinn ausbrütet, ein zu milder Ausdruck, sollte man meinen. Nun erzählt aber ein begeisterter Kritiker, die Dichterin sei eine brave, anspruchslose Gattin und Hansfrau. Sonach müssen wir sie wohl zu den Frauen zählen, die, so¬ bald sie am Schreibtische Platz nehmen, unerhörte Gedanken glauben Produziren zu müssen, und mit aller Mühe Dinge ausklügeln, die ihrer Natur ganz fremd sind. Sie mag, wenn der Ausdruck erlaubt ist, eine Svnntagspessimistiu sein.*) Frauen, denen das Glück, Mutter zu werden, versagt ist, und denen es deshalb an nützlicher Beschäftigung fehlt, verfallen ja mitunter ans die wunderlichste!! Exzentrizitäten. Und ähnlich mag es sich mit manchem ihrer Brüder und Schwestern in — ja, in Apoll darf man da nicht sagen, vielleicht in Nietzsche? — verhalten. Sie regen sich ans, drapiren sich vor dem Spiegel, spielen mit dem Feuer; die Knaben, die „Räuber" spielen, haben ja auch nicht die Absicht, in die böhmischen Wälder zu gehen, und würden, einem Polizei¬ mann begegnend, ihre hölzernen Dolche schleunigst verstecken. Mangel an nützlicher Beschäftigung werden wir wohl bei vielen unver¬ standenen Frauen und unverstandenen Jünglingen (denn auch diese Spezies gedeiht aufs üppigste in der „Moderne") als Entschuldigung gelten lassen müssen. schmeichelhaft ist es zwar nicht, wenn man einer Dame nachsagt, sie renommire, aber einige würden, sollte ihnen gegenüber dies nicht gestattet sein, entschieden schlimmer wegkommen. So z. B. eine, die sich rühmt, durch die Frage uach Christus einen Hirtenjungen in Verlegenheit gebracht zu haben, und dann in mitleidigem Ton eine alte Frau erwähnt, die sich das Wort von den Mühseligen und Beladenen ans ihre Art auslegte. Hoffentlich kommt die junge Zweiflerin recht bald in die Lage, wie Gretchen, schaffen zu müssen früh Bekannt ist eine untre Spielart von Pessimisten, die ähnlich gewissen Pietisten unter stetem Seufzen über die Unvollkommenheit des irdischen Jammerthals die dort reifenden Früchte behaglich schmausen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/487>, abgerufen am 23.07.2024.